Kunst

Foto-Installation macht altes Fischerhaus in Neuenheim unsterblich

Von 
Michaela Roßner
Lesedauer: 
Gelbe Quadrate leuchten im morschen Gebälk: Künstler Georges Rousse (2.v.l.) mit (v.l.) Bernhard Fauser, einer studierenden Helferin und Jai Gonzales. © Philipp Rothe

Heidelberg. Diese Installation ist flüchtig: Zwei gemalte gelbe Quadrate, übereinandergelegt im Bild, aber im Raum des maroden Dachgebälks auseinandergezogen. Nur in einer „richtigen“ Perspektive ist die Form perfekt zu sehen - und die hält Künstler Georges Rousse fotografisch exakt fest. Dann zieht der Pariser weiter - und hat den Dachstuhl des alten Fischerhauses in Neuenheim künstlerisch unsterblich gemacht, während das mehrere Jahrhunderte alte Häuschen selbst vermutlich bald einem Neubau weichen muss. Die fertige Arbeit wird als großformatige Fotografie vom 18. Juni bis 22. Juni beim Festival „ArtOrt´22 - YIMBY - Urban Paradies” im ehemaligen Autohaus Bernhardt (Hebelstraße) zu sehen sein.

Rousse ist bekannt für seine kurzlebigen Installationen. Museen auf der ganzen Welt würdigen seine Arbeiten, die im Grand Palais (Paris) genauso zu sehen sind wie im Hirshhorn Museum (Washington) sowie auf mehreren Biennalen (Paris, Venedig, Sydney). Der Veranstalter, das Heidelberger UnterwegsTheater von Jai Gonzales und Bernhard Fauser, widmet Rousse eine eigene Etage im leerstehenden Gewerbekomplex. Die drei Künstler verbindet eine lange Freundschaft. Heidelberg besucht Rousse, Jahrgang 1947, immer wieder. So gestaltete er bereits im vergangenen Jahr im ehemaligen Autohaus die offene Wendeltreppe zu einem Schwarz-Weiß-Bild, das nur von der obersten Etage aus genau so zu sehen war. Wie Scheiben setzen sich die Formen zusammen, und Rousse übernimmt dabei die Arbeit, das Bild erst einmal auseinanderzunehmen, bevor es die Kamera zusammensetzen kann.

Fotografisch exakte Arbeit

Auf einem fest am Boden verankerten Stativ sitzt die Kamera, durch die Rousse immer wieder prüft, ob die Farbbereiche am Gebälk und an Wandfragmenten auch wirklich exakt sitzen. Sonnengelb hat der Künstler, der bereits mehrere renommierte Preise für seine Fotografien erhielt, für die vom Licht umgebene Installation gewählt. Studierende helfen ihm mit Pinsel und Lineal bei der Ausführung. Drei Tage arbeitet Rousse in dem abbruchreifen Haus. Über den freigelegten Dachbalken liegt seit Monaten eine weiße Kunststoffplane; Dachziegel schützen nicht mehr.

Mehr als drei Jahrhunderte Geschichte hat das Haus, das eigentlich kein Fischer- sondern ein Bauernhaus ist: In der Erhaltungssatzung der Stadt wird es mit 1693 datiert, „nach Brand wieder aufgebaut“. Mindestens der Gewölbekeller soll indes schon kurz nach dem Dreißigjährigen Krieg (1618 bis 1648) bestanden haben - das belegten Grundbucheinträge.

Wer in das seit langem leerstehende Haus hineingehen wollte, musste Stufen hinuntersteigen: Die Ladenburger Straße lag früher tiefer und wurde irgendwann aufgeschüttet. Auch die Adresse änderte sich im Laufe der Jahrhunderte: Ursprünglich gehörte das Anwesen zur Schulzengasse. Dorthin ist auch der Giebel ausgerichtet. Unter anderem im Neuenheimer Feld und in Wiesloch bewirtschaftete die Familie Obstgärten und Wingerte. Die Wohnverhältnisse waren beengt: Unten gab es vier Räume, oben zwei. Zehn Personen hatten hier im 19. und 20. Jahrhundert parallel ihr Zuhause. Zuletzt hatte hier ein Tierarzt seine Praxis.

Im Oktober 2020, heißt es bei der Stadtverwaltung, sei der Bauantrag für „Umbau und Erweiterung des Mehrfamilienwohnhauses sowie für die Errichtung einer Dachloggia und einer Außentreppe“ genehmigt worden. Im Februar 2021 habe der Umbau begonnen, doch bald seien dem Eigentümer und den Handwerkern Zweifel an der Substanz gekommen. Ab Juli 2021 sei das Landesdenkmalamt eingeschaltet worden, das den Eindruck bestätigte. Seither ruht der Bau. Und Neuenheimer Bürger machten sich stark für den Erhalt. Doch das Haus sei nicht zu retten, fasste ein von der Stadt bestellter Sachverständiger für Holzkonstruktionen das Ergebnis seiner Untersuchungen zusammen. Tragende Balken seien vom Holzschwamm - einem Pilz - sowie Insekten beschädigt worden. Dem Abriss steht nichts mehr im Wege; auch das Denkmalschutzamt steht dahinter.

Gelb steht für die Sonne

Der Himmel scheint zwischen den gewebten Fasern der dünnen Dachabdeckung hindurch. Mit dem fortschreitenden Tag wird es immer wärmer hier oben. Es herrscht konzentrierte, friedliche Stille. „Es ist, als öffnet sich der Himmel“, beschreibt Rousse den Ort, der auf ihn sofort eine große Faszination ausgeübt habe. Das Gelb der Sonne - er setzt es dem dunklen Unheil entgegen, das dem Gebäude nun droht.

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

Copyright © 2025 Mannheimer Morgen