Ludwigshafen. Als Masha das Wort ergreift, hören die Besucher am Lutherplatz gebannt zu. Die Zwölfjährige ist in der Oblast Luhansk aufgewachsen, bis der Krieg Einzug hielt. „Die Feinde haben die Stadt ruiniert“, erzählt das Mädchen und meint die russischen Soldaten, die den Ort übernahmen.
Als Binnengeflüchtete kam sie nach Swjahel, seit Ende Dezember auch offiziell Partnerstadt von Ludwigshafen. In dem nordwestukrainischen Ort, der bis 2022 Nowograd-Wolynskyj hieß, schloss sich Masha einem Folklore-Ensemble an. Frühlings-, Oster- und Erntelieder gehören zum Repertoire der 2004 gegründeten Gruppe. Mit 13 weiteren Kindern und Jugendlichen, ebenfalls Mitglieder von „Malva“, gastiert sie seit dem 13. August in der Pfalz. Zwei Wochen lang treten die jungen Ukrainer an verschiedenen Orten auf und lernen die Partnerstadt kennen.
Die Ankunft am Bahnhof war nicht einfach. „Flugzeuge am Himmel haben die Kinder erschreckt“, erzählt Valentyna Sobetska, Organisatorin des Austauschs und Vorsitzende der Kinderhilfe Ukraine Rhein-Neckar. Tief sitzen die Kriegserfahrungen – fast alle Väter der Kinder sind an der Front. Auch Swjahel steht unter Beschuss. „Raketen haben Wohnhäuser zerstört“, berichtet Peter Runck, Geschäftsführer beim Internationalen Bauorden und mitverantwortlich für das Projekt. Ehefrau Sobetska beklagt: „Es wird versucht, unsere Kultur zu vernichten.“
Konzert vor dem Lutherbrunnen
Vor dem Lutherbrunnen geben die Sänger unter der Leitung von Halyna Kuchynska einen Einblick in traditionelles Liedgut, darunter Stücke der in Swjahel geborenen Nationaldichterin Lessia Ukrajinka. Ein großer Auftritt wartet am Sonntag: Ab 18 Uhr singt das Ensemble in der Matthäuskirche in Ludwigshafen-West.
Bereits am Freitagabend gab es eine Begegnung mit Künstlern aus aller Welt: Im Kulturzentrum dasHaus waren „Malva“ Special Guest beim Konzert mit „ETHNO“. So wichtig Musik auch ist: „Lieder werden keine Minenfelder räumen und Tänze keine Panzer stoppen“, betont Sobetska. Mit einem „Danke von ganzem Herzen“ würdigt sie die vielfältige Unterstützung – und bezieht Waffen ausdrücklich mit ein.
Jede ukrainische Flagge erfülle die Gäste mit Freude, die Solidarität sei ungebrochen, bestätigt Peter Runck. Doch auch umgekehrt empfindet man freundschaftlich: „Alle Einnahmen bei den Konzerten von ‚Malva‘ gehen an Bedürftige in Ludwigshafen“, verrät Jutta Steinruck. Spenden für die Suppenküche in der Apostelkirche statt für die gebeutelte Heimat – diese Aktion der Ukrainer hinterlässt Eindruck, nicht nur bei der Oberbürgermeisterin.
Das Gastgeschenk hat derweil Tradition: Chorleiterin Kuchynska übergibt der Rathauschefin ein „Korovai“, ein Brot, das auch bei Hochzeiten zum Einsatz kommt. Die Kinder und Jugendlichen aus Swjahel nehmen Präsent-Taschen mit.
Einen bewegenden Auftritt hat zum Abschluss Friedhelm Borggrefe: „Heute vor 80 Jahren kamen schon einmal Ukrainer nach Ludwigshafen“, erklärt der Theologe und Ehrenbürger. „Doch sie haben geweint, denn sie waren Zwangsarbeiter“, so die Erinnerung des ehemaligen Dekans an eine traurige Zeit. 13 Jahre war Borggrefe damals jung – genauso wie viele der Mitglieder des nun gastierenden Ensembles. Seine Botschaft an die jungen Ukrainer: „Freut euch, dass ihr diesen Tag erleben könnt, und behaltet ihn in Erinnerung, wenn ihr erwachsen werdet!“
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