Heidelberg. Eine Regenbogen-Flagge als Erkennungszeichen? Nein. Bunt oder gar schrill gestylte Teilnehmer? Fehlanzeige. Die etwa 20 Männer und Frauen, die sich auf dem Kornmarkt unter einem Baum zusammenfinden, unterscheiden sich nicht von den meisten anderen Altstadt-Besuchsgruppen. Und doch ist dieser Rundgang etwas ganz Besonderes. „Kreuz und queer durch Heidelberg“ beschäftigt sich mit homosexueller Geschichte. Diese Redaktion war bei der Premiere am Mittwoch dabei.
„Bei meinen Tätigkeiten habe ich immer wieder festgestellt, dass das Thema Homosexualität in der Heidelberger Geschichte bisher kaum existiert“, erzählt der Erfinder der Tour, Steffen Schmid. Seit 2012 Gästeführer, ist Schmid im Hauptberuf Experte fürs Stadtmarketing und lebt seit 20 Jahren in der Unistadt. „Ich war mir sicher, dass eine solch historische und facettenreiche Stadt dazu viel zu erzählen hat. So begann ich zu recherchieren.“
Drei Jahre Recherche
Drei Jahre suchte Schmid in Archiven, im schwulen Museum Berlin, in Bibliotheken und im Internet nach Infos. „Die Geschichte homosexueller Menschen war jahrhundertelang geprägt von Verfolgung, Angst, Scham und deshalb von Totschweigen. Auch in Heidelberg“, fasst er zusammen. Erst einmal gibt es einen spannenden Abriss der Geschichte des erst 1994 endgültig abgeschafften Paragrafen 175, der Homosexualität unter Strafen stellte. Drohte die „Karolina“, das von Kaiser Karl eingeführten Gesetzbuch, gleichgeschlechtlich Liebenden noch den Tod auf dem Scheiterhaufen an, formulierte das Deutsche Reich 1871 harte Strafen im „175er“, die unter der Naziherrschaft drastisch verschärft wurden. 50 000 Männer seien in der Folge verurteilt und mehr als 5000 in KZs gebracht worden, wo sie mit einem „rosa Winkel“ markiert der untersten Hierarchie-Ebene zugeteilt wurden. 1945 übernommen, erfuhr der Paragraf erst 1969 eine Liberalisierung. „Zwischen 1945 und 1994 wurden 140 000 Männer wegen Homosexualität verurteilt“, hat Schmid recherchiert.
„Queer“ stammt aus dem Englischen, bedeutet „quer, eigenartig“ und wird heute mit Stolz verwendet. Schmid versteht unter „queer“ all das, „was nicht der sogenannten gesellschaftlichen Norm oder heterosexuellen Geschlechternorm“ entspricht.
Bekannte und ungenannte Schicksale erhellt Schmid, der zum Haus der Schwulen-Disko „Whiskey a go go“ in die Oberbadgasse geleitet. Auch manch Prominenter besuchte den Club, der 2005 geschlossen wurde. Von den „Rosa Kehlchen“, einem schwulen Chor, der sich juristisch die Aufnahme in den Badischen Sängerbund erstritt, bis zum 26. November 2017, an dem in der Stadthalle erstmals gleichgeschlechtliche Paare verpartnert wurden, schlägt Schmid den Bogen. Bürgermeister Wolfgang Erichson habe vieles für die „Comunity“ erreicht – etwa die Rainbow-Cities-Gemeinschaft. Ebenfalls vor Gericht musste die „schwule Jugend“ ihre Aufnahme in den Stadtjugendring erkämpfen. Das zweiseitige Schreiben des einstigen Vorsitzenden, das die Aufnahme verweigern sollte, ist heute ein Zeitdokument erschreckender Homophobie. Der Rundgang birgt eine süße Überraschung: In der Haspelgasse macht die Gruppe Halt vor der Chocolaterie von Eric Stutzenberger, in deren Schaufenster für den berühmten „Studentenkuss“ geworben wird.
Für Gruppen buchbar
- Die Altstadtführung „Kreuz und queer durch Heidelberg“ wird in einer kürzeren Fassung (zwei Stunden) und in einer längeren Version (drei Stunden) für Gruppen angeboten.
- Infos und Buchung per Mail an queertour-heidelberg@gmx.de. Weitere Infos im Internet unter www.queertour-heidelberg.de.
Nebenan im „Café Knösel“ ist der mit Schokolade überzogene Taler erfunden worden. Fridolin Knösels mit Nougatcreme gefüllte Waffel gibt es seit der zehnten Sternengala im Theater 2015 – einer Benefizveranstaltung für die Aidshilfe – als schwule Version mit zwei männlichen Scherenschnittköpfen statt je einem weiblichen und männlichen auf der Packung. Die Idee dazu habe die frühere Inhaberin des Cafés gehabt.
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