Heidelberg. „Ich kann es einfach nicht mehr verantworten und trete daher von meinem Amt als Kinderbeauftragter in Rohrbach zurück“: Als Knud Jahnke diesen Entschluss artikuliert, kann theoretisch ganz Heidelberg zuhören. Der Vater und Astrophysiker spricht die Sätze sehr bewusst zu Beginn der öffentlichen Gemeinderatssitzung am Donnerstag - und die wird live im Youtube-Kanal übertragen. Die Erfahrungen mit der derzeitigen Großbaustelle in der Römerstraße/Ecke Karlsruher Straße haben Jahnkes schon länger reifende Entscheidung beschleunigt, berichtet er.
Fangen wir mit dem Positiven an: Seit Mittwoch, lobt Jahnke, läuft es aus seiner Sicht perfekt auf den Umleitungsstrecken in Rohrbach: Polizei und Kommunaler Ordnungsdienst sind an den neuralgischen Punkten, regeln den Verkehr und sorgen dafür, dass die Situation für Fußgänger und Radfahrer überschaubar bleibt. Am Montagmorgen habe es per Videoschaltung eine Krisensitzung gegeben, bei denen Mitarbeiter aus dem städtischen Verkehrsmanagement zusammen mit den Ordnungsdiensten und den Kinderbeauftragten die neuralgischen Punkte durchgegangen seien.
Viel zu spät eingebunden
„Die Vorlage dazu hatten typischerweise wir erarbeitet, nicht die Stadt“, betont Jahnke. Sein größter Kritikpunkt: „Dieses Treffen hätte sechs Wochen vor Beginn der Baumaßnahme stattfinden müssen.“ Statt dessen sei die Stadt - aus seiner Sicht - überhaupt nicht darauf vorbereitet gewesen. Mit gefährlichen Konsequenzen: Der Umleitungsverkehr - auch Lkw und Busse - quetschte sich durch enge Wohnstraßen. „Chaotische Zustände“ habe er beobachtet. Zum Teil habe es kein Durchkommen gegeben - auch, weil Gehwege zugeparkt und Autofahrer auf illegalen Schleichwegen unterwegs waren. „Darauf war die Stadt überhaupt nicht vorbereitet.“ Dabei hätte aus Jahnkes Sicht frühzeitig ein Konzept erstellt werden müssen, wie Fußgänger - speziell Kinder als schwächste Verkehrsteilnehmer - und Radfahrer geschützt werden auf den Umleitungsstrecken.
Oberbürgermeister Eckart Würzner entgegnete auf die Kritik, dass es sich um komplexe Fragestellungen handele und verwies auf das stadtweite Sicherheitsaudit vor ein paar Jahren. Klimaschutz und Verkehrs-Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain ergänzte, dass es aktuell in der Stadt „so viele Baustellen gebe, dass wir schon nicht mehr wissen, wohin wir umleiten sollen“.
Für Jahnke sind die Erfahrungen der vergangenen Tage seien nur der Auslöser, nicht der tiefere Grund gewesen für seinen Rücktritt. Seit 2014 hat er sich als Kinderbeauftragter in die Prozesse der Verkehrsplanung eingebracht.
Auslöser für das Sicherheitsaudit in allen Stadtteilen war der tödliche Unfall des neunjährigen Ben im Januar 2016 bei einem Verkehrsunfall in der Altstadt: Der Schüler lief zwischen einem Spielplatz und dem Hof seiner Schule über eine verkehrsberuhigte Straße und wurde von einem Kleintransporter erfasst und zu Boden geschleudert.
„Zuvor hatten Eltern und Anwohner die Stadt mehrfach auf die Gefahrensituation hingewiesen“, erinnert sich Jahnke. Doch erst nach dem Tod von Ben seien Schwellen auf die Straße montiert und weitere Warnschilder angebracht worden. Das Audit selbst sei bundesweit einmalig und „eine sehr gute Sache“, findet der Rohrbacher. Aber: „Wir haben kein Erkenntnisproblem, wir haben ein Umsetzungsproblem“, fasst Jahnke zusammen. Denn das Audit sei abgeschlossen, die wichtigsten 200 Stellen, an denen etwas passieren müsse, identifiziert und aufgelistet. Die Umsetzung aber, vermutet der Kinderbeauftragte, werde viele Jahre dauern: „Wir sind immer noch beim Wollen, nicht beim Machen“. Das Audit sei aus seiner Sicht zum „Feigenblatt“ geraten: „Ich kann das nicht mehr verantworten, als Alibi zur Verfügung zu stehen.“
Für Acht- und 80-Jährige planen
Oberbürgermeister und Gemeinderat müssten die Chance ergreifen, „nach 50 Jahren autobetonter Stadtgestaltung“ neue Wege zu gehen. „Wenn die Stadt so gestaltet wird, dass Acht- und 80-Jährige selbstständig unterwegs sein können, passt es auch für alle anderen“, beschreibt Jahnke anschaulich.
Dass Baustellen notwendig sind, sei klar. Aber müssen sie wirklich nun alle mehr oder weniger gleichzeitig sein und die Verkehrssituation für alle erschweren? „Im Moment habe ich an der Situation rund um die Schienenbaustelle in Rohrbach nichts auszusetzen, es läuft seit Mittwoch super“.
Dass er sich nun, nachdem es in Rohrbach doch noch so gelaufen ist „wie es von Anfang an hätte laufen müssen“, wieder in die Pflicht nehmen lässt als Kinderbeauftragter, kann sich Jahnke aber nicht vorstellen: „Der Rücktritt war keine Drohung, sondern Konsequenz.“
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