Heidelberg. „Ich habe wie jeden Tag Pakete angenommen und aufgelistet. Die, auf denen kein Name eines Mitarbeiters oder einer Abteilung stand, musste ich aufmachen, um den Lieferschein rauszuholen“, berichtet der 44 Jahre alte Mitarbeiter von ADM Wild in Eppelheim, der am 16. Februar durch die Explosion einer Paketbombe verletzt wurde. Vor dem Heidelberger Landgericht hat am Mittwochmorgen der Prozess gegen einen 66-Jährigen aus Ulm begonnen. Er soll mit dieser und zwei weiteren explosiven Sendungen versucht haben, drei Unternehmen zu erpressen.
An jenem 16. Februar hatte der Lagerist in Eppelheim bis gegen 11 Uhr bereits zehn Pakete fertiggemacht. „An dem Tag war ich allein, sonst sind wir zu zweit.“ Dann sei noch ein letztes Päckchen zu bearbeiten gewesen: „Es war etwas dicker als ein Brief und etwa Din A4 groß – es sah aus wie ein Bücherkarton.“ Als Absender soll „Maria Schwarz“ draufgeschrieben gewesen sein. „Ich musste es aufmachen. Dann dachte ich, ich fliege 20 Meter hoch, es war alles schwarz und voller Rauch.“ Seit 25 Jahren arbeite er dort. „So etwas habe ich noch nie erlebt“, fügt der Lagerist fassungslos hinzu. „Ich bin froh, dass ich mich nicht drüber gebeugt, sondern das Paket vor mir geöffnet habe.“
Mit einer Schnittverletzung im Gesicht sowie einem Knalltrauma wurde er ins Krankenhaus gebracht. Ein Splitter traf ihn an der Stirn. „Wenn das ins Auge gegangen wäre, wäre ich heute blind.“ Drei Monate war der Lagerist wegen der Beschwerden arbeitsunfähig. „Ich mochte nichts mehr essen und nichts mehr trinken“, beschreibt er die Folgen des Traumas. Und heute? „Ich habe immer noch Probleme zu schlafen, ziehe mich von Freunden zurück. Ich bin ein anderer Mensch geworden.“ Einen Arbeitsplatzwechsel habe er indes nicht haben wollen: „Ich liebe meinen Job“, berichtet der 44-Jährige.
Der 66-jährige Angeklagte verschränkt beide Arme vor dem Körper und schaut mit geneigtem Kopf derweil starr vor sich auf den Tisch. Einen Blickkontakt mit dem Zeugen vermeidet er. Der mutmaßliche Briefbomber bestreitet die Vorwürfe. Der 66-jährige pensionierte Elektriker aus Ulm gibt eine kurze Erklärung ab und lässt keine weiteren Fragen zu. „Ich bin nicht die von Ihnen gesuchte Person“, sagt der Deutsche. Er sei auch nicht derjenige, der auf einem Video aus einer Ulmer Postfiliale zu sehen ist, in der die drei Sendungen aufgegeben worden waren. Zu dem Zeitpunkt sei er zu Hause gewesen. Mit der Justiz habe er „noch nie im Leben zu tun gehabt“. Er habe noch nie einem Menschen Schaden zugefügt, beteuert der Mann, der zwischen seinen Verteidigern noch kleiner wirkt als er ohnehin ist. Im Ehrenamt habe er sich unter anderem mehrere Jahrzehnte lang für behinderte Menschen eingesetzt. „Ich bin ein anständiger Bürger und hoffe auf Gerechtigkeit“, beendet der gelernte Elektriker seine kurze Erklärung.
Die Staatsanwaltschaft wirft dem Deutschen das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, gefährliche Körperverletzung und versuchte schwere Körperverletzung vor. Ihm droht eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren. Für das Verfahren sind laut Gericht elf Fortsetzungstermine bis Mitte November geplant. 47 Zeugen und drei Sachverständige sind geladen. Zwei Tage nach dem Eppelheimer Fall verletzte ein Paket in Neckarsulm zwei Mitarbeiter von Lidl. Ein drittes Pappgebinde mit versteckter Sprengzündung, das an Hipp in Bayern gerichtet war, wurde abgefangen, bevor es explodierte.
Mehrere Kriminalbeamte geben Einblick in ihre Recherchen. Die drei explosiven Sendungen seien als Päckchen aufgegeben worden und deshalb nicht leicht zurückzuverfolgen. Über die Notizen des Lageristen, er hatte von allen Sendungen unter anderem die letzten vier Ziffern der Sendungsnummer vermerkt, und einem Foto des Päckchens, das in der Paketzentrale gefertigt wurde, stießen die Ermittler auf den Code der Postfiliale in Ulm, wo diese mit unterschiedlichen – erfundenen – Absendern aufgegeben worden waren.
Aufwendiger Indizienprozess
Es sieht alles nach einem aufwendigen Indizienprozess aus. Im Verlauf der nächsten Verhandlungstage sollen unter anderem Katzenhaare eine Rolle spielen. Sie hingen offenbar an einem Karton und wurden in einem Labor in den Niederlanden analysiert. „Haben Sie oder Ihre Kollegen eine Katze?“ fragt Steffen Lindberg, einer der beiden Verteidiger, vorsorglich einen Kriminaltechniker. „Mein Kollege hat einen Hund, keine Katze“, antwortet der ruhig.
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