Das „rote Mannheim“ – über Jahrzehnte, ja Jahrhunderte gilt es als politisches Naturgesetz, dass hier die Sozialdemokraten das Sagen haben. Historisch lässt sich das belegen, denn Mannheim ist eine wichtige Geburtsstadt der Arbeiterbewegung und damit auch ein bedeutender Ort der Demokratiegeschichte.
Viel früher als anderswo organisieren sich in Mannheim die Beschäftigten, nämlich bereits in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Kaum lösen sich die Zünfte auf, schon bilden sich – Unterlagen aus dem Marchivum zufolge – erste Zusammenschlüsse von Gesellen. Schon 1844 ist in Mannheim die Gründung eines Arbeitervereins belegt. Er agiert aber noch nicht politisch oder gewerkschaftlich, sondern dient in erster Linie der gemeinsamen Weiterbildung. Im Vereinslokal im „Kleinen Mayerhöfel“ befindet sich daher sogar eine eigene Vereinsbibliothek.
Im Hinterzimmer sollen aber auch die Bilder der Revolutionäre Friedrich Hecker und Gustav Struve gehangen haben. Das wird dem Verein zum Verhängnis, denn noch vor dem Ausbruch der 1848er Revolution, nämlich 1847, wird er verboten.
Aber die Ideen lassen sich nicht verbieten. In H 2, 3, in der damaligen Gastwirtschaft „Halber Mond“, treffen sich während der badischen Revolution 1849 die Arbeiter, und hier liegen die Einschreiblisten für das Mannheimer Arbeiterbataillon aus. Das Scheitern der Revolution bedeutet zwar einen Rückschlag für die demokratische Arbeiterbewegung, aber die immer stärker werdende Industrialisierung mit ihren oft schwierigen Arbeitsbedingungen führt am 23. April 1861 auf Initiative des Schuhmachers Johann Peter Eichelsdörfer (1829-1889) zur Gründung eines Arbeiter-Bildungs-Vereins – die erste derartige Organisation auf badischem Boden.
Am 28. September 1862 feiert er seine Fahnenweihe, und das von Eichelsdörfer ab dem 1. Juni 1867 in Mannheim herausgegebenen Presseorgan „Deutsche Arbeiterhalle“ wird das erste gemeinsame Sprachrohr der deutschen Arbeitervereine.
Wachsende soziale Missstände sorgen in genau diesem Jahr dafür, dass es den Mitgliedern nicht mehr reicht, gemeinsam Bücher zu lesen und ins Theater zu gehen. Aus den Arbeiterbildungsvereinen werden kämpferische Organisationen. Nachdem Ferdinand Lasalle im Mai 1863 in Leipzig den „Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein“ (ADAV) ins Leben ruft, treffen sich Mannheimer Arbeiter 1867 im „Goldenen Hirsch“ in S 1, um sich dieser Bewegung anzuschließen. Im Herbst 1868 gründen sie tatsächlich die erste badische Sektion des ADAV. Dass am 1. November 1868 die „Neue Badische Landeszeitung“ darüber berichtet, wertet etwa Gerhard Noack, der die Geschichte der Mannheimer SPD aufgearbeitet hat, als „erste urkundliche Erwähnung“ der Partei in Mannheim.
Natürlich erleben die Mannheimer Sozialdemokraten all die deutschlandweiten Spaltungen und internen Machtkämpfe der Anfangsjahre ebenso mit, wie sie unter den Konflikten mit der Bismarck-Regierung leiden. Aber immerhin wird hier ab 1877 mit dem „Badisch-Pfälzischen Volksblatt“ die erste regelmäßig erscheinende Zeitung der badischen Sozialdemokraten herausgegeben. Verantwortlich ist August Dreesbach, der 1890 als erster badischer Sozialdemokrat in den Reichstag einzieht. Ab diesem Jahr heißt die Partei offiziell SPD. 1904 wird in Mannheim in S 4, 8-9 im Gasthaus „Zur Bergstraße“ der Verband junger Arbeiter Mannheims gegründet, laut Marchivum der erste deutsche Arbeiterjugendverein. Und als sich mehrere solche örtliche Organisationen zusammenschließen zum Verband junger Arbeiter Deutschlands, nimmt der seinen Sitz in Mannheim.
Ob bei Reichstagswahlen, Wahlen für den Landtag oder den Bürgerausschuss (später Gemeinderat) – die SPD fährt hier stets große Erfolge ein und begründet so den Mythos vom stets „roten Mannheim“. 1911 erzielt sie bei den Kommunalwahlen 72 Prozent (!), 1914 ist sie mit 7655 Mitgliedern der mit Abstand größte Ortsverein in Baden. Auch bei den Wahlen zur verfassungsgebenden Versammlung in Weimar 1919 liegt in Mannheim die SPD weit vorne.
SPD ist über Generationen die stärkste Partei
Mit dem 1928 gewählten Hermann Heimerich ist der erste Oberbürgermeister, der einer Partei angehört (zuvor sind es Verwaltungsfachleute oder Unternehmer) ein Sozialdemokrat. Allerdings jagen den die Nationalsozialisten 1933 aus dem Amt, und die SPD wird verboten. „Die rote Hochburg Mannheim ein Trümmerhaufen!“ meldet 1933 daher das Nazi-Blatt, und das mit dem Trümmerhaufen entwickelt sich im Zweiten Weltkrieg für die gesamte Stadt zur bitteren Realität.
Nach dem Zweiten Weltkrieg wird die SPD bei den ersten Kommunalwahlen 1946 wieder stärkste Partei. 1948, bei der ersten Volkswahl eines Oberbürgermeisters nach dem Krieg, gewinnt der Sozialdemokrat Fritz Cahn-Garnier, nach dessen plötzlichem Tod 1949 Hermann Heimerich ins Rathaus zurückkehrt.
Über Jahrzehnte hinweg stellt die SPD die Inhaber der Mannheimer Direktmandate für den Bundestag, sind die Sozialdemokraten die prägende Kraft mit über 40 Prozent der Stimmen bei Gemeinderatswahlen, und es gibt legendäre Großkundgebungen in Eisstadion oder Multihalle. Die SPD-Oberbürgermeister Ludwig Ratzel (1972-1980) und Gerhard Widder (1983-2007) drücken der Stadt ihren Stempel auf, ebenso die Benz-Gesamtbetriebsratsvorsitzenden Herbert Lucy und Karl Feuerstein, zugleich lange führende Köpfe der SPD. Dass die SPD mal auf 18,5 Prozent sinkt und nur drittstärkste Kraft im Gemeinderat ist, wie derzeit, und der SPD-Fraktionschef Rolf Götz hinter sieben CDU- und Grünen-Bewerbern erst an achter Stelle der Einzelstimmen auftaucht, wäre bei ihnen undenkbar gewesen. Es waren eben andere Zeiten.
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