Ermittlungen weitgehend abgeschlossen - Narzisstische Persönlichkeitsstörung laut Polizei und Staatsanwaltschaft der Auslöser für die Bluttat in einem Hörsaal der Uni Heidelberg

Amoklauf in Heidelberg: Täter psychisch krank - Waffen mit Studienkredit bezahlt

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Sophia Gehr
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Die Ermittlungen zum Amoklauf in Heidelberg sind nahezu abgeschlossen. © Sebastian Gollnow/dpa

Heidelberg. Das Ermittlungsverfahren zum Amoklauf in einem Hörsaal der Universität Heidelberg nähert sich dem Abschluss. Das gaben die Staatsanwaltschaft Heidelberg und das Polizeipräsidium Mannheim am Donnerstag in einer gemeinsamen Pressemitteilung bekannt. Der verstorbene 18-jährige Täter war ein Einzelgänger. Wie die Ergebnisse laut Polizei und Staatsanwaltschaft zeigen, soll er keine sozialen Bindungen zu seinen Mitstudierenden gehabt haben. Der 18-Jährige hatte am 24. Januar mit zwei Langwaffen eine 23 Jahre alte Studentin getötet, insgesamt acht weitere Studierende verletzt und sich anschließend selbst erschossen. Noch am selben Tag hatte die Kriminalpolizeidirektion Heidelberg die 32-köpfige Ermittlungsgruppe „Botanik“ gegründet.

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Der 18-jährige Student handelte bei der Amoktat allein. Es gab keine Mittäter, bewussten Helfer oder Anstifter. Hinweise für sonstige Mitwisser, die der Verstorbene in seinen Tatplan eingeweiht haben könnte, fanden sich laut Polizei und Staatsanwaltschaft ebenfalls keine. Das Tatmotiv konnte nicht mit letzter Sicherheit geklärt werden. Indes spreche aber einiges dafür, dass der Täter sich mit der Amoktat für eine in seiner Vorstellungswelt erlittene Kränkung habe rächen wollen, heißt es weiter in der Mitteilung.

Narzisstische Persönlichkeitsstörung diagnostiziert

Im Zeitraum 2018 bis Anfang 2020 hatte sich der verstorbene Täter in ambulanter psychiatrischer und psychotherapeutischer Behandlung befunden. In der zweiten Hälfte des Jahres 2018 war er für mehrere Wochen und Anfang 2019 für einige Tage stationär psychiatrisch behandelt worden. Für die Aufnahme in das Krankenhaus hatten laut Angaben der Polizei und Staatsanwaltschaft jeweils akute Suizidvorstellungen oder sogar -versuche des Täters eine Rolle gespielt.

Bei den Entlassungen waren dem Täter unterschiedliche psychiatrische Störungen bescheinigt worden – unter anderem eine narzisstische Persönlichkeitsstörung, die nach Einschätzung seiner Behandler mit starker Verminderung des Selbstwertgefühls und der Fähigkeit, Kritik zu akzeptieren, und folglich starker Steigerung der Kränkbarkeit des damals 15-jährigen Jugendlichen einhergegangen war. Diese narzisstische Persönlichkeitsstörung soll nach Einschätzung eines durch die Staatsanwaltschaft hinzugezogenen forensischen Psychiaters maßgeblicher Grund für die Tat sein.

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Eine persönliche Beziehung des Täters zu den Opfern konnte nicht festgestellt werden, ebenso wenig ein konkret durch diese Personen vermittelter Tatanlass. Allerdings lassen Beweismittel, die bei der Durchsuchung der Wohnung des Täters aufgefunden wurden, auf dessen intensive Befassung mit Videospielen des Typs „Egoshooter“ schließen. In den Monaten vor der Amoktat fertigte er zunehmend Screenshots aus seinen Videospielen an, die realistisch aussehende getötete Menschen zeigen.

Bis zuletzt hätten sich keine belastbaren Anhaltspunkte für ein politisches, namentlich rechtsradikales Tatmotiv ergeben, so Polizei und Staatsanwaltschaft weiter. Nach Abschluss der Ermittlungen ist davon auszugehen, dass sich der Täter im Jahr 2019 einmalig für eine Fördermitgliedschaft in der Partei „Der III. Weg“ interessiert, eine solche aber nie erhalten hatte, und darüber hinaus weder zu dieser Partei noch sonst in die rechtsradikale Szene Kontakte pflegte.

Der 18-jährige Täter war im Juli 2021 für sein Studium der Biowissenschaften an der Universität Heidelberg nach Mannheim gezogen.

Tat spätestens seit Dezember 2021 geplant

Verschiedene Indizien legen laut Mitteilung vom Donnerstag nahe, dass der 18-Jährige seine Tat spätestens seit Dezember 2021 geplant hatte. Zunächst habe er zur Ausführung der Tat wohl erwogen, einen Jagdschein zu erwerben, und erkundigte sich Mitte Dezember im Internet bei einem Anbieter von Jagdausbildung nach dessen Konditionen. Inwieweit dieses Interesse tatsächlich zeitweise bestand oder ausschließlich vorgetäuscht wurde, um Waffen zu erwerben, lässt sich laut Polizei und Staatsanwaltschaft nicht mit letzter Sicherheit sagen. Ende Dezember 2021 beantragte der Täter einen Studienkredit in Höhe von rund 7.500 Euro. Mit diesen Mitteln bestritt er – so die Ermittler - später „alle für den Erwerb der Schusswaffen erforderlichen Aufwendungen.“

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Die Waffen kaufte der Täter von einem Privatverkäufer aus Wien sowie in einem dortigen Waffengeschäft. Auch die Übergabe der Waffe des Privatverkäufers fand in diesem Waffengeschäft statt. Der Kontakt war per Mail entstanden. Im Wiener Waffengeschäft war ihm neben der Waffe des Privatverkäufers eine Schrotflinte übergeben worden, mit der der Täter letztlich Suizid beging, sowie ein Unterhebelrepetiergewehr, mit dem er die Schüsse im Hörsaal abgab. Die zunächst von dem Privatverkäufer erworbene Waffe beließ der Täter in dem von ihm angemieteten Hotelzimmer in Wien.

Gegenüber dem Waffengeschäft, dem Privatverkäufer aus Wien sowie weiteren Personen in Österreich, die der 18-Jährige kontaktierte, um an Schusswaffen zu gelangen, gab er sich als angehender Jäger aus. Die nach österreichischem Waffenrecht geltenden formalen persönlichen Voraussetzungen des Erwerbers wurden laut Mitteilung der Polizei und Staatsanwaltschaft vom Täter erfüllt.

Ermittlungsverfahren gegen Wiener Waffengeschäft eingeleitet

Trotzdem sieht die Staatsanwaltschaft Heidelberg einen strafrechtlichen Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung und der fahrlässigen Körperverletzung gegen den Inhaber des Wiener Waffengeschäftes und seinen Mitarbeiter, der den Täter bediente. Denn bei korrekter Einhaltung der sogenannten „Abkühlphase“ von drei Tagen, die zwischen dem Abschluss des Kaufvertrages über die Waffe und deren Übergabe an den Käufer liegen muss, wäre der 18-Jährige zum Tatzeitpunkt noch nicht im Besitz der beiden Waffen gewesen und hätte die Amoktat – jedenfalls zur gegebenen Zeit und in der gegebenen Art und Weise – nicht ausführen können.

Die Staatsanwaltschaft Heidelberg hat daher Ermittlungsverfahren gegen die beiden in Österreich wohnhaften Personen eingeleitet. Derzeit gelten die beiden Personen als unschuldig.

Redaktion Online-Redakteurin, zudem zuständig für redaktionelle Videos

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