Heidelberg. Bei dieser Heidelberger Familie gibt es selten Spiegeleier: Die Hobbykünstlerin Ursel Kaboth (79) bemalt leidenschaftlich gerne ausgeblasene Eier. Federvieh von Strauß bis Wachtel liefert ihr die zerbrechlichen ovalrunden Leinwände. Bei zartem Umgang mit ihnen bleiben die Unikate jahrzehntelang erhalten. Als „Nebenprodukt“ dieses kunstvollen Hobbys entsteht in diesem Haushalt viel Flüssigei, das zu Rühreiern oder im Kuchen verarbeitet wird. Die 79-Jährige erzählt auf – und in – ihren kunstvoll bemalten Eiern gerne Geschichten.
„Am liebsten male ich den Frühling oder den Lauf der Jahreszeiten aufs Ei“, erzählt die Seniorin. Ein echtes Prachtexemplar ist ein mit Aquarellfarben und Klarlack bemaltes Gänseei. Wenn man es um die eigene Achse dreht, sieht man eine Landwirtschaftsszene, in der ein Bauer das Feld bestellt. Dann blüht alles sommerlich, schließlich wird die Ernte eingebracht und es legt sich Schnee über die Szene – bis danach wieder Frühling beginnt. Nicht nur den Frühling mag die Künstlerin – auch Herbst und Winter und natürlich der Sommer haben ihre Schönheit, findet sie. „Der Wechsel bringt die Spannung“, kann sie sich nicht vorstellen, in einer Gegend zu leben, in der es keinen Wechsel von Kalt und Warm gibt.
Pflanzen und Blüten zeichnet und malt die Wieblingerin mit Passion. Huflattich, Tulpen, Mistel oder Gänseblümchen kann man bei ihr auf einem einzigen Ei finden. Gerne schreibt Kaboth Wörter, Gedichte oder kleine Prosatexte zu den Bildern auf die Eierschalen. Dafür hat sie sich unter anderem ein gotisches Alphabet als Vorlage zurechtgelegt.
Auf Ausstellungen unterwegs
Stück für Stück bruchsicher verpackt, ist das private Lager aktuell mit Ostereiern gut gefüllt: Normalerweise reist die Seniorin, die sich jeden Morgen etwas Zeit fürs Bemalen ihrer einzigartigen Ostereier nimmt und das als „prima Anti-Stress-Mittel“ beschreibt, im Frühjahr durch ganz Süddeutschland zu Märkten und Ostereierausstellungen, um ihre filigranen Stücke vorzuführen. Doch die Pandemie ließ das in den vergangenen beiden Jahren nicht zu. Bekannte und Freunde indes wurden von Kaboth weiter bedacht. Auch in einer Bäckerei und in einer Buchhandlung ihres Stadtteils bietet sie einige Exemplare an.
Selbstredend empfangen prachtvolle Ostersträuße die Besucher der schmucken Wohnung: Zweige, an denen viele bunte Eier hänge. Neben den kunstvoll mit Ornamenten oder filigranen Bilder bemalten Stücken glänzen auch solche, die die beiden Enkeltöchter zum Beispiel mit Fingerfarben gestaltet haben. „Wenn die Kinder zu uns kommen, ist immer die erste Frage: Wann bemalen wir Ostereier?“, erzählt die Seniorin.
Von Geflügelzuchtvereinen der Umgebung bekommt sie zu den Hühnereiern auch solche etwa von Gänsen oder exotische wie die grünen Eier der Indio-Hühnerrasse Araucana. Nach dem Ausblasen bekommen einige Eier ein neues Innenleben: Aufgerollt auf einem Holzstäbchen stehen auf gefärbten Bändern Texte. Die Gedichte oder Sprüche können gelesen werden, wenn man Stück für Stück des Bandes vorsichtig durch eine gefräste Öffnung aus dem Ei zieht. Besonders gerne schreibt die Wieblingerin das Gedicht „Frühling lässt sein blaues Band, Wieder flattern durch die Lüfte“ von Eduard Mörike (1804-1875) auf die textile Textrolle – die dann gerne blau gefärbt ist. Die Idee der versteckten Botschaften im Ei stammt aus dem Biedermeier: Junge Männer sollen so ihrer Angebeteten diskret den Hof gemacht haben.
Liebesgrüße im Biedermeier
Auch dreidimensionale Szenen kann man in den Kunstwerken entdecken: Mit einer kleinen Fräse wird ein Fenster in die Schale geschnitten und Mini-Figuren oder Tiere in eine Pappmaché-Kulisse geklebt. Die Figuren sägt Kaboth aus Modellbauholz, Plastik kommt ihr nicht ins Ei.
Zum Auspusten der Eier – was bei einem größeren Gänseei schon richtig anstrengend sein kann – verwendet die 79-Jährige routiniert einen kleinen Blasebalg. Leere Produkte zu kaufen, wie sie auf Messen oder Ausstellungen angeboten werden, ist Kaboths Sache nicht. „Ganz“ kommt die Eiermasse hier in diesem Haushalt selten aus der Schale. Der Verzicht auf streng getrenntes Eiweiß und Eigelb macht indes an Ostern eine Pause: Da gibt es bei Kaboths nämlich „ganz normal“ gekochte und bunt gefärbte Hühnerprodukte ins Nest. „Ein Ostern ohne Ostereier, das ist für uns nicht vorstellbar“, sagt die Hobbykünstlerin lächelnd.
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