Heidelberg. Sachbuch oder Belletristik? Marco Lallis Buch „Als wäre immer Sonntag – Die Corona-Tagebücher“ ist keinem Genre eindeutig zuzuordnen. Verpackt als zufällig entdeckter Internetblog, legt der promovierte Psychologe und Statistiker eine spannende Analyse der ersten Pandemiemonate März bis Mai 2020 vor. Aus Sicht eines Wissenschaftlers, Unternehmers und einer auch privat in vielerlei Hinsicht betroffenen Person. Erschienen ist es jetzt bei Springer Nature.
Lalli leitet seit fast 20 Jahren sein eigenes Unternehmen, das sich mit Statistiken und Methoden der Sozialforschung beschäftigt und derzeit auch an Coronastudien beteiligt ist. Der Vater eine Sohnes und gebürtige Italiener lebt und arbeitet seit vielen Jahren in Heidelberg. Als Autor veröffentlichte er mehrere Romane sowie Sachbücher zum Beispiel zum autonomen Fahren.
Im Januar 2020 fielen ihm erste Berichte zum Corona-Virus SARS-CoV-2 auf. Denn sowohl aus wissenschaftlichem als auch aus persönlichem Interesse beschäftigt er sich seit der ersten SARS-Krise mit Epidemien und Pandemien. In italienischen Zeitungen verfolgte er täglich, wie die erste Welle im Februar von Italien ausgehend in Europa Fahrt aufnahm. Als sich die Lage in Deutschland im März zuspitzte, begann er, ein Pandemie-Tagebuch zu führen: „Ich schreibe ohnehin jeden Tag, das lag also nahe.“ Für die Öffentlichkeit waren die Notizen zuerst nicht gedacht: „Ich war mir sicher, dass diese Idee nicht sehr originell ist, ging davon aus, dass das bestimmt viele Kollegen machen.“ Doch dem war nicht so und so veröffentlichte er nun seine persönlichen und wissenschaftlichen Gedanken, ein spannender zeitgeschichtlicher Überblick über die erste Phase einer Pandemie, die uns vermutlich noch länger beschäftigen wird.
Fiktives und Fakten
Die meisten seiner Einschätzungen und Prognosen entsprechen erstaunlich exakt den später tatsächlich eingetretenen Ereignissen. „Außer Korrekturen habe ich nachträglich inhaltlich nichts mehr geändert.“ Akribisch werden Aspekte des täglichen Lebens, vom Wetter und den Coronazahlen über die Beobachtung eventueller Krankheitssymptome bis zum Verhalten von Familie, Kollegen und seiner Lebensgefährtin, erfasst. Dabei enthält das Buch neben Fakten, Zahlen und Einschätzungen sowohl autobiografische Elemente als auch fiktive Passagen. So ist Lalli selbst zu keiner Zeit an Covid-19 erkrankt.
Und auch der Internetblog samt Autor, an den er sein Buch anlehnt, ist frei erfunden. Andere Inhalte wiederum sind autobiografisch. Er erzählt von der Anstrengung, sein Unternehmen durch die Krise zu retten. Als Vater und Psychologe sah er am Beispiel seines Sohnes früh die Herausforderungen, mit denen vor allem die Jugend zu kämpfen hat. Er schreibt über die mediale Aufarbeitung, die weltweite Entwicklung der Pandemie und über Verschwörungstheorien. Ein Blatt nimmt er dabei nicht vor den Mund, vor deutlicher Kritik öffentlicher Äußerungen wissenschaftlicher Kollegen schreckt er nicht zurück. Auch der Buchtitel bezieht Stellung: „Sonntage mochte ich noch nie. Da passiert nicht viel, man macht höchstens einen Spaziergang.“ Für Lalli fühlte sich der Shutdown wie eine Schleife wiederkehrender Sonntage an. „Ich hatte das Gefühl, jeder Tag ist wie der andere.“ In seiner Muttersprache Italienisch steht allerdings auch auf dem Buchtitel: „Andrà tutto bene – alles wird gut.“
Was er als Wissenschaftler aus der Krise gelernt hat: „Manche Sorgen waren überflüssig, nicht jeder muss sich den Kopf über notwendige Entscheidungen zerbrechen.“ Denn aus Lallis wissenschaftlicher Sicht waren viele Corona-Maßnahmen richtig. „Die habe ich mitgetragen, ich hatte ja auch den Vergleich mit Italien.“ Die verspätete Einführung einer Maskenpflicht findet er allerdings bis heute fahrlässig. „Das hätte man bereits im Januar wissen können.“ Doch trotz Pandemieplänen, so Lalli, waren keine entsprechenden Vorräte vorhanden. „Man hätte besser vorbereitet sein müssen, das hat sich bald gerächt.“