NS-belastet

Neun Straßen und Plätze in Heidelberg könnten bald anders heißen

Sechs Jahre lang haben sich Experten mit der Geschichte von Persönlichkeiten befasst, die Straßen in Heidelberg ihren Namen geben. Neun Namen sollen gestrichen werden - andere dürfen bleiben

Von 
Michaela Roßner
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Bevor der neue Platz in der Bahnstadt nach dem Philosophen Hans-Georg Gadamer (1900-2002) benannt wurde, wurde 2017 dessen NS-Zeit diskutiert. © Philipp Rothe

Heidelberg. Jede Stadt ehrt Persönlichkeiten, in dem sie Plätze, Brücken und Straßen nach ihnen benennt. Und viele prüfen gerade, ob Schilder abmontiert werden müssen. Denn sie ehren Menschen, die etwa durch ihr Verhalten in der Kolonial- oder NS-Zeit als belastet gelten. In Heidelberg hat eine vom Gemeinderat auf den Weg gebrachte Kommission nun ihre Empfehlung vorgelegt: Die Namen von neun Personen sollten nicht mehr auf Schildern im öffentlichen Stadtraum auftauchen. Die Entscheidung liegt jetzt beim Gemeinderat.

Haberstraße in Heidelberg sollte Clara-Immerwahr-Straße heißen

Anlass: 2016 sorgte ein Antrag im Rat für Diskussion: Die Haberstraße sollte in Clara-Immerwahr-Straße umbenannt werden. Es konstituierte sich eine Kommission für Straßenbenennungen.

Kommission: Die Mitglieder der Arbeitsgruppe kommen aus Institutionen in Heidelberg mit Kompetenz in Geschichtswissenschaften – von der Ebert-Gedenkstätte über Stadtteilvereine bis zum Geschichtsverein. Ende Januar 2017 tagte die Kommission zum ersten Mal, insgesamt gab es 57 Sitzungen.

Umfang: Im Stadtgebiet gibt es rund 1000 Benennungen. 363 von ihnen sind Personen gewidmet. Zehn wurden bei der Entwicklung der Konversionsflächen überprüft, weitere zehn kamen erst nach 2017 und Prüfung hinzu – wie der Gadamerplatz

Prüfung: Bei 58 dieser nun 319 untersuchten Straßennamen wurden Belastungen deutlich. Zu diesen Fällen wurden Texte erstellt, die im Anhang des Kommissionsberichts nachgelesen werden können.

Umbenennung von Straßen in Heidelberg: Diese Namen sollen gestrichen werden

Analyse: Aus den 58 Namen wurden vier Prüfgruppen gebildet, wobei die größte Gruppe erwartungsgemäß Personen mit NS-Belastung ausmachten. Nach einem laut Information der Stadt „intensiven Abwägungsprozess“ wurden schließlich neun Personen identifiziert, bei denen empfohlen wird, eine Umbenennung anzugehen. Es sind:

  • Felix Wankel (1902-1988): Sein frühes und langjähriges Engagement in der NSDAP (1922-1932), darunter in leitenden Funktion in der Hitlerjugend, sei in der Gesamtheit der NS-Prüffälle durch „besonders starken Aktivismus“ hervorgestochen.
  • Fritz Haber(1868-1934): Der Chemiker und Erfinder der Ammoniaksynthese nach dem Haber-Bosch-Verfahren sowie Nobelpreisträger war ab 1915 leitend verantwortlich für das „Gaskampfwesen“ – und damit für Hunderttausende Tote durch Giftgas im Ersten Weltkrieg.
  • Marga Faulstich (1915-1998): Ein „hohes Maß an Aktivismus, der deutlich über den Durchschnitt politischer Anpassung in der Vergleichsgruppe hinausgeht, ist“, attestiert die Kommission auch dieser Technikerin, die zwar erst vergleichsweise spät, 1937, in die NSDAP eintrat, aber als langjährige „Ringführerin“ beim Bund Deutscher Mädel „Verantwortung für die Ausrichtung einer größeren Zahl Heranwachsender auf die politischen Ziele des Regimes trug“.
  • Rudolph Stratz (1864-1936): Der Schriftsteller bildet laut Kommission einen Sonderfall. Er habe sich schon während der Weimarer Republik mit völkisch-antidemokratischen Passagen in seinen Schriften hervorgetan und sei 1933 „ohne äußeren Druck“ der NSDAP beigetreten.
  • Reinhard Hoppe (1898-1974): Lehrer, Schulleiter und Historiker, verbreite laut Analyse Versatzstücke der NS-Ideologie in seiner „Ziegelhäuser Dorfgeschichte“.
  • Karl Kollnig (1910-2003): Der Soziologe, Pädagoge und Heimatforscher habe bei seinen lokalhistorischen Forschungen ebenfalls „auf das ideologisch aufgeladene Feld der Volkskunde gebaut“. Wie Hoppe Mitglied der NSDAP, sei das Minimalmaß des politischen Opportunismus auch bei Kollnig bereits ohne Betrachtung der Veröffentlichungen weit überschritten gewesen.
  • Friedrich Endemann (1857-1936): Beim Juristen und Hochschullehrer sieht die Kommission ein besonderes Belastungsmoment in seiner öffentlichen Werbung für die NSDAP vor der NS-Machtübernahme. Dies sei durch „eine starke Form des Aktivismus geprägt“, welche opportunistische Motive nicht erklärten. Dass Endemann der NSDAP selbst nicht beitrat, falle nicht ins Gewicht: Der im Ruhestand befindliche Professor habe unter keinem Anpassungsdruck gestanden.
  • Richard Kuhn (1900-1967): Auch der Chemiker und Hochschullehrer war kein Mitglied der NSDAP; auch seien bei ihm „weder Aktivismus noch Nutznießertum in einem über das Durchschnittsmaß hinausgehendem Umfang festzustellen“. In einem gravierenden Einzelfall allerdings habe er „durch persönliches Dazutun (Denunziation) eine scharfe Auslegung der antisemitischen Personalpolitik des Regimes im öffentlichen Dienst bewirkt“.
  • Ernst Rehm (1912-1983): Der Bankdirektor aus Kirchheim trat 1931 als 18-Jähriger der NSDAP bei. Mit seinem Eintritt in die SS nach der Machtübernahme habe er sein Engagement für den Nationalsozialismus bekräftigt.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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