Heidelberg. Versicherungen, die nicht einspringen wollen, weil es formal angeblich keine Pandemie gibt? Auch damit müssen sich Heidelberger Hoteliers und Gastronomiebetreiber in diesen Wochen herumschlagen. Bei einem kurzfristig anberaumten kleinen Branchentreffen im „Art-Hotel“ tauschten sie sich am Montagmittag aus und gaben ein Bild ihrer Situation. Eingeladen hatten der CDU-Bundestagsabgeordnete Karl A. Lamers sowie der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) mit Geschäftsführerin Melanie von Görtz.
Die für viele überraschende Schließung des „Crowne Plaza“ Ende Juli hat die Befürchtung ausgelöst, dass auf die vom Tourismus lebende Stadt weitere Schließungen zukommen. „Die Branche befindet sich in ihrer schwersten Krise seit der Nachkriegszeit“, weiß Lamers. Von Januar bis Juli sei der Umsatz um 61 Prozent eingebrochen, im April und Mai um 86 beziehungsweise 73 Prozent. „Es fehlen Touristen aus Asien und den USA, aber auch viele Geschäftsreisende, Messen und Tagungen“, fasst der Politiker zusammen.
„Auf die Frage, ob sie glauben, bis Ende des Jahres existenziell bedroht zu sein, haben 58 Prozent unserer Betriebe mit Ja geantwortet“, geht von Görtz auf eine Umfrage ein. „Das hat uns sehr erschreckt, wir hatten mit höchstens einem Drittel gerechnet.“
Über den Sommer retten
„Wir fühlen uns an vielen Stellen gut unterstützt“, fügt die Dehoga-Geschäftsführerin mit Blick auf Soforthilfen und Vergrößerung der Außenbewirtschaftungsflächen hinzu, „aber die Krise ist noch da.“ Während die Mehrheit der Betriebe glaube, sich noch irgendwie über den Sommer retten zu können, gebe es große Angst vor Herbst und Winter.
Am Montag, 24. August, öffnet das „Marriott“-Hotel in der Vangerowstraße seit 20. März zum ersten Mal. „Wir hatten Ende März einen größeren Wasserschaden“, erklärt Hoteldirektorin Sabine Rahmel, warum das 1986 eröffnete Haus am Neckar noch nicht aus dem Corona-Lockdown zurückgekehrt war.
248 Zimmer und Suiten gibt es, aber die Auslastung zum Start wird unter zehn Prozent liegen. „Und leider kommen schon wieder Stornierungen rein“, bedauert sie. Firmen, Reiseveranstalter und Gäste reagierten sehr empfindlich auf die gerade wieder bundesweit steigenden Infektionszahlen. Dabei seien in Heidelberg und im Rhein-Neckar-Kreis die Infektionszahlen glücklicherweise sehr niedrig. Selbst kleinere Firmen- oder Gruppenveranstaltungen würden kaum gebucht wieder abgesagt, „obwohl wir sie unterbringen könnten - etwa durch den Umzug in größere Räume“. Die Kapazitäten seien auf ein Drittel reduziert. „Im Ballsaal mit sonst 220 Plätzen dürfen maximal 76 Personen Platz nehmen“, nennt Rahmel ein Beispiel.
Relativ gut geht es laut Dehoga-Chefin den Betrieben in der Altstadt - vor allem jenen mit Außenbewirtschaftung. „Juli und August liefen noch ganz gut“, räumt Thomas Weil, in vierter Generation Chef der familiengeführten Hotels „Schnookeloch“ und „Vier Jahreszeiten“ in der Haspelgasse ein. Wegen der fehlenden Kongresse befürchtet er eine Renaissance alter Zeiten: „Am 15. Oktober war für meine Eltern die Saison zu Ende. Erst Mitte Januar wurde wieder aufgemacht.“ Banken und Versicherungen machten die Lage nicht einfacher: „Einen KfW-Kredit bekommt man mit 58 Jahren nicht mehr so einfach“, sagt Weil. Eine eigens vor rund fünf Jahren abgeschlossene „Pandemie-Betriebsversicherung“ stelle sich quer, berichtet er verärgert. Bei der Dehoga beschäftigt man sich bereits damit, die Versicherungen stärker in die Pflicht nehmen, bestätigt von Görtz: Mehrere Betriebsinhaber hätten berichtet, dass keine oder nur geringe Zahlungen erfolgten und die Policen danach einseitig vom Anbieter gekündigt würden.
Chancen im Inland
Bietet die Krise auch eine Chance? „Wir sind vom Städtetouristen- zum Urlaubshotel geworden“, verweist Alexander Beck („Alte Brücke“ und „Nepomuk“) „höchst zufrieden“ auf deutsche Touristen, die nun gerne Mehrtages-Pakete und Anregungen wie Wandern auf dem Neckarsteig aufgreifen: „Wir haben uns sogar ein Zweierkajak für die Gäste angeschafft.“
Die Kurzarbeiter-Regelung habe sehr geholfen und müsse genauso verlängert werden wie die Reduzierung der Mehrwertsteuer auf sieben Prozent für servierte Speisen und Getränke, betonen die Unternehmer einmütig. Aber bei aller Unterstützung von Bund, Land und Kommune sei klar: „Irgendwann ist Zahltag, müssen die gestundeten Beträge und Kredite bezahlt werden.“
Übernachtungen in Heidelberg
- Rund 11,9 Millionen Tagesgäste besuchen jährlich die Stadt – zuletzt jedes Jahr mehr. 1,6 Millionen Gäste bleiben über Nacht.
- In den vergangenen zehn Jahren sind die Übernachtungskapazitäten um 70 Prozent gewachsen. Von 2017 bis 2022 entstehen rund 3000 neue Betten.
- Die Bettenauslastung sei mit 54 bis 56 Prozent in den vergangenen fünf Jahren annähernd konstant geblieben – obwohl es 20 Prozent mehr Betten gibt.
- 8000 Anrufe pro Woche von Betrieben gingen in der ersten Corona-Zeit bei der Dehoga Baden-Württemberg ein – der Beratungsbedarf war groß.
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