Heidelberg. Die Mittermaierstraße, eine der beiden wichtigsten Nord-Süd-Verkehrsachsen und kürzeste Verbindung zwischen dem Heidelberger Hauptbahnhof und dem Klinik- und Uni-Campus Neuenheimer Feld, bleibt weiter für den motorisierten Verkehr vierspurig. Die Idee, in einem Verkehrsversuch eine Fahrspur dem Radverkehr zuzuschlagen, ist vom Gemeinderat in seiner öffentlichen Sitzung vertagt worden. Eine neue Arbeitsgruppe soll sich des Themas widmen, bevor es wieder auf die Tagesordnung genommen wird. Mit dem Vorschlag, zu vertagen und Experten mit der kniffligen Situation zu beschäftigen, beendete Oberbürgermeister Eckart Würzner eine mehrstündige Diskussion, bei der viele offene Fragen blieben.
177 Unfälle in den vergangenen drei Jahren in diesem Bereich
Der stellvertretende Grünen-Fraktionsvorsitzende Christoph Rothfuß argumentierte für den Verkehrsversuch: Für Fußgänger und Radler sei die Situation „eine Zumutung“. Die schmalen Wege seien nicht nur gefährlich, sondern sogar rechtswidrig. An den Kreuzungen innerhalb des untersuchten Streckenzuges komme es häufig zu Unfällen - in den vergangenen drei Jahren seien 117 Unfälle in diesem Bereich polizeilich erfasst worden. „Hier muss sich etwas ändern!“ „Die Situation in der Mittermaierstraße ist illegal“, verwies Derek Cofie-Nunoo (Grüne) auf den engen Raum, den sich Fußgänger und Radfahrende teilen müssen. Sein Parteikollege Bülent Teztiker unterstrich das als Familienvater: „Meine Kinder dürfen hier, obwohl sie gut ausgebildete Radler sind, nicht alleine fahren.“
Larissa Winter-Horn („Die Heidelberger“) verwies auf die Bedenken, die von der „Blaulichtfamilie“ von Rettungsdiensten, Feuerwehr und Polizei gegen den Verkehrsversuch vorgebracht worden seien. „Die Rettungsdienste müssen sich schon jetzt in Stoßzeiten durch die Straße kämpfen“, sieht sie eine weitere Verengung des Raums für den motorisierten Verkehr sehr kritisch. Zudem gebe es aktuell mit der Rohrbacher Straße und der Dossenheimer Landstraße zwei große Baustellen auf der Nord-Süd-Achse, die den Druck auf die Mittermaierstraße ohnehin bereits verstärkten. „Beim Thema Sicherheit sollten wir auf die Aussagen derer vertrauen, die sich am besten damit auskennen“, räumte auch Matthias Kutsch (CDU) der „Blaulicht“-Stellungnahme weiten Raum ein.
Bordstein zu hoch für Krankenwagen
Unter anderem aus Paris kam die Idee in die Diskussion, dass Rettungswagen im Notfall über die Radwege am Autoverkehr vorbei gelangen könnten. Der Chef der Heidelberger Berufsfeuerwehr, Heiko Holler, sieht das eher kritisch: Er erklärte dem Gremium, dass der Bordstein in der Mittermaierstraße zum Teil sehr hoch sei. Müsste ein Radfahrer von der Fahrbahn auf den Gehweg wechseln, weil hinter ihm Blaulicht naht, könne das allenfalls ein jüngerer Radler schnell schaffen, „ein älterer Mensch mit schwerem E-Bike oder ein Lastradfahrer täte sich da wohl eher schwer“. Außerdem seien die Fahrspuren schmal. „Mit einem etwa drei Meter breiten Fahrzeug und dem nötigen Abstand von 1,50 Metern zum Radler wird es bei 5,50 Metern Fahrspurbreite eng.“
Konträre Positionen
SPD-Fraktionschefin Anke Schuster formulierte angesichts der scheinbar unlösbar konträren Positionen Kritik am Klimaschutz-Bürgermeister Raoul Schmidt-Lamontain (Grüne), der das Thema aus ihrer Sicht nicht ausreichend im Vorfeld vorbereitet habe, und am Stadtchef, der seine Position bereits vorab in einem Interview formuliert habe. „Die Entscheidung ist nicht entscheidungsreif“, fasste Schuster zusammen. Schmidt-Lamontain konterte, dass im folgenden „üblichen Planungsprozess selbstverständlich alle Aspekte erörtert“ würden.
2017 wurden auf der Ernst-Walz-Brücke durchschnittlich 43 000 Fahrzeuge pro Tag gezählt. Mehr als 2,8 Millionen Radfahrende sind 2022 auf dieser Querung unterwegs gewesen - am Tag rund 7800 Radler. Aktuellere Zahlen zu bekommen, war eine weitere Forderung aus dem Gremium. Denn seit der Pandemie gibt es mehr Homeoffice, mehr Radfahrer und mehr Pendler, die auf den ÖPNV setzen.
Seit etwa zwei Jahren wird die Möglichkeit diskutiert, in der Mittermaierstraße bessere Rad- und Fußgängerbedingungen zu schaffen. Viel Spielraum gibt es wegen der von zwei Seiten dicht bebauten Straßenfronten nicht. Bereits im Dezember 2023 war das Thema auf der Tagesordnung des Gemeinderats, wurde aber zurück in die Ausschüsse verwiesen. Von dort kam der Verkehrsversuch kürzlich „mit Grünlicht“ zurück. Der Ausschuss für Klimaschutz und Mobilität hatte den Vorschlag befürwortet.
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Kommentar Vor dem Verkehrsversuch ist Faktensammeln nötig