Heidelberg. In Professor Bernd Brauns Büro in der Heidelberger Friedrich-Ebert-Gedenkstätte hängt ein Foto, das ihn in den 1990er Jahren beim Handschlag mit dem damaligen Bundespräsidenten Roman Herzog zeigt. „Der links bin ich“, scherzt Braun, der das Staatsoberhaupt seinerzeit bei einer Ausstellungseröffnung traf.
Der Historiker arbeitete schon damals bei der Gedenkstätte, die nach dem aus der Altstadt stammenden Friedrich Ebert benannt ist, dem ersten Reichspräsidenten der Weimarer Republik und ersten demokratisch gewählten Staatsoberhaupt der Deutschen. Seit April ist Braun Geschäftsführer der Einrichtung, die über Ebert und seine Zeit informiert und die neben Einzelbesuchern überwiegend Schulklassen und Touristen anzieht. Normalerweise geht es hier friedlich zu, doch am Donnerstag wurde die Gedenkstätte selbst zum Schauplatz einer politischen Auseinandersetzung – und Gastgeber Braun war mittendrin.
Anstellung aus „reinem Zufall“
Bei einer Diskussionsveranstaltung zum Thema Polizei und Demokratie, an der auch ein Polizeioberrat und die Heidelberger Sozialbürgermeisterin Stefanie Jansen (SPD) teilnahmen, riefen Demonstranten im Publikum polizeifeindliche Parolen, zudem wurde „Bullen töten“ ins Gästebuch geschrieben, das Wort „töten“ unterstrichen. Laut der „Antifaschistischen Initiative Heidelberg“ bezogen sich die Demonstranten unter anderem auf den Tod eines psychisch kranken Mannes nach dem Polizeieinsatz vom 2. Mai 2022 in Mannheim. Sie ignorierten zunächst die Aufforderung, zu gehen, später kam es auf der Straße zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Braun wirft den Demonstranten mangelnde Dialogbereitschaft vor. „Man muss über alles reden können. Aber das bedeutet auch, dass man zuhört und nicht eine Veranstaltung einfach niederbrüllt.“
Braun schrieb seine Magisterarbeit über Antisemitismus im faschistischen Italien und startete eine Art „Tellerwäscher-Laufbahn“ bei der Gedenkstätte.
Bei der im Februar 1989 gegründeten Gedenkstätte ist Braun fast von Anfang an, zu verdanken sei seine Anstellung dem „reinen Zufall“, sagt er. Der gebürtige Pforzheimer, der damals in Heidelberg Mittlere und Neuere Geschichte, Germanistik und Politikwissenschaft studierte, erfuhr über einen Kommilitonen, dass die Einrichtung einen Hilfswissenschaftler suchte. Er stellte sich vor und war ab Oktober 1989 studentische Hilfskraft.
Als Jugendlicher hatte er sich für Archäologie begeistert, sich dann aber für die Geschichte entschieden, die „immer da“ gewesen sei, wie er sagt. Seine Eltern waren Flüchtlinge, der Vater, Lagerverwalter bei einer Baufirma und SPD-Mitglied, sprach von den Schrecken des Krieges, die Mutter, Tochter eines SPD-Stadtverordneten, erzählte, wie ihr Vater in der NS-Zeit in „Schutzhaft“ genommen worden war. Braun schrieb seine Magisterarbeit über Antisemitismus im faschistischen Italien und startete eine Art „Tellerwäscher-Laufbahn“ bei der Gedenkstätte. Er wurde Museumspädagoge, promovierte über Eberts SPD-Vorstandskollegen Hermann Molkenbuhr, wurde wissenschaftlicher Mitarbeiter und 2009 Vize-Geschäftsführer.
Die Gedenkstätte
- „Kern“ der Friedrich-Ebert-Gedenkstätte ist Eberts 45 Quadratmeter große Geburtswohnung, in Nebengebäuden sind die 275 Quadratmeter große Dauerausstellung über Leben und Zeit des Sozialdemokraten und die Verwaltung untergebracht. Der Eintritt zur Ausstellung ist frei.
- Der Eröffnung 1989 war 1986 die Gründung der Stiftung Reichspräsident-Friedrich-Ebert-Gedenkstätte vorausgegangen. Ihr Zweck ist es, das Andenken an Eberts Wirken zu wahren und einen Beitrag zum Verständnis der deutschen Geschichte seiner Zeit zu leisten.
- Zur Gedenkstätte, die jährlich einen sechsstelligen Betrag aus dem Etat der Kulturstaatsministerin erhält, gehören elfeinhalb Stellen. Das Programm umfasst Vorträge und Sonderausstellungen.
Zu den vielen Projekten unter seiner Leitung gehören eine Wanderausstellung, ein Bildband, eine Monografie und Aufsätze zu den Weimarer Reichskanzlern. Seit über 20 Jahren ist er zudem Lehrbeauftragter am Historischen Seminar der Universität, derzeit hält er eine Übung zum Thema „Attentate in Kaiserreich und Weimarer Republik“. Das Interesse sei groß, sagt er.
Schwerpunkt Weimarer Republik
Braun, der sich privat für Kunst und Literatur sowie für Italien interessiert, machte die Weimarer Republik zu einem seiner Forschungsschwerpunkte, er lobt sie als Phase nie wieder erreichter Hochkultur, die entgegen manchem Vorurteil noch viel Unbekanntes zu bieten habe. Er will einen Schwerpunkt auf die Kultur jener Zeit legen und nennt als Beispiel den 150. Geburtstag von Hermann Hesse 2027. Zum Jahresende ist eine Sonderausstellung zu Eberts Frau Louise geplant. Ebert, an den in der Dauerausstellung auch ein Stockdegen zur Verteidigung gegen potenzielle Attentäter erinnert, sei inzwischen als der maßgebliche „Mitbegründer der ersten deutschen Demokratie“ anerkannt, zudem sei sein Amtsstil Vorbild für die Bundespräsidenten nach 1945 gewesen. Zwischen 1871 und 1945 sei Ebert das einzige nicht-uniformierte Staatsoberhaupt gewesen, der einzige „ungediente“ Zivilist, noch dazu ein Mann, der das Amt „ohne Pomp, sondern nüchtern und sachlich verwaltet“ habe. „Das war schon ein ganz moderner Politikstil“, so Braun.
Die Glaskugel ist nicht das Hauptinstrument des Historikers
Wäre die Geschichte anders verlaufen, wenn Ebert nicht 1925 mit 54 Jahren gestorben wäre? Darüber könne man schlecht spekulieren, sagt er. „Die Glaskugel ist nicht das Hauptinstrument des Historikers.“ Begraben ist Ebert auf dem Bergfriedhof. Dort wurde auch Hitlers Rüstungsminister Albert Speer beigesetzt. Braun sieht hier die beiden Wege deutscher Politik im 20. Jahrhundert, den demokratischen und den totalitären. Der demokratische könne zwar schwer und mühsam sein, sagt er, „aber der andere hat ins Verderben geführt“.
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