Interview - Zum Auftakt des neuen Semesters spricht Studierendenvertreter Peter Abelmann über die Stimmung auf dem Campus, Folgen der Pandemie und der Amoktat.

Nach Amoktat und Pandemie: Hoffnungsvoller Start ins neue Semester an der Uni Heidelberg

Von 
Agnes Polewka
Lesedauer: 
Unbeschwerte Treffen in der Marstall-Mensa – Studierendenvertreter Peter Abelmann hofft nach zwei schweren Jahren auf mehr Normalität und Leichtigkeit. © Philipp Rothe

Heidelberg. Peter Abelmann (32) hat zum Wintersemester 2017/18 sein Studium an der Heidelberger Universität begonnen. In einer Zeit, als die Welt noch eine andere war. Im Interview spricht der Studierendenvertreter über die Auswirkungen der Pandemie, des Ukraine-Kriegs und der Amoktat in einem Hörsaal auf das studentische Leben. Über persönliches Wachstum, Trauer und die Kraft von Neuanfängen.

Herr Abelmann, zwei Jahre Pandemie, eine Amoktat an der eigenen Universität und der Ausbruch eines Krieges mitten in Europa – mit welchen Gefühlen sind Sie vergangene Woche in das neue Semester gestartet?

Peter Abelmann: Mit sehr gemischten Gefühlen. In den vergangenen beiden Jahren hat sich alles verändert. Gerade in der Studierendenvertretung schauen wir auf die turbulentesten Zeiten zurück, die man sich vorstellen kann. Auf echte Krisen. Und das hat uns natürlich verändert, geprägt.

Was hat sich verändert?

Abelmann: Vor der Pandemie, der Amoktat, dem Kriegsausbruch haben wir uns faktisch in einem sehr kleinen Kosmos bewegt. Dann kam Corona und wir haben die Verbindung zu anderen Studierenden verloren. Und dann die Amoktat. Ich musste mit Dingen umgehen, mit denen ich nie gerechnet hätte, die unbegreiflich sind, die mich zeitweise immer noch in einen Schockzustand versetzen, wenn ich darüber nachdenke, wie zufällig dieses Mädchen ausgewählt wurde und gestorben ist. Das ist surreal, vielleicht noch surrealer als kurz nach der Tat.

Kann es da noch ein Studentenleben geben, wie wir es einmal kannten?

Abelmann: Es ist tatsächlich so, dass wir älteren Semester nun zum ersten Mal viele Leute wieder sehen, manche auch zum ersten Mal überhaupt sehen. Vieles, was vor der Pandemie da war, ist verschwunden. Außer einigen wenigen Gesichtern. Das ist sehr komisch, sorgt für eine veränderte Sozialdynamik. Gleichzeitig sind da die Erstis, durch die ein frischer Wind durch die Universität weht. Und es gibt immer wieder Aha-Momente, in denen man sich selbst an alte Abläufe erinnert, die man fast vergessen hat. An Seminarregeln oder daran, dass es Antrittsvorlesungen von neuen Professorinnen und Professoren gibt.

Peter Abelmann

  • Peter Abelmann (32) ist seit Herbst 2020 Vorsitzender der Verfassten Studierendenschaft an der Heidelberger Universität.
  • Der 32-Jährige studiert Philosophie, Europäische Kunstgeschichte und Soziologie.
  • Peter Abelmann und seine Co-Vorsitzende Michèle Pfister haben sich nach der Amoktat in einem Hörsaal Ende Januar stark um die Aufarbeitung der Tat bemüht – mit Blick auf die Betroffenen und alle Studierenden der Universität. 

Verbirgt sich darin auch die Chance für einen Neuanfang?

Abelmann: Ich glaube, dass sich dieser fast schon natürlich einstellen wird. Das Studierendenleben, das es mal gab, wird zurückkehren. Aber es wird auch ein bisschen anders sein. Es sind einige Fäden gerissen, die wird man nicht mehr kitten können. Es wird einige Traditionen geben, die werden vielleicht nicht mehr wieder kommen, damit muss man leben.

Welche zum Beispiel?

Abelmann: Zum Beispiel einige kleine Gruppen, Chöre etwa, die sind verschwunden. Das ist jetzt so, wir können die Zeit nicht zurückdrehen. Gleichzeitig haben wir neue digitale Mittel gewonnen, die das Lernen verändern und uns verändern werden. Wir blicken in eine andere Zukunft als die, die wir uns vor der Pandemie vorgestellt haben, aber darin liegen auch Chancen. Und einige Dinge werden auch wieder so werden, wie sie waren.

Wie stark prägt die Erinnerung an die Amoktat Ende Januar das Leben der Studierenden noch?

Abelmann: Das ist ganz unterschiedlich. Wir haben einerseits das Thema Ukraine, das vieles überschattet und unglaublich fassungslos und betroffen macht. Die neuen Studierenden haben die Tat außerdem nicht unmittelbar mitbekommen und bei den übrigen ist es ganz verschieden. Die Reaktionen reichen von „Ich habe es nicht direkt miterlebt und möchte weitermachen“ bis hin zu anhaltender Trauer. Wir haben mit der Universitätsleitung verschiedene Projekte zur Aufarbeitung angestoßen, wir sind immer noch dran, aber das tun wir bedarfsabhängig.

Mehr zum Thema

Ermittlungen weitgehend abgeschlossen

Erkenntnisse zum Amoklauf in Heidelberg: Täter psychisch krank - Waffen mit Studienkredit bezahlt

Veröffentlicht
Von
Sophia Gehr
Mehr erfahren
Gedenkfeier

Hunderte Studierende gedenken der Opfer des Heidelberger Amoklaufs

Veröffentlicht
Von
dpa
Mehr erfahren
Interview

„Waffen sind der falsche Weg“

Veröffentlicht
Von
Jochen Gaugele
Mehr erfahren

Schon früh gab es die Idee, den Opfern der Amoktat zu gedenken. Wie weit sind diese Pläne vorangeschritten?

Abelmann: Die Universität hat sich in der Gesamtheit getroffen, also das Rektorat, die Studierendenvertretung, die Fakultät. Dabei haben wir uns auf verschiedene Dinge verständigt. Das Hörsaalgebäude, in dem alles passiert ist, soll in den kommenden Jahren umgebaut werden. Darin soll ein Ort geschaffen werden. Auch soll es andere Formen des Erinnerns geben, dazu sollen die Pläne bald veröffentlicht werden, wenn alle ihren Segen gegeben haben.

Der Hörsaal wird auf Wunsch der Studierenden und der Fakultät jetzt wieder genutzt …

Abelmann: Ja, weil er einfach gebraucht wird. Die Raumnot ist leider groß und eigentlich ist es ein sehr schöner und beliebter Hörsaal. Auch hier sind wir gezwungen, weiterzumachen – weil es einfach weitergehen muss.

Wie wirkt sich der Ukraine-Krieg auf das universitäre Leben aus?

Abelmann: Wir sind da in einem ganz engen Austausch mit der Uni-Leitung. Wir haben das Gefühl, dass es um die Bestandsstudierenden an der Uni halbwegs gut steht. Die Unterstützung ist angekommen, die Studierenden werden von uns und von der Uni unterstützt. Viele Studierende engagieren sich auch stark für die Flüchtlinge, die aus der Ukraine ankommen. Generell ist das Thema sehr präsent, ein Krieg mitten in Europa ist eine Zäsur, wie wir sie uns nicht hätten vorstellen können.

Wie geht es den ukrainischen Studierenden an der Heidelberger Uni?

Abelmann: Wir haben 80 Studierende aus der Ukraine hier in Heidelberg. Natürlich bewegt sie der Krieg sehr und wir versuchen, sie so gut es geht zu unterstützen, es gibt Beratungs- und Hilfsangebote und eine Referentin, die sich da stark kümmert. Wir bekommen auch Anschreiben von Studierenden aus der Ukraine an die deutschen Studierendenschaften, die um Hilfe bitten. Wir sind tief bewegt und involviert. Wir tun so viel, wie wir können, aber natürlich stoßen wir als Studierendenschaft auch immer wieder an Grenzen.

Grenzen, Trauer, Krisen – Sie und Ihr Team haben viel durch-gestanden. Was gibt Ihnen die Kraft, weiterzumachen?

Abelmann: Eigentlich unser unbändiger Wille, das Beste für die Studierenden zu tun. Dabei fokussieren wir uns auch immer wieder auf die positiven Momente, in denen wir immer die Hoffnung hochgehalten haben. Das ist etwas, das uns als Studierendenschaft aufrecht gehalten hat. Viele von uns kämpfen sich mit dieser Einstellung so durch und haben noch ihre eigenen Projekte, ihre ganz persönlichen Dinge, die für eine gute Zukunft, für ein positives Bild von der Welt stehen. Mich persönlich hält die von mir initiierte, unheimlich beliebte Theater-Flatrate aufrecht. Die Studierenden gehen ins Theater, sie erleben etwas und sie studieren auch noch. Das ist doch etwas Gutes.

Ein Studienbeginn markiert traditionell einen Meilenstein, einen Neuanfang im Leben eines Menschen, verbunden mit ganz viel Hoffnung und einem unbändigen Freiheitsgefühl. Ist das 2022 noch so?

Abelmann: Ich habe vor einigen Wochen gedacht: Vielleicht gibt es all das nicht mehr so, in dieser starken Ausprägung. Aber im Moment sehe ich dann doch keine Veränderung zu früher. Ich sehe, dass die Studierenden hoffnungsvoll sind, dass der Studienbeginn einen Neuanfang für sie markiert. Sie sind glücklich, an der Uni zu sein, an Veranstaltungen teilzunehmen. Sie füllen den Campus mit Leben, sie hoffen, hier Freunde oder einen Partner zu finden. Sie wollen einen Neuanfang – gedanklich, menschlich und sozial.

Kann das mitunter auch den anderen Studierenden helfen?

Abelmann: Sicher haben wir im Moment Defizite, die durch die Pandemie entstanden sind. Aber die, die neu anfangen, tragen all das in sich, was Generationen von Studienanfängern in ihrem Herzen getragen haben. Ich glaube, das ist auch das, was uns andere wieder aufleben lässt. Die Erstis erinnern uns daran, dass wir das alle ja auch gefühlt haben und dass es weitergeht. Dass es auch für uns einen Neuanfang geben kann.

Redaktion

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen