Umwelt - Zum Abschluss der weltweiten „Fashion Revolution Week“ baut das Eine-Welt-Zentrum eine Textilfabrik auf dem Uniplatz auf

Knöpfe annähen im Akkord: Was man in der Textilfabrik auf dem Uniplatz lernen kann

Von 
Michaela Roßner
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Schülerinnen schlüpfen in die Rolle von Arbeiterinnen in Textilfabriken: Vorarbeiter Mick Dolshenko (v.l.) schaut Shana und Anna über die Schulter. © Christoph Bluethner

Heidelberg. Wie wird ein T-Shirt produziert? Welchen ökologischen Fußabdruck hat eine Jeans? Und was verdient eine Arbeiterin in einer Textilfabrik in Indien oder China? Jede Menge Antworten auf diese Fragen gab es gestern auf dem Heidelberger Universitätsplatz. Zum Abschluss der „Fashion Revolution Week“ baute das Eine-Welt-Zentrum Heidelberg unter anderem eine Textilfabrik auf. Mit der Aktionswoche wird an den 24. April 2013 erinnert, als beim Einsturz des achtstöckigen Gebäudes Rana Plaza in Bangladesch, bei dem mehr als 1000 Menschen starben. Das Unglück löste weltweit eine Debatte über die Missstände der globalen Textilindustrie aus.

Ökologischer Fußabdruck

  • Die „Fashion Revolution Week“ findet jährlich weltweit zum 24. April statt, dem Jahrestag des Einsturzes des Gebäudes Rana Plaza mit mehreren Textilfabriken in Bangladesch im Jahr 2013.
  • Jeder Deutsche kauft im Schnitt pro Jahr 60 Kleidungsstücke. 40 Prozent davon werden kaum oder wenig getragen.
  • Die Bonner Frauenrechtsorganisation Femnet gibt Infos zu den Produktionsbedingungen von Mode (www.femnet.de).
  • In einem Kilo Textilien stecken 400 bis 1000 Gramm Chemikalien. Pro Kilo Baumwolle werden 3000 bis 7000 Liter Wasser benötigt.
  • Vier Milliarden Tonnen CO2-Ausstoß jährlich lassen sich der globalen Bekleidungs- und Schuhindustrie zuordnen.
  • Der CO2-Fußabdruck eines T-Shirts wird auf elf Kilogramm geschätzt.
  • Die meisten Kleidungsstücke bestehen aus Mischfasern. Ihre Herstellung benötigt viel Energie und Recycling ist schwierig (Quelle: Femnet).
  • 90 Prozent der Arbeitenden in der Textilindustrie sind Frauen.

In einem großen weißen Partyzelt sind Produktionsreihen aufgebaut. An Biertischen und -bänken sitzen Siebt- und Achtklässler der Humboldt-Realschule in Eppelheim. Anna (13) und Shana (14) blicken konzentriert auf die Nähmaschinen vor ihnen. Im Akkord müssen sie Taschenbeschläge für Jeanshosen nähen. Ariane Fröhlich und Maike Nestle vom „Globalen Klassenzimmer“ des Eine-Welt-Zentrums haben die Stationen vorbereitet.

Harte Arbeitsbedingungen

„Vorarbeiter“ Mick Dolshenko läuft vorbei, stellt sich hinter sie und ermahnt, akkurater und schneller zu nähen. Neun Minuten dauert dieser „Arbeitstag“ der Schülerinnen, der ihnen eindrücklich zeigt, wie auch ihre Klamotten hergestellt werden. „Das ist ja Kinderquälerei“, schimpft ein Klassenkamerad, der am Ende des Zeltes recht schwere Kartons transportieren soll. Sandra Hartung und Mirjam Kammer, Lehrerinnen der Humboldt-Realschule, sind sehr angetan vom „Globalen Klassenzimmer“, in dem ihre Schüler nicht nur „Arbeitsplätze“ zugewiesen bekommen, sondern zum Abschluss die berührende Dokumentation dreier Modeblogger aus Norwegen sehen, die einen Tag in einer Textilfabrik in Kambodscha mitarbeiteten.

Wenig Lohn

Lukas und Johannes, zwei ehrenamtliche „Teamer“, sprechen danach mit den Schülern über verschiedene Aspekte der Dokumentation. „Was versteht man unter fairer Kleidung?“ fragt Lukas. „Wenn der Preis fair ist“, antwortet ein Schüler. „Fällt euch noch jemand ein, für den der Preis von Kleidung fair sein sollte?“, hakt Lukas nach. „Für die Arbeiterinnen“, meldet sich eine Klassenkameradin zu Wort. „Genau, damit sie nicht jeden Tag Knoblauchsuppe essen müssen“, fasst der „Teamer“ zusammen.

Das nämlich haben die Schüler ebenfalls an diesem Mittag gelernt: der Lohn für einen zehn oder elf Stunden langen Arbeitstag reicht nicht aus, um sich abwechslungsreich zu ernähren. Denn von den paar Dollars, die es am Ende gibt, wird gleich ein Batzen für Miete und Gesundheitsvorsorge abgezogen. Oft reiche es nur für ein Wassersüppchen mit etwas Gemüse und Knoblauch, haben die Blogger aus Norwegen in dem Film berichtet.

Der BUND hatte einige Tage zuvor zu einer Kleidertauschparty geladen, das Altstadt-Jugendzentrum „CityCult“ organisierte einen Upcycling-Workshop mit Tipps, was aus ausgedienten Jeans noch gemacht werden kann. AES – Alltagskultur, Ernährung und Soziales – heißt das Schulfach, in das der Besuch der fiktiven Textilfabrik eingebunden ist. Vor dem großen weißen Partyzelt empfängt ein Kleiderberg die Klassen und anderen Besucher. 60 neue Teile kaufe jeder Deutsche im Schnitt pro Jahr – 40 Prozent würden kaum oder gar nicht getragen, erklärt Constantin Kaitel, der im Infozelt Fragen beantwortet.

Nachdenklicher beim Einkauf

Leah (13) beugt sich in der „Textilfabrik“ über ein Gefäß mit vielen bunten Knöpfen, die sie sortieren soll. „Die Leute werden sehr streng behandelt“, hat sie über die Arbeitsbedingungen in den Textilfabriken erfahren. Die Schülerin geht gerne shoppen, erzählt sie. „Aber in Zukunft werde ich auch daran denken, wer meine Sachen genäht hat.“

82 Organisationen haben die EU in einem offenen Brief aufgefordert, in dem im Februar angenommenen Entwurf für ein europäisches Lieferkettengesetz – es legt Standards für Umwelt und Menschenrechte in der globalen Textilproduktion fest – noch stärker die Belange der Textilarbeiterinnen zu berücksichtigen.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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