Heidelberg. Von einem historischen Moment zu sprechen, wäre zwar stark übertrieben. Aber wir erfahren, dass beim Heidelberger Frühling erstmals eine Mutter ihren Sohn als Bühnenpartner mitgebracht hat. Es ist eine prominente Mutter: Lilya Zilberstein, als Pianistin ein Begriff, seit sie vor über 35 Jahren den Busoni-Wettbewerb gewonnen hat und in der Folge von der Deutschen Grammophon für Aufnahmen verpflichtet wurde. Auch das liegt schon lange Zeit zurück, inzwischen ist die Moskowiterin in Wien ansässig und vor allem pädagogisch tätig. Doch sie konzertiert noch, seit Jahrzehnten auch im Duo mit Kollegin Martha Argerich.
Anton Gerzenberg ein fast idealer Partner
Sohn Anton Gerzenberg ist in der Neuen Universitäts-Aula indessen gleichfalls ein fast idealer Partner. Auf dem Notenpult liegen die 21 „Ungarischen Tänze“, die von Brahms nach volkstümlichen Melodien (nicht: „authentischer“ Folklore) eingerichtet worden sind. Bekanntlich stammen nur die allerwenigsten vom Meister selbst, aber im vierhändigen Spiel sind sie zumindest wieder in der (Brahms’schen) Originalgestalt zu hören. Was verglichen mit den aufgeblähten orchestralen Varianten wie zurückgeschnitten auf den Haus- oder Salongebrauch erscheinen muss.
Die Tänze Nummer eins bis zehn, also den populären Teil der Sammlung, statten Zilberstein und Gerzenberg mit viel Rubato aus, die Tempo-Rückungen und Bremsphasen sind fast so prägend
wie bei Wiener Walzern. Zilberstein sitzt rechts, ist also zuständig für Oberstimme und Diskant. Und zeigt sich dabei ausgesprochen anschlagsvariabel, zartes Klingeln inklusive. Bei den Tänzen Nummer elf bis 21 gibt es, um die volle familiäre Symmetrie und Harmonie zu wahren, einen Platztausch: Nun hat Anton Gerzenberg den rechten Part. Die Klangbalance indessen rückt ein Stück nach links, zum Bassregister hin. Rubato gibt es tendenziell ein bisschen seltener. Doch dafür mehr versonnene, zurückgenommene Momente.
Brahms' Paganini-Variationen auswendig gespielt
Zilberstein und Gerzenberg haben auch je ein Solostück, das spielen sie dann auswendig. Und eine solche Umstellung sei durchaus etwas „schwierig fürs Gehirn“, erklärt die Mutter später, als sie mit dem Sohn zum Heidelberger Künstler-Talk erscheint. Der Sohn stimmt zu, erklärt zudem, dass er beim auswendigen Spiel die Brille abnehme: „Wenig zu sehen, ist sehr angenehm.“
Dass er sich blindlings in Brahms‘ „Paganini-Variationen“ stürze, einen Zyklus, der annähernd alles abverlangt, was der Klaviersatz zwischen parallel (bei manchmal maximalem Handabstand) und überkreuz so hergibt, muss man aber nicht befürchten. Seine technische Kontrolle ist brillant. Sein Nachdruck ebenfalls. „Ich wollte mal Vulkanologe werden“, sagt er später. Daraus wurde nichts. Aber den Lava-Strom der Brahms-Töne kanalisiert er trefflich.
Solo von Lilya Zilberstein
Lilya Zilberstein hat sich für ihren Solobeitrag eine Rarität gewählt - auch wenn diese vom Vielschreiber Carl Czerny stammt, verrufen als Etüden-Quälgeist vieler tausend
wehrloser Klavierschüler und Pädagoge in der „Schule der Geläufigkeit“, wie eine seiner Sammlungen von Übungsstücken heißt. Doch Zilberstein lässt derlei Vorbehalte hinter sich. Mit federleichtem, wiederum Diskant-betontem Anschlag. Ihre Obertöne glitzern. Und wenn Czernys Stück mit einem Jagd-Rondo zu Ende geht, in dem nicht kapitale Hirsche, sondern eher Hasen auf der Abschussliste stehen, liegt es nicht an ihr. Die Pianistin landet einen Treffer. Sie gewährt mit ihrem Sohn im Übrigen drei Zugaben.
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