Dem großbürgerlichen Teil Heidelbergs ist es wahrscheinlich noch gar nicht groß aufgefallen: Kurdo Jalal Omar Abdel Kader dürfte der erfolgreichste Popmusiker sein, den die Universitätsstadt hervorgebracht hat. Denn streng genommen sind Liquido und ihr Welthit „Narcotic“ eher dem Kraichgau entwachsen, und die Deutschrap-Pioniere Torch, Toni L oder Stieber Twins sind zwar bis heute stilprägend, haben es aber seit den frühen 1990ern zusammen gerade mal auf ein halbes Dutzend Studioplatten gebracht. Dafür brauchte das einstige Flüchtlingskind Kurdo fünf Jahre. Und alle sechs Platten landeten in den Top Ten.
Der selbst ernannte „Bolzplatz-Kanake“ aus dem Satellitenstadtteil Emmertsgrund ist auch unter prominenten Gangsta-Rap-Fans schwer angesagt: Bei der Party von Fußballweltmeister Jérôme Boateng nach dem Spiel seines FC Bayern gegen den Titelrivalen Dortmund am 6. April im Münchner Nobel-Club P1 zählte Kurdo zu den Gaststars. Neben Weltrekordsprinter Usain Bolt, Sängerin Lena Meyer Landrut oder Chartsabräumer Capital Bra.
300 Zuschauer jubeln wie 3000
Dazu kommen sehr viel mehr als 50 Millionen Klicks für die Lieder des 30-Jährigen allein auf Youtube und die genretypisch hohen Abrufzahlen bei den Streaming-Diensten. Damit landet der Heidelberger auf einer imaginären Rangliste des Straßenrap nicht weit hinter Capital Bra, dem ewigen Bushido, Kollegah, Raf Camora oder 187 Straßenbande. Da ist bei einem der seltenen Konzert-Heimspiele in der überschaubar großen Halle ein restlos ausverkauftes Haus garantiert. Sollte man meinen. Tatsächlich drängen sich vor der Bühne gerade mal 300 Zuschauer. Die haben überwiegend das Teenager-Alter erst vor Kurzem erreicht, machen mit spitzen Schreien aber Lärm für 3000. Das stellt die heutigen Gesetze der Musikbranche auf den Kopf, nach denen das Geld auf Tourneen verdient wird, für die Plattenveröffentlichungen nur noch Promotion-Werkzeuge sind.
Dieses Konzert könnte an also kurzlebige Phänomene wie Tokio Hotel erinnern. Aber Kurdo wird eher verehrt wie ein Volksheld, eine Art Robin Hood für junge Leute mit vergleichbarem Migrationshintergrund (und ein paar Bürgersöhne aus Nobelvierteln wie Neuenheim). Oder einfach einer, der es stellvertretend geschafft hat, und ihnen aus dem Herzen spricht. Und zwar Klartext. Es gibt zwar deutlich brutaleren Straßenrap. Trotzdem sind gerade aufgrund seiner zwangsläufigen Vorbildfunktion viele Texte Kurdos hochproblematisch. Speziell auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise waren sein Album „Verbrecher aus der Wüste“ (2016) oder Zeilen wie „Vom Flüchtling zum Täter, in Deutschland illegal“ potenzieller Sprengstoff. Unverantwortlich vor allem mit Blick auf seine Gefolgschaft, die mit dieser Lebensphilosophie sehr viel wahrscheinlicher hinter schwedischen Gardinen als hinter dem Steuer deutscher oder italienischer Nobelkarossen landet. Zumal Respekt gegenüber Instanzen wie Staat, Polizei, Justiz oder Schule nicht in dieses materialistische, hauptsächlich aufs Wohl der eigenen Familie und Freunde bedachte Weltbild passen.
Allerdings hat dieses Konzert nichts von einer Hassveranstaltung – anders als etwa durchaus bedrohlich wirkende frühe Bushido-Auftritte. Die Atmosphäre ist positiv, ja herzlich und familiär. Kurdo ist von der Atmosphäre voll mitgerissen: „Heidelberg, ich bin froh, hier zu sein. Ich zitter voll“, ruft er im Puma-Trainingsanzug seinen Fans vor Glück strahlend zu – zwischen zwei sehr konzentrierten Security-Männern.
Auf Distanz zu Judenwitz
Die Texte werden zwar mitgeschmettert, aber das nur an einer Stelle aggressiv. Bei „Nike Kappe umgekehrt“ brüllt das Publikum in der Zeile „Scheiß auf Politik, Merkel Kahba“ Letzteres laut mit – was die Bundeskanzlerin vornehm übersetzt zur Schlampe erklärt. Deutlich prekärer: In einer sehr langgezogenen Einlage, bei der Zuschauer Charade spielen oder wie beim Kindergeburtstag Wasser im Mund behalten müssen, erzählt ein Hohlkopf aus der ersten Reihe prompt einen Judenwitz. Immerhin gibt es dafür weder Gelächter noch sonstige Zustimmung, und der Moderator geht sofort auf Distanz. Aber nicht nur dadurch nervt Kurdos überlange Pause, auch wenn darin Gäste wie der ebenfalls vom Emmertsgrund stammende Sänger Ardian Bujupi mit seinem luftigen Sommerpop („Zina“) überzeugen.
Aber netto gibt’s nicht mal eine volle Stunde Ghetto-Rap vom Hauptdarsteller. Was schade ist, denn Kurdo weiß Tempo und seine Wucht auch live einzusetzen – mehr ist manchmal doch mehr. Der per Instagram rekrutierte Schlagzeuger Jona Boubaous tut dem Sound gut, auch wenn er die vom Schwetzinger DJ Tuneruno zugespielten Melodien mitunter übertönt. Etwas zusätzliche Probenarbeit mag da künftig helfen. Am Ende räumen die Partynummern „Bugatti Veyron“ und „Ya Salam“ kolossal ab. Aber mit diesem Entertainment-Ansatz bekommt Kurdo außerhalb der engen Fanfamilie auf Dauer keinen Fuß auf den Boden. Den 300 Anwesenden ist das total egal, denn mit dem letzten Takt stürmen sie in die Schlange, in der Selfies und Autogramme winken.
Flüchtling aus dem Nordirak
- Der Rapper und Label-Betreiber Kurdo Jalal Omar Abdel Kader wurde am 30. November 1988 im nordirakischen Sulaimaniyya geboren. Acht Jahre später flüchtete seine Familie nach Deutschland, wo er im Heidelberger Satelliten-Stadtteil Emmertsgrund aufwuchs.
- Nach ersten Erfolgen auf der Videoplattform YouTube kam er 2012 mit dem Label des Offenbacher Rappers Haftbefehl in Kontakt. Sein erstes Mixtape „11ta Stock Sound“ und der erste Hit „Nike Kappe umgekehrt“ erschienen kurz darauf allerdings bei Beefhaus.
- Das Studioalbumdebüt „Slum Dog Millionär“ landete 2014 auf Platz sechs der deutschen Albumcharts.
- Kurdos weitere fünf Platten erschienen auf dem eigenen Label Almaz Musiq und landeten allesamt in den Top Ten. 2017 erreichte Kurdo mit „Ya Salam“ (produziert von Kostas Karagiozidis & DJ Tuneruno) zum ersten Mal Gold-Status für über 200 000 verkaufte Singles.
- Zuletzt schaffte es „11ta Stock Sound 2“ Anfang Februar auf Platz zwei. Das war dem Rapper zuvor schon 2016 mit „Verbrecher aus der Wüste“ gelungen.
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