Heidelberg. Ich bin Obelix. Nein – ich bin Falbala, die einen Schluck aus Asterix’ Zaubertrankflasche genommen hat. Kurz in die Hocke gehen, die volle Getränkekiste greifen, und ab geht’s, das Gebinde in Kopfhöhe auf ein Podest gehievt. Ein Kinderspiel! Erstaunlich, welche Kräfte da plötzlich frei werden. Möglich macht das ein Exoskelett, eine Rückenstütze mit eingebauten Federn. Im Pop-up-Laden „Living lab“ kann man diese und andere tragbare Technologien („Wearables“) noch bis zum 21. September kostenlos ausprobieren. Wir waren bei einem Workshop für Handwerker und andere mittelständische „Lastenträger“ dabei.
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Klaus und Jonathan Westhoff sind Experten für Exoskelette – und beraten Unternehmen herstellerunabhängig. „Die Bevölkerung und damit auch die Belegschaften werden immer älter“, sagt Klaus Westhoff. Eine Auswertung der Krankenkasse KKH hat gerade ergeben, dass die Krankschreibungen im ersten Halbjahr um 70 Prozent höher liegen als im Vorjahr. „Rücken“ steht als Grund für die Arbeitsunfähigkeit auf sehr vielen dieser gelben Formulare, die die Ärzte ausfüllen. „Jeder Krankheitstag kostet das Unternehmen zwischen 400 und 700 Euro“, verweist Westhoff auf den finanziellen Aspekt.
Exoskelette können den Rücken, die Schultern oder – wie bei einem Modell der Forschungsgruppe „Aries Lab“ an der Universität Heidelberg – die Hand entlasten. Nach der Automatisierung und Neuorganisation schwerer Hebearbeiten können Exoskelette („Außenskelette“) dort eine deutliche Entlastung bringen, wo Maschinen die Arbeit nicht übernehmen können. Als Beispiel nennt Westhoff einen Mitarbeiter, der stundenlang E-Bikes in Kartons vom Lkw ziehen muss, oder auch Getränkefahrer.
Jonathan Westhoff, der zusammen mit seinem Vater arbeitet, hilft mir beim Einstellen des Stützgeräts. „Wie ein Rucksack“ wird das nur wenige Gramm schwere Gerät auf den Rücken geschnallt und mit einem breiten Gurt oberhalb der Hüfte befestigt. Ein weiteres Band verbindet die rechte und linke Seite in Brusthöhe, bevor die Arme in zwei schmale Schalen eingebunden werden. In den länglichen Kästen, die nun an den Oberarmen anliegen, stecken dicke Spiralfedern aus Stahl. Mit einem Inbusschlüssel lassen sie sich mehr oder weniger stark spannen – auf der höchsten Stufe „fliegen“ die Arme fast wie von selbst nach oben.
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„Das Exoskelett nimmt einem die Arbeit nicht ab, es macht sie nur leichter“, betonen die Westhoffs. Das gilt zumindest für diese passiven Exoskelette. Aktive Exoskelette dagegen haben mindestens einen Motor und werden zum Beispiel bei Komapatienten zur Mobilisierung eingesetzt. Aus der Praxis wissen die Berater, dass Mitarbeiter, die mit Exoskeletten zum Beispiel in Lagerhallen arbeiten, am Ende einer Fünf-Tage-Woche „eher das Gefühl haben, dreieinhalb Tage gearbeitet zu haben“. Langfristig beugt das Rückenschäden vor.
Hilfsskelett hilft beim Tragen
Vorbeugen und den Getränkekasten anheben: Das Hilfsskelett verhindert, dass ich die Lendenwirbelsäule krümme – das wäre nicht gut für die Bandscheiben. Ein bisschen ungewohnt ist das schon. „Bei der Einführung achten wir darauf, dass die Mitarbeiter anfangs nicht mehr als einen Tag pro Woche damit arbeiten“, sagt Klaus Westhoff. Doch schon bald wollen viele den „Obelix-Effekt“ nicht mehr missen.
Das „Pop-up Living Lab“ wird vom städtischen Programm „Mittendrinnenstadt“ finanziert. Dieses wird ermöglicht durch das Programm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen. Es wird koordiniert vom Amt für Wirtschaftsförderung und Wissenschaft Heidelbergs und mit Unterstützung der Technologiepark Heidelberg GmbH durchgeführt.
Claudia Lopez und Katharina Püschel vom Amt für Wirtschaftsförderung leiten das Projekt, das auf einen Sommer angelegt ist und ganz unterschiedliche Wearables bekannt machen soll. „Jede Woche gibt es ein neues Thema“, sagt Lopez. Die Idee stammt aus einer Gruppe von Wissenschaftlern und Unternehmern, die sich seit rund zwei Jahren regelmäßig austauschen. Der Pop-up-Store ist keine Dauerausstellung, sondern bietet die Möglichkeit, immer wieder neue Technologien oder Prototypen kennenzulernen. „Das ist auch für Unternehmen interessant, die hier zum Teil noch in einem sehr frühen Entwicklungsstadium Kundenfeedback einholen können“, ergänzt Lopez. Themen waren bisher unter anderem Hilfsmittel für Parkinsonpatienten. In der Entwicklung sind auch VR-Brillen, die eines Tages Psychotherapien unterstützen könnten.
Gerät kostet derzeit rund 5000 Euro
Simon Weidner arbeitet für eine Krankenkasse. Auch er ist überrascht, wie sehr das Exoskelett den Rücken entlastet und wie stark die Arme – je nach Einstellung – unterstützt werden. Welchen Eindruck hat er von dem derzeit noch rund 5000 Euro teuren Gerät? „Ganz ehrlich, ich glaube, das ist die Zukunft“, sagt er. Warum sollte man nicht auch im Privatleben bei schweren Arbeiten auf eine solche Unterstützung zurückgreifen? Gerade wenn man älter wird, kann man zum Beispiel einen Getränkekasten eben nicht mehr so einfach „heben“ – zumindest nicht ohne Zaubertrank.
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