Heidelberg. An einem der romantischsten Orte überhaupt haben Jazzsängerin Annette Ehrlich und der Countertenor Nils Wanderer am Freitagabend Facetten der Zuneigung besungen: „Im Zeichen der Liebe“ stand das Open-Air-Konzert mit Annette Ehrlich und Band sowie Nils Wanderer im Innenhof des Heidelberger Schlosses. Es war Teil des Themenjahres der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württemberg „Liebe, Lust, Leidenschaft. Leben in Schlössern und Klöstern“.
Nicht alle rund 300 Karten waren verkauft worden - so entstand eine fast intime Atmosphäre, die den Künstlern den direkten Austausch mit dem Publikum erlaubte. Diese Chance nutzten sie und präsentierten gut gelaunt ihr eigens zusammengestelltes Programm.
Ehrlich, ausgebildete Jazz-Sängerin aus dem Raum Stuttgart, ist in vielen Genres zuhause. In Heidelberg begeisterte sie nicht nur mit ihrer wunderbaren Stimme, sondern auch mit Humor, Charme und ihrer Songauswahl. Mit ihrer dreiköpfigen Begleitband präsentierte sie Jazz-Standards wie Bert Kaempferts „L-O-V-E“ oder Pophymnen von Weltstars wie Frankie goes to Hollywood.
Musikwunsch der Tante
Mit „Handvoll Liebe“ von Stefan Gwildis lieferte Ehrlich die Rezeptur für ein tolerantes Miteinander. Denn Liebe funktioniere ohne Toleranz und Respekt so gar nicht. Zu jedem Stück erzählte die Sängerin kleine Anekdoten: Mit dem von ihr selbst geschriebenes Stück „Zimmer 73“ spannte sie den Bogen zum üblichen Mätressentum in alten Gemäuern, ein Stück der Münchner Freiheit hatte es auf Wunsch ihrer fast 80-jährigen Tante ins Programm geschafft.
Ein lässiger, entspannter Auftakt vor traumhafter Kulisse, mit viel Gelegenheit zum Mitsingen und großartigen Soloeinlagen der Begleitmusiker Ralf Gugel, Ralf Schuon und Chris Barchet. Die vier sind gemeinsam auch in den Bands des SWR zu hören oder stehen mit namhaften Künstlern wie Udo Lindenberg auf der Bühne. Ihre Interpretationen an diesem Abend griffen die entspannte Atmosphäre und das Ambiente im Heidelberger Schlosshof auf.
Die große Freude über Auftritte nach der langen Zwangspause merkte man auch Nils Wanderer an. Er übernahm den klassischen Teil des Abends und wandte sich mehr den dunklen Seiten der Liebe zu. Seiner Liedauswahl lag der Gedanke zugrunde, dass Liebe eben nicht nur aus Sonnenschein besteht. Dazu hatte er Extrakte aus Opern gewählt, die er normalerweise an den großen Bühnen in Palermo, Berlin oder Montreal singt.
Weiten Bogen gespannt
Vom Barock über die Romantik hatte er Stücke von Henry Purcell, Händel oder Franz Schubert und Richard Strauß gewählt. Auch er gab kleine Einblicke in die zugehörigen Opern und erzählte mit feinem Humor und großer Begeisterung davon, wie viel die Klassik zum Thema Liebe hergibt. Das Ausnahmetalent zeigte, das jahrhundertealte Musik und Gesangstechnik cool, modern und hinreißend sein können. Begleitet wurde er von der ebenfalls mehrfach ausgezeichneten bulgarischen Pianistin Doriana Tchakarova. Nach dem Konzert machte sich Wanderer wieder auf den Weg nach Montreal und New York - der Countertenor, Choreograph und Regisseur ist mit seinen noch nicht einmal 30 Jahren auf dem besten Weg zu einer großen internationalen Karriere.
Ein Höhepunkt des Abends waren die Duette von Ehrlich und Wanderer. In den Genuss von „Shallow“ aus dem Film „A Star is born“ kam das Heidelberger Publikum gleich zwei Mal. Leonard Cohens „Hallelujah“ sorgte ebenfalls für einen Gänsehautmoment. Dabei hatten sich die Künstler erst an diesem Abend kennengelernt. Ehrlich: „Auch das ist Liebe - wenn zwei offensichtliche Gegensätze sich so gut ergänzen.“
Ein zusätzliches Bonbon war die Premiere der Live-Piano-Version des Benefiz-Stücks „St. Petersburg“, das Wanderer mit Peter Plate von der Band Rosenstolz geschrieben hat. Die Erlöse spenden die Künstler an die Deutsche Aids-Stiftung und an Projekte für die Ukraine. Ehrlich und Wanderer treten nochmals gemeinsam auf am 8. Juli in der Grabkapelle auf dem Württemberg in Stuttgart.
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