Heidelberg. Rund drei Millionen Menschen sind in Deutschland von einer Herzschwäche betroffen. Individuellere, effektivere und sicherere Therapien für diese Patienten durch den Einsatz künstlicher Intelligenz - das ist die Vision des Heidelberger Kardiologen Benjamin Meder. Er ist Sprecher und Mit-Initiator von „Informatics for Life“, der bioinformatischen kardiologischen Forschungsausrichtung am Universitätsklinikum Heidelberg. Meder ist sich sicher: „Die Medizin der Zukunft ist datenunterstützt. Unser Ziel ist es, Spitzenmedizin mit datenbasierter Herzforschung zu verbinden.“
Der Ansatz ist translational: „Wir sehen ein klinisches Problem und versuchen, es zu lösen, um die Ergebnisse wieder in die Klinik zu übernehmen.“ Dazu wurden Tandem-Teams aus den Bereichen Medizin sowie der Physik, der Informatik oder der Astro-KI gebildet. Die rund 60 Forschenden kommen aus dem Universitätsklinikum sowie aus weiteren Institutionen wie dem Heidelberger Institut für Theoretische Studien (HITS), dem Europäischen Laboratorium für Molekularbiologie (EMBL) oder dem Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ).
Eine der größten Herausforderungen dabei war es, eine Verbindung zwischen zwei Welten zu schaffen: Der technische Ansatz der Informatiker und KI-Forscher stand dem diagnostischen der Mediziner aus der Kardiologie und angrenzenden Fächern gegenüber. Durch kreative Formate, Symposien und Workshops wurden eine gemeinsame wissenschaftliche Sprache und gemeinsame Fähigkeiten entwickelt. Mediziner des Teams sind nun in der Lage, selbst KI zu entwickeln und KI-Forscher haben eine medizinische Expertise aufgebaut. Meder beschreibt dies als „Gamechanger“, als entscheidenden Schritt in Richtung Erfolg, und sagt: „Heute verfügen wir über das Beste aus beiden Welten. Auf beiden Seiten herrscht viel Begeisterung mit dem Ziel, über das hinauszugehen, was momentan möglich ist.“
„Informatics for Life“
- Benjamin Meder ist stellvertretender Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie am Universitätsklinikum Heidelberg.
- Seit Ende 2022 ist er Inhaber der W3-Forschungsprofessur „Precision Digital Health“ (Kardiovaskuläre Präzisionsmedizin und Digitalisierung).
- Initiiert wurde „Informatics for Life“ 2018 von Hugo A. Katus, ehemaliger Ärztlicher Direktor der Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pneumologie am Universitätsklinikum Heidelberg und Meder.
- Die Forschungsergebnisse werden international viel beachtet und in hoch bewerteten Fachzeitschriften wie dem „Lancet“ veröffentlicht.
- Die Kardiologie am Uniklinikum Heidelberg ist auf Herzmuskelerkrankungen spezialisiert. Einen Schwerpunkt bildet die genetisch bedingte Herzschwäche.
- Das Forschungskonzept ist national und international ausgerichtet, in der Region besteht auch eine Zusammenarbeit mit der Uniklinik in Mannheim.
Aktuelle Forschungsprojekte suchen nach Lösungen für Probleme auf molekularer Ebene mit dem Ziel individueller, auf den Patienten zugeschnittener Behandlungskonzepte. Die KI hilft hier, die diagnostischen Möglichkeiten in der Bildgebung zu verbessern: „Auch wenn sie nichts über das Herz weiß, kann die KI Details auslesen, die der Mensch nicht erkennen kann.“ Das sorgt für ein besseres Verständnis von Erkrankungen. In einem nächsten Schritt sollen diese Daten visualisiert werden, man spricht hier von Virtual Reality, um Operationen exakter vorbereiten zu können.
Wie groß die Möglichkeiten des Einsatzes künstlicher Intelligenz in der Kardiologie und damit die Vorteile für die Patienten sein können, konnten die Forscher an einem einfachen Experiment demonstrieren: Sie zeigten der KI nur ein einziges Bild eines Herzen. Das System lieferte eine Diagnose mit erheblicher Präzision, für die die Mediziner laut Meder vor allem bei seltenen Erkrankungen wie entzündliche Veränderungen des Herzmuskels bisher deutlich länger brauchen.
Zu jeder Tages- und Nachtzeit eine identische, objektive Diagnose
Für Patienten könnte dies kürzere Untersuchungszeiten und damit einen schnelleren Zugang zu maßgeschneiderten Therapien bedeuten: „Aktuell sind wir dabei, das zu beweisen.“ Auch die Druckverhältnisse im Herzen sind mit Hilfe der KI direkt ablesbar, ein Wert, den Menschen nicht erfassen können: „Das begeistert uns, diese Information würde sonst nicht vorliegen.“ Ein weiterer Vorteil: Die KI ermöglicht zu jeder Tages- und Nachtzeit eine identische, objektive Diagnose. Sie kann so überlastetes Klinikpersonal unterstützen und Patienten dadurch mehr Sicherheit bieten. Die Forscher erhoffen sich darüber hinaus Unterstützung bei der Diagnose von bestimmten Formen von Herzerkrankungen, die vor allem bei Frauen bisher schwer zu erkennen sind.
Der Einsatz von KI in der Wissenschaft ist nicht unumstritten. Die Heidelberger Forscher können den Schutz sensibler Patientendaten bei der systematischen Auswertung und Verwendung durch den geschützten klinischen Bereich jedoch stets gewährleisten. Und: die eingesetzten Formen künstlicher Intelligenz produzieren keine eigenen Inhalte. Verwendet werden Systeme, die anhand von Daten lernen und darauf aufbauende Einschätzungen abgeben.
Aktuell sucht das Team um Meder nach Partnern, die die Zertifizierung der durch Publikationen bereits abgeschlossenen Forschungsarbeiten übernehmen können. Auch das ist eine Herausforderung, denn für Medizinprodukte gelten strenge Vorgaben, die mit viel Aufwand und hohen Kosten verbunden sind. „Innovationen kommen dadurch langsamer beim Patienten an“, befürchtet Meder.
Der Startschuss für „Informatics for Life“ fiel 2018, die erste Phase wurde durch die Klaus Tschira Stiftung mit knapp neun Millionen Euro gefördert. Der Bau eines Herzzentrums mit Forschungsinstitut wird mit weiteren 129 Millionen Euro durch die Klaus Tschira Stiftung und die Dietmar Hopp Stiftung sowie weitere 283,4 Millionen Euro durch das Land Baden-Württemberg gefördert. Der Bau soll 2028 fertiggestellt werden, aktuell wird das Bestandsgebäude im Neuenheimer Feld abgerissen. „In der Region passiert damit was Bemerkenswertes, um Gesundheit voranzubringen“, so Meder.
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