Ein würziges Röstaroma umfängt jeden Besucher, der die Glastür zum Laden von „Janssen Kaffee“ in der Hauptstraße 29 in Heidelberg öffnet: Kaffeebohnen, frisch und auf den Punkt erhitzt und abgekühlt. Seit 90 Jahren ist das so. Doch Ende April soll Schluss sein: Inhaberin Eva Klinge, die das Geschäft in dritter Generation leitet, möchte ihr Leben als Rentnerin nun „etwas ruhiger angehen lassen“.
Die Nachricht hat sich in der Stadt so schnell verbreitet wie der frische Kaffeeduft beim Röstvorgang im Geschäft: „Viele Stammkunden wollen noch ihre Vorräte aufstocken“, freut sich die Geschäftsfrau über rege Nachfrage. Wöchentlich komme im Moment neue Ware an, vor allem aus Südamerika und dem tropischen sowie subtropischen Afrika werden die Bohnen über Importeure geliefert.
„Kaffee ist ein sehr spannendes Thema“, findet Klinge. Der Stoff, aus dem das braune Getränk aufgegossen wird, wird an der Terminbörse gehandelt. „Da hatten wir die Börsenkurse immer im Blick und auch die Situation in den jeweiligen Ländern“, verweist die „Janssen Kaffee“-Inhaberin auf die politischen und Welthandelsaspekte ihrer Ware. Dass eine Kaffeebohne, die zu Millionen grün in Jutesäcken angeliefert wird, aus mehr als 300 000 Zellen bestehen soll, übersteigt die menschliche Vorstellungskraft.
Gleichzeitig erklärt es das immense Aroma, das ein Löffelchen gemahlenen Kaffeepulvers gemeinsam mit heißem Wasser zu entfalten vermag. Doppelt so viele natürliche Aromastoffe wie Wein kann Kaffee vorweisen. Und diese Geschmacksgeber sind sehr geprägt von der Anbauregion und den Klimaverhältnissen. Während der Röstung setzen sich Aminosäuren und Zucker neu zusammen, die Würze des Kaffees entsteht.
Neun Minuten bei 220 Grad und dann ist eine Abkühlung fällig
Auf bis zu 220 Grad werden die Bohne in einer riesigen Trommel erhitzt, die man hinter der Glasscheibe vom Laden aus sehen kann. Eine Art Riesen-Wok mit Deckel holt dann etwa neun Minuten später schnell die frisch gerösteten Bohnen aus der Hitze zurück, damit das Rohmaterial nicht durch Nachhitze „auslaugt“. Die großen Metallbehälter, in denen die Kaffeebohnensorten lagern, stammen noch aus den Jahren, in denen Klinges Großvater Wilhelm Janssen die Fäden in der Hand hielt. Er hatte am 9. September 1933 in der Hauptstraße 16 – ein paar Meter neben der aktuellen Adresse – ein Kaffee- und Teegeschäft mit eigener Röstung eröffnet.
Mit Ausbruch des Zweiten Weltkriegs begannen schwere Zeiten, nicht nur für den Familienbetrieb. Statt Kaffee wurde Kaffeeersatz, Getreidekaffee, aufgebrüht – und selbst den gab es nur auf Lebensmittelbezugskarten. Die Rösterei ruhte, das Geschäft wurde als Lebensmittelgeschäft weitergeführt und nahm eine Feldpoststelle auf. Mit dem Kriegsende blühte der Schwarzmarkt und Janssen Kaffee bekam Aufträge für Lohnröstungen.
Dann kehrte Horst Klinge, der Stiefsohn des Firmengründers, aus der Kriegsgefangenschaft zurück und arbeitete im Laden mit. Zehn Jahre später, am 30. August 1958, zog das Geschäft in das Gebäude mit der Hausnummer 29 um. Wo früher die Weinkellerei Überle ihren Sitz hatte, bekam die Kaffeerösterei nun mehr Platz. Im ehemaligen Weinkeller hatten die Bohnen einen perfekten Platz, da das Gewölbe das ganze Jahr über eine gleichbleibende, kühle Temperatur sichert. Die heutige Inhaberin wuchs im Kaffeeladen auf, sie half in Stoßzeiten gerne, die Kundschaft zu bedienen. Für sich selbst indes wählte sie einen anderen Berufsweg und absolvierte eine Ausbildung im Verlagswesen und ein BWL-Studium.
Ihr Lieblingskaffee kommt aus Äthiopien
Dann ein Schicksalsjahr: 1994 dachte ihr Vater darüber nach, den Laden zu schließen. „Das Entsetzen war groß in Heidelberg“, erinnert sich die Tochter, die damals in Wiesbaden lebte. Sechs Wochen vor der geplanten Schließung rief sie ihren Vater an – und übernahm das Unternehmen. Vieles blieb über all die Jahre unverändert. Die gelben Papiertüten, in denen die Bohnen oder das frisch gemahlene Kaffeepulver abgewogen werden und die immer noch den Namen des Firmengründers Wilhelm Janssen tragen etwa. Ein Stehausschank wäre sicher ein Erfolg geworden. „Das wollten wir nicht, wegen des vielen Mülls, der mit den Pappbechern entstanden wäre.“ Irgendwie sei „Janssen Kaffee“ wohl immer „hinter Trends zurückgeblieben und gleichzeitig Trends vorausgegangen“. Und so könnte der Laden auch als „Urmutter der Unverpacktläden“ betrachtet werden: In Plastik ist hier nichts gehüllt, dafür füllen die Mitarbeiterinnen die Bohnen gerne in mitgebrachte Gefäße ab. Vater Horst blieb helfend an Klinges Seite, „bis vier Tage vor seinem Tod“.
Ihr eigener Lieblingskaffee kommt aus Äthiopien und ist selbstverständlich mit im Sortiment. „Die Bohne wachsen in Äthiopien wie wild auf Bäumen, während in Kaffeeplantagen die Pflanzen als Büsche kleingehalten werden“, erklärt Klinge das ganz besondere Aroma.
Vier Mitarbeiterinnen arbeiten noch bei „Janssen Kaffee“. „Sie haben alle schon gute Jobangebote“, macht sich die Chefin diesbezüglich keine Sorgen.
Den Kaffeeduft, der durch alle Räume vom Laden bis ins Büro wabert, rieche man nicht mehr, wenn man den ganzen Tag hier arbeite. „Aber wenn man wieder neu hereinkommt“, sagt Klinge lächelnd. Auch das wird sie sicher bald ganz schön vermissen, trotz all der neuen Freiheiten als Rentnerin und ohne ständige Sechstagewoche. Und was wird aus dem Laden? Da wird Klinge auf jeden Fall ein gewichtiges Wort mitreden. „Kein Handyladen, kein Brillengeschäft – und kein Fastfood“, verspricht sie.
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