Heidelberg. Ob Leonardo da Vincis „Letztes Abendmahl“, Franz Marcs „Blaue Pferde“ oder Claude Monets „Junge Mädchen in einem Boot“: Berühmte Gemälde werden bei der Heidelberger Künstlerin Susanne Ochs zu Miniaturen. „Die Mini-Masters“ heißen ihre neue Ausstellung und das neue Fotobuch, bei denen berühmte Kunstwerke im Maßstab 1:87 nachempfunden werden - und dreidimensional arrangiert. Vom 16. November bis 22. Dezember ist die Ausstellung in der Bleichstraße 9 in Heidelberg-Neuenheim zu sehen.
Aus dem Zubehör für Modelleisenbahnen bezieht Susanne Ochs das Grundmaterial für Ihre Arbeit: Bausätze mit winzigen Köpfen, Händchen und Füßen. Die kaum fingernagelgroßen Persönchen werden dann mit Farbe, Spachtel sowie weiteren Materialien so gestaltet, dass sie zu den Motiven der berühmten Künstler werden.
Zur Fotografie, erzählte uns Ochs einmal, ist sie über ihren Beruf als Übersetzerin gekommen: Seit mehr als 20 Jahren überträgt sie Fotobücher aus dem Englischen und Französischen ins Deutsche. Irgendwann drückte sie dann selbst auf den Auslöser, und hatte 2014 im Heidelberger Thermalbad mit „Komm’ ins Bad Schatz“ die erste Ausstellung. „Ich habe viel damit experimentiert, wie man Wasser darstellen kann“, erinnert sie sich. Um zum Beispiel Wellen ablichten zu können, mixte sie Gelatine ins Nass. Die Idee dazu lieferte ein Experimentalbaukasten des Neffen. Makrofotografie ist seit 2009 ihre Leidenschaft. 2016 veröffentlichte sie ihr erstes Buch.
Mitglied der Gedok
Zuerst setzte sie die kleinen Figürchen, die die passende Größe für eine HO-Modelleisenbahn haben, in ihrer Wahlheimat Heidelberg und deren Sehenswürdigkeiten in Szene. Weitere Ausstellungen folgten, 2019 etwa im „Augustinum“. Inzwischen hat die Künstlerin ihre eigene Galerie in der Bleichstraße 9 in Heidelberg-Neuenheim. Und ist gerade in der Gedok, dem Netzwerk für weibliche Künstler aller Genres, aufgenommen worden.
Newsletter "Guten Morgen Mannheim!" - kostenlos registrieren
In ihrer Geburtsstadt Biedenkopf hat sie sich 2019 an einer Gemeinschaftsausstellung beteiligt und „Gärtchen Eden“, inspiriert von Lucas Cranach, gestaltet. Und so sei die Idee entstanden, die Werke alter Meister „nachzubauen“. Dabei geht es nicht mehr nur um die Fotografie einer Szene. Vielmehr baut Ochs zu jedem Bild einen Holzkasten, in dem Betrachter sehen und verstehen können, wie die Fotos entstanden sind - ähnlich wie das Modell eines Bühnenbildes für ein Theaterstück. Und was ist nun das Kunstwerk, die Fotografie oder der kleine Schaukasten? „Eigentlich beides zusammen“, sagt Susanne Ochs schmunzelnd.
Wie bringt man 13 Figürchen in eine Nussschale, um daraus Michelangelos „Die Erschaffung Adams“ zu gestalten? „Man braucht sehr viel Geduld“, beschreibt Ochs, die immer unter einer klobigen Lupe arbeitet. In jedem Motiv stecken mindestens drei Wochen Arbeit, berichtet die Künstlerin.
Wolle und Brokkoli
Immer wieder muss sie dabei erfinderisch werden, damit Lichteinfall, Proportionen und Farben dem Original sehr nahe kommen. Dennoch sei es keine 1:1-Abbildung, sondern künstlerische Interpretation.
Ob Kandiszucker, der als Kreidefelsen bei Caspar David Friedrich zum Einsatz kommt, oderein gelbes Wollknäuel, das als Stroh für Vincent van Goghs „Mittagsrast“ dient: Gemüse und Gebrauchsgegenstände sind oft dankbare Struktur- und Farbgeber. So tanzen die rötlichen Körper von Henri Matisse („La danse II“) bei Ochs auf einem Brokkoli-Röschen.
Gerne spielt Ochs sprachlich mit den Titeln ihrer Bilder. Das war schon beim „Miniat(o)uristischen Streifzug“ durch Heidelberg so. Nun variiert sie die berühmten Bildertitel, schafft „Das Wollfeld“ nach der „Mittagsrast“ van Goghs und „Mädchen im Bötchen“ nach „Junge Frau in einem Boot“ von Claude Monet.
Das Kleine als Abbild vom Großen übte schon immer eine große Faszination auf Betrachter aus; Miniaturen begleiten die Kunstgeschichte seit Jahrhunderten. So sind Arbeiten von Prozia de Rossi (1490-1530) bekannt, komplexe Skulpturen aus den Kernen von Steinobst, die in Florenz und in der Staatlichen Sammlung im Grünen Gewölbe in Dresden besichtigt werden können.
In der Neuzeit wurde der Fotograf David Levinthal bekannt, der bewusst mit Unschärfen in der Makrofotografie arbeitete und sich mit Themen wie Krieg und Frieden beschäftigte, erinnert Ochs im Vorwort ihres neuen Fotobandes. Bekannt ist auch der Brite Slinkachu, der seit 2006 für seine Installationen unter dem Titel „Small Is Beautiful“ Miniaturen im Stadtbild inszeniert.
Ochs ist also nicht die Erste, die mit ihren „Minis“ die Herzen der Betrachter rührt - steckt aber viel Herzblut, Ideen und eigene Kreativität in ihre Kunst. Dass sie hin und wieder das Gefühl hat, kopiert zu werden, stört sie, wenn sie selbst als „Nachahmerin“ angesprochen wird - dann platzt der sonst so humorvoll und gut gelaunt wirkenden Hessin schon einmal der Kragen. „Aber das vergeht schnell wieder, ich liebe meine Arbeit einfach zu sehr.“
Mahl vor Heidelberger Schloss
Zwar sind es sehr bekannte Bilder, die Ochs nun neu interpretiert hat. Aber beim genauen Hinschauen und Nachbauen lernte sie die Arbeiten der großen Meister noch einmal sehr genau kennen - und entdeckte immer wieder neue Details. Etwa beim „Abendmahl“ da Vincis, das der Künstler auf eine Wand gemalt hat. Dabei musste er ein Wandelement, das wie ein Fenstersturz aussieht, ins Tischtuch von Jesus und seinen Jüngern einarbeiten. Ochs bildet dieses Element mit einem Stapel Heftklammern ab. Und im Hintergrund, bei da Vinci öffnet sich im gemalten Fenster eine Landschaft, erlaubte sich Ochs einen kleinen lokalen Gag: Die 13 Abendmahl-Teilnehmer haben im Rücken das Heidelberger Schloss.
Mancher berühmte Meister hat sich übrigens von Kollegen inspirieren lassen, etwa Vincent van Gogh bei seiner Mittagsrast von Millet, hat Ochs bei ihren Recherchen zu den Kunstwerken erfahren. Die Originalbilder stellt sie in dem Fotobuch zum Vergleich neben die Mini-Arbeit. Das macht die Arbeit besonders faszinierend.
Weil die Modellkästen, in denen das Fotomotiv dargestellt wird, beleuchtet werden, ist Ochs Mann Andreas mit engagiert gewesen und hat für eine stimmungsvolle Beleuchtung der Minis gesorgt.
Modelleisenbahnzubehör, erklärt Ochs, habe sie dank der Sammelleidenschaft des Vaters von Kindheit an umgeben. Inzwischen sind ihre eigenen Figürchen, die alle durch die Bearbeitung Unikate sind, auf eine stattliche Anzahl von etwa 2000 Stück angewachsen. Allein im neuen Projekt „Mini-Masters“ sind es 200 Stück. „Mein Personal“, sagt Ochs lächelnd. Niemals brächte sie es übers Herz, diese „Herrschaften“ nach ihrem Foto-Job wegzuwerfen. Das Archiv wächst, aber zum Glück nehmen die Minis ja nur winzig viel Platz ein.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-grosse-kunst-mit-kleinen-figuren-in-heidelberg-_arid,2143190.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html