Heidelberg. Es gehört zu den Merkmalen von Paradiesen, dass man sie irgendwann verlassen muss - oder sogar hinauskatapultiert wird. Für den in Berlin und der Schweiz lebenden Musiker Benja Schlez ist der Grenzhof solch ein Paradies. In dem kleinen Weiler, der zu Heidelberg gehört, scheint die Zeit auf sympathische Weise ein bisschen stehengeblieben zu sein. Warum er den Grenzhof im Herzen trägt und wieso der Mann Anfang 50 sein erstes Solo-Album danach benennt, hat der Gitarrist, Komponist und Produzent dieser Redaktion am Telefon erzählt.
Der Grenzhof bei Heidelberg ist eine Welt für sich
Keine 50 Einwohner, zum Stadtzentrum sind es fast zehn Kilometer und ums Dorf herum vor allem Felder: Der Weiler Grenzhof gehört zum Heidelberger Stadtteil Wieblingen und ist doch irgendwie eine Welt für sich. Ein Ort zum Ab- und Eintauchen. Das gilt auch für die Musik von Schlez: Pure Gitarrenmusik, sanfte und manchmal dramatische Melodien, die man am liebsten in die Endlosschleife stellen möchte.
Benja Schlez hat immer eine Geschichte dahinter
Hinter jedem der neun Songs steckt eine Geschichte. Meistens haben sie mit der Kindheit zu tun. „Buetschli“ steht für den Vorratsschrank in der Küche. Den hatte die Mutter, die am Zoologischen Institut der Uni arbeitete, vom Sperrmüll gerettet und nach dem berühmten Heidelberger Zoologen Otto Bütschli (1848-1920) benannt. Die Kinder, die viel Zeit draußen verbrachten und dann hungrig die Küche stürmten, konnten hier aus dem Vollen schöpfen. „Meine Eltern waren nach Grenzhof gezogen, um hier in den 1970er-Jahren eine Art Hippie-Idylle in der kleinen Dorfgemeinschaft zu leben“, erklärt Schlez. „Kannette“ hat Schlez für seine geliebte größere Schwester geschrieben, der er nach Berlin folgte. „Ich habe als Junge immer zu ihr aufgesehen, sie war meine erste große Liebe.“ Dass es zwischen den Geschwistern auch mal ordentlich gekracht hat, lässt die Gitarre deutlich durch gewollte Misstöne hören.
Vom Grenzhof in einen Plattenbau - die Idylle endet abrupt
Die Kindheitsidylle auf dem Grenzhof endet abrupt. Die Eltern trennen sich, Schlez zieht mit der Mutter um „in einen Plattenbau“. Diese schockierenden Disharmonien im Jungen-Leben bringen aber auch etwas Wunderbares mit sich: Bei den Besuchen des Vaters entdeckt Schlez die Welt der Gitarre und das Spielen des Instruments für sich. „Ich habe immer geübt, wenn ich bei ihm war.“ Heute weiß er: Diesen so beschützten Ort plötzlich verlassen zu müssen, war nicht nur ein Bruch, sondern hat auch „viel Kraft erwachsen lassen“.
Mit 18 Jahren tritt der Heranwachsende in Mannheim in eine Gospelband ein. Reverend Lee Brown, der 2022 verstorbene musikalische Leiter, prägt Schlez genau so wie Kontakte zu anderen Musikgrößen der Region wie etwa Johannes Bartmes. „Irgendwie war dann auch ganz schnell klar, ich will nach Amerika“. Er schreibt verschiedene Colleges an, besteht das erste halbe Jahr in New York und kann seine Ausbildung dann mit einem Stipendium fortsetzen. „Ich durfte viel Musik mit richtig guten Leuten machen“, blickt Schlez zurück. Den Grenzhof zu verlassen, bedeutete rückblickend, den Schritt in die große Welt zu machen.
CD-Release in der Heidelberger „Leitstelle“
Schlez kehrt immer wieder zurück in die Metropolregion Rhein-Neckar. Im Sommer wird er bei der Abifeier seines Heidelberger Hölderlin-Gymnasiums dabei sein. Und eine von drei Release-Partys für die CD „Grenzhof“ wird in der „Leitstelle“ in Heidelberg gefeiert (Sonntag, 25. Februar, 19 Uhr). Außerdem leben Schlez’ Eltern in Mannheim. „Ich besuche sie regelmäßig.“
Benja Schlez
- 1970 in Mannheim geboren, studierte Benja Schlez nach dem Abitur in Heidelberg in New York und Berlin Gitarre.
- Mit „Mr. Ed Jumps the Gun“ und dem Titel „Wild Thang“ kam er 1995 an die Spitze der Schweizer Charts.
- Auftragskompositionen für Martini, Coca-Cola und Bacardi gehören ebenfalls zu seinen Referenzen. miro
Schlez lebt heute als Musiker, Komponist, Produzent mit eigenem kleinen Studio und Jazz-Dozent zwischen Berlin und der Schweiz. Als Livemusiker ist er bisher immer mit Band oder als Sideman in einem Duo aufgetreten. Am bekanntesten wurde er in den 1990ern mit „Mr. Ed Jumps the Gun“ und dem Titel „Wild Thang“.
Benja Schlez: "Sehr intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit"Die Entscheidung, nun zum ersten Mal ein Solo-Album aufzunehmen, sei auch während der Corona-Pandemie entstanden. „Es war eine sehr intensive Beschäftigung mit der Vergangenheit.“ Was das bedeutet, weiß Schlez auch aus professioneller Perspektive: Er führt als zweites Standbein eine Praxis für Kinder- und Jugendpsychotherapie.
Der große Wasserturm, der in einer Collage das neue Plattencover ziert, steht indes nicht in Heidelberg, Plankstadt oder Schwetzingen - sondern in Berlin. „Es hätte aber auch genauso der Mannheimer Wasserturm sein können, die beiden sehen sich nämlich sehr ähnlich“, findet Schlez.
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