Porträt

So hilft der Psychologe Illia Mstibovskyi in Heidelberg geflüchteten Ukrainern

Er möchte Mut geben und stark machen: Der 70-jährige Illia Mstibovsky bietet ehrenamtlich in Heidelberg zwei Gesprächskreise für Geflüchtete aus seiner Heimat, der Ukraine, an. Darum sprechen sie dort nicht über Politik

Von 
Michaela Roßner
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Geflüchtete aus der Ukraine haben oft schlimmer Ereignisse zu verarbeiten: Ein Mann verabschiedet sich hier von seiner fünfjährigen Tochter am Bahnhof von Kiew. © Emilio Morenatti

Heidelberg. Warme Augen, graues Haar, viel konzentrierte Aufmerksamkeit: Der Psychologe Illia Mstibovskyi ist mit seinen 70 Jahren zwar längst in einem Alter, in dem er seine Rente genießen und die Füße hochlegen könnte. Doch einmal in der Woche bietet er ehrenamtlich zwei Gesprächskreise für Geflüchtete aus seiner Heimat, der Ukraine, an.

Stark und zufrieden mit ihrem Leben machen möchte er die vorwiegend weiblichen Teilnehmer, die sich jeweils rund zweieinhalb Stunden im Bürgerzentrum Schlierbach und im Deutsch-Amerikanischen Institut in der Heidelberger Innenstadt treffen. „Feel good“ heißen die wöchentlichen Runden - aus dem Englischen Übersetzt bedeutet das „Sich gut fühlen“.

Selbst vor dem Krieg geflüchtet

Mstibovskyi ist ein erfahrener und anerkannter Gestalttherapeut und hat selbst viele Psychologinnen und Psychologinnen ausgebildet. Der Senior ist selbst vor dem Krieg geflüchtet: Bevor russische Truppen in die Ukraine einmarschierten, lebte Mstibovskyi in Kharkiv. Mit ihren rund 1,5 Millionen Einwohnern ist es die zweitgrößte Stadt der Ukraine. Eine Bildungsstadt wie Heidelberg, in der Studierende vor dem Krieg mehr als 42 Universitäten und Hochschulen besuchen konnten. Heute lebt der Psychologe im Neckartal und arbeitet als Coach.

Der Psychologe Illia Mstibovskyi (70) unterstützt geflüchtete Ukrainerinnen, in dem er pro Woche zwei Gesprächskreise im Deutsch-Amerikanischen Institut und im Bürgerhaus Schlierbach anbietet. © Michaela Roßner

In Mstibovskyis Gesprächsrunden kommen vor allem Frauen. „Es sind aber auch ein paar Männer dabei“, beschreibt er. Etwa 15 bis 20 Personen seien es meist, die sich jeweils zusammensetzen. „Manche sind jede Woche dabei und haben sich die Termine fest im Kalender markiert, andere müssen mehrfach persönlich eingeladen werden, bevor sie den Weg zu uns finden“, erklärt der Gesprächsleiter. „Am Schluss einer Sitzung sagen dann aber auch die anfangs Zögerlichen, dass es einfach gutgetan hat zu kommen, dass sie sich leichter fühlen und Energie getankt haben“, weiß der 70-Jährige von der heilsamen Wirkung des Sprechens.

Auch eine Frau aus Mariopol hat er erst überzeugen müssen, in die Runde zu kommen. Heute sei sie „Stammgast“: Mit dem Auto waren sie und ihr Mann mit ihren drei Kindern geflüchtet und unterwegs beschossen worden. Das Erlebte ließ sie nicht los. „Heute ist sie wieder selbstbewusst, lernt Deutsch und hat einen neuen Job.“

Neben Ukrainisch spricht der Gruppenleiter Russisch und Englisch - alle verstehen sich in ihrer jeweiligen Muttersprache.

Von Haus aus ist Mstibovskyi angewandter Mathematiker, IT-Spezialist und Betriebswirtschaftler. Doch mit 40 Jahren durchlebt er eine persönliche Lebenskrise, startet danach neu durch und studiert Psychologie. Später gründet er ein Ausbildungsunternehmen für Gestalttherapeuten. Die von Fritz und Laura Perls sowie Paul Goodman und anderen begründete Schule der Psychotherapie baut auf Bewusstheitsbildung und Gewahrsein (englisch: „awareness“) und will helfen, Gefühl und Selbstversorgung zu stärken sowie abseits von Problemen die eigenen Fähigkeiten auszuschöpfen.

Teilnehmer habe Angehörige verloren

Manche Teilnehmerinnen kommen mit teils nicht verarbeiteten traumatischen Erlebnissen in die Gesprächsrunden. Manche haben Familienangehörige verloren, saßen stundenlang in großer Angst in Kellern versteckt. Tiefere Therapie ist in der größeren Runde nicht möglich. „Wenn ich erkenne, dass eine Frau solche schwer traumatischen Erfahrungen mit sich herumträgt, versuche ich, sie - parallel zur Gruppenarbeit - in eine individuelle Therapie zu vermitteln.“

Seit mehr als einem Jahr bietet Mstibovskyi die Gespräche an. Manch schöne Geschichten kann er inzwischen erzählen - auch, weil die Unterstützung in der Stadt sehr gut sei, zeigt er sich dankbar. Auch die Kooperation mit dem Jobcenter laufe gut. Von einer Frau - deren Namen er nicht sagt -, die schwer verängstigt und in großer Sorge um ihre Zukunft hier ankam. Sie hatte lange mit ihrer Tochter in einer kleinen Garnisonsstadt ausgeharrt, als Raketen in Gebäude einschlugen, hielt sie es nicht mehr aus, und sie flüchtete, erzählt der Psychologe.

Auf der Suche nach dem privaten Glück

Sie sei mit Depressionen und schweren Schlafproblemen hier angekommen und habe nach den ersten Besuchen der „Feel good“-Gesprächsrunde eine Einzeltherapie gemacht. Heute sei sie eine lebendige, schöne Frau voller Lebenskraft, die demnächst ein Studium aufnehmen werde und auch ihr privates Glück zurückgefunden habe, sagt der Gestalttherapeut. Eine andere habe es durch die Flucht geschafft, sich von ihrem zurückgelassenen, gewalttätigen Ehemann zu befreien, sie lebe heute in einer neuen, liebevollen Partnerschaft.

Beziehungsfragen und Zukunftsfragen sind es vor allem, die die Teilnehmer der Gesprächsrunden beschäftigen. Aber auch praktische Dinge können belasten. Und so gibt es im Netzwerk auch Tipps, wie man Kontakt zu Offiziellen knüpft, und die Teilnehmerinnen teilen Alltagssorgen und Freizeitaktivitäten. Mstibovskyi bereitet sich auf die Treffen vor, gibt jedes Mal Anregungen - etwa zu Körperübungen oder in Rollenspielen, die den Teilnehmerinnen helfen sollen, wieder ganz zu ihrer eigenen Kraft zu kommen.

Politik wird meist ausgeklammert

Die Themen der Gesprächsrunden sind offen und ergeben sich aus dem, was den Teilnehmerinnen gerade besonders am Herzen liegt. Doch ein Thema spart Mstibovskyi bewusst eher aus: „Ich versuche, möglichst wenig über Politik zu sprechen - es brächte zu viel Angst und Stress in unsere Runde“, stellt der Psychologe klar.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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