Auszeichnung

Heidelberger Schüler retten Schwerverletztem das Leben

Warum zwei Klassen des privaten Gymnasiums Englisches Institut demnächst einen Ausflug zur Abfallwirtschaft machen - und dort überschwenglich empfangen werden

Von 
Michaela Roßner
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Schüler (2. und 3. v. r.) haben mit einer Lehrerin (2.v.l.) und einem Mitarbeiter der Schule (3.v.l.) einem Mitarbeiter der Abfallreinigung das Leben gerettet. © Philipp Rothe

Heidelberg. Verstauchungen am Knöchel, Übelkeit, vielleicht mal ein Bluterguss am Kopf: Für solche Notfälle ist die Schul-Sanitäts-AG am Englischen Institut in Heidelberg gegründet worden. Doch am Morgen des 6. Oktober 2022 bewältigen die Schüler Svenja Schütte (16) und Diolen Miftari (15) gemeinsam mit ihrer Lehrerin Valerie Neumann und dem Mitarbeiter der Schule Steffen Esch eine extreme Situation: Sie retten einem Mitarbeiter der Abfallwirtschaft das Leben. Für ihre professionelle Hilfe sind alle vier nun von Bürgermeister Wolfgang Erichson und Polizeipräsident Siegfried Kollmar gemeinsam mit Knut Krakow vom Verein „SicherHeid“ ausgezeichnet worden bei der Aktion „Beistehen statt rumstehen“.

An der Mauer eingeklemmt

Es ist kurz nach halb acht morgens an jenem Oktobertag, den viele Schüler und Lehrer nicht mehr vergessen werden. „Ich stand zwei, drei Meter entfernt, als der Unfall passierte“, erzählt Svenja. Ein Mitarbeiter der Abfallwirtschaft war an der Einfahrt zur Schule in der Rheinstraße zwischen dem Müllfahrzeug und einer Begrenzungsmauer eingequetscht worden. „Zuerst war ich überfordert: Was sollte ich tun?“, erinnert sich die heute 16-Jährige. Sie ruft Hilfe. „Ich war gerade im Kopierraum der Schule, als ich gerufen wurde, dass etwas Schlimmes am Tor passiert sei“, beschreibt Lehrerin Valerie Neumann das weitere Geschen. Mit der Sanitätertasche rennt sie zu Svenja.

Gleichzeitig setzt Steffen Esch einen Notruf ab. Damit der Rettungswagen vorfahren kann, blockiert Esch die Kreuzung, die sich sonst um diese Zeit mit Elternautos füllt. „Kollegen haben die Schüler abgefangen und durch zwei Nebengebäude hineingeführt, damit sie von dem Unfall nichts sehen“, ergänzt Neumann. Der Müllwerker ist schwer verletzt. Seine Augen sind weit geöffnet, das Gesicht blau angelaufen. Das bedeutet Sauerstoffmangel. Neumann holt sich telefonisch Unterstützung bei der Rettungsleitstelle: „Es war klar, dass der Mann schwere innere Verletzungen hatte - wir wollten ihn daher nicht unnötig bewegen.“ Doch der Rat der Experten: den Verletzten befreien.

„Der Müllwagen bewegte sich nach einigen Startschwierigkeiten langsam von der Mauer weg und wir fingen den Verletzen auf“, erinnern sich die Ersthelfer. Da der Mann nur noch schwache Atmung zeigt, beginnen sie sofort mit der Wiederbelebung, Diolen hat bereits die notwendige Ausrüstung herbeigeholt. „Wir haben uns abgewechselt bei der Reanimation“, erklärt Neumann.

Sehr dankbar über die Leistung des Schulteams ist Sylvia Hafner. Die Leiterin der Abfallwirtschaft der Stadt kommt kurz nach dem Unfall vor Ort an, kümmert sich unter anderem um die beiden völlig verstörten Fahrer. „Meine Kollegen haben sich insgesamt sehr professionell betreut und begleitet gefühlt“, berichtet die Amtsleiterin. Selbst Chefin von 50 Frauen und 200 Männern, weiß sie, was gute Teamarbeit wert ist. Dem Schwerverletzten gehe es heute - vor allem dank der tollen Rettung vor der Schule - wieder sehr viel besser und er könne sogar langsam wieder in den Beruf zurückkehren. Die genauen Umstände des Unfalls ermittle die Staatsanwaltschaft noch.

Weichen für die Berufswahl?

„Für mich war es eine Ehre, helfen zu dürfen“, sagt Diolen bescheiden. Stolz begleiten ihn seine Eltern Merita und Nexat Miftari zu dem Ehrungstermin. Möglicherweise beeinflusst das Geschehen vom Oktober 2022 auch die Berufswahl der Jugendlichen: „Ich wollte immer etwas mit Naturwissenschaften machen - jetzt rückt vielleicht Medizin nach vorne“, sagt der 15-Jährige. Das würde seinen Vater besonders stolz machen: Er ist selbst Facharzt für Nierenerkrankungen und studierte in Heidelberg. „Ich kann mich noch sehr an meine erste Reanimation erinnern und staune sehr, welchen Überblick mein Sohn gezeigt hat.“

„Weiter so“, findet auch Polizeipräsident Kollmar nur begeisterte Worte: „Menschen wie Sie tun unserer Gesellschaft einfach gut.“

Auch Svenja hat Ärzte in der Familie - und hilft vielleicht eines Tages weiteren Menschen. Ihre Eltern Bettina und Thomas Schütte, die ebenfalls beim Ehrungstermin dabei sind, haben einen aufregenden Oktobertag hinter sich. „Meine Tochter rief mich um elf Uhr an und sagte, dass es ihr gut gehe“, erinnert sich die Mutter, wie sie von dem Geschehen erfuhr. „Ich war tatsächlich überrascht, wie cool sie das weggesteckt hat“.

Auch für Erichson, der seit 15 Jahren regelmäßig Ehrungen mit „SicherHeid“ vornimmt, ist dieses Mal etwas ganz Besonderes. Und Kollmar fasst zusammen: „Sie haben alles richtig gemacht.“

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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