Das Interview - Die Irie Révoltés sprechen über ihr ausverkauftes Abschiedskonzert am 26. Dezember in der Mannheimer Maimarkthalle

„Den richtigen Zeitpunkt gibt es nicht“

Von 
Jörg-Peter Klotz
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Die Parole „Kein Mensch ist illegal“ hat sich die Heidelberger Band Irie Révoltés um die deutsch-französischen Brüder Carlito (im Vordergrund links) und Mal élevé (r.) seit Jahren auf die Fahne geschrieben.Obwohl sie zuletzt immer erfolgreicher wurde, endet die Bandgeschichte am zweiten Weihnachtsfeiertag. © Julia Hoppen

Die Irie Révoltés (IR), ein Kollektiv aus neun Musikern und Politaktivisten aus Heidelberg, beenden ihre Karriere – und zwar mit dem größten Konzert ihrer 17-jährigen Bandgeschichte am 26. Dezember in der ausverkauften Mannheimer Maimarkthalle. Warum ausgerechnet jetzt, darüber sprachen die beiden Frontleute Mal élevé und Carlito im Telefoninterview.

Die AfD im Bundestag, die Flüchtlingspolitik ein Spielball verunsicherter Parteien bei der Regierungsbildung, offener Antisemitismus auf den Straßen – ist das nicht der falscheste Zeitpunkt für das Karrierende einer politisch engagierte Band wie den Iries Révoltés ?

Mal élevé: Na, den richtigen Zeitpunkt in der Hinsicht gibt es in absehbarer Zeit leider gar nicht. Es ist politisch gesehen gerade natürlich ein harter Moment, um uns zu verabschieden. Für mich persönlich ist Irie Révoltés einer von vielen Wegen, politisch aktiv zu sein und auch wenn wir jetzt aufhören, heißt das noch lange nicht, dass der Kampf gegen Rassismus und Antisemitismus oder der Einsatz für Geflüchtete für mich Ende des Jahres aufhört.

Carlito: Es ist leider tatsächlich so, dass in der heutigen Zeit Kunst, die den Menschen und somit der Gesellschaft einen Spiegel vorhält, immer wichtiger wird. Den „richtigen“ Zeitpunkt aufzuhören gibt es nicht. Wir haben gemeinsam entschieden, uns nach fast 18 Jahren ohne Pause von dem Projekt IR zu verabschieden.

Paradoxerweise haben sich Ihre Platten zuletzt immer besser verkauft, die Hallen wurden größer.... wurde der Erfolg für eine unkommerzielle Band zu groß?

Carlito: Unser Ziel war von Anfang an, Leute zu erreichen, um sie zum Nachdenken zu bringen. Am besten dahingehend, dass sie selbst etwas bewegen. Wir wollten motivieren. Als wir über die vielen Jahre mehr und mehr Leute mit unseren Liedern und den Konzerten erreichen konnten, kamen wir unserem Traum ein Stückchen näher... ohne uns zu verbiegen oder uns zu verkaufen.

Was sind die konkreten Gründe für die Trennung? Fällt Ihnen nichts mehr ein, sind Sie zu lange beieinander oder liegt es am alten Zielkonflikt in jung gestarteten Bands, dass manche Profimusiker sein wollen – und andere nicht?

Carlito: An Kreativität hat es uns nie gemangelt. Es gibt noch etliche Ideen für Songthemen und verschiedene Sounds, die wir gerne gemacht hätten. Natürlich kann man so ein Musikprojekt nicht über fast 20 Jahre mit genau den gleichen Leuten machen. Da gab’s in unserer Bandgeschichte auch den Einen oder Anderen, der sich für einen anderen Weg entschieden hat. Das Beenden des Projektes hat jedoch nicht diesen Grund. Wir hatten das Gefühl, dass es an der Zeit ist, „loszulassen“, denn der Spirit von Irie Révoltés wird in den Liedern, den Konzertaufnahmen und den Erinnerungen weiterleben. Vor allem die Menschen, die durch unsere Musik dazu bewegt wurden, selbst etwas zu verändern, tragen ein Stück von IR weiter in die Zukunft.

Die Entscheidung, die Band aufzulösen, haben Sie im Oktober 2016 verkündet. Kamen in der Zwischenzeit mal Zweifel auf?

Carlito: Die Entscheidung haben wir Anfang 2016 getroffen. Bis dann alles bezüglich den letzten Festivals und dem Abschiedskonzert geplant war, war Oktober. Wir hatten also einen langen, unfassbar bewegenden Abschied nach unserer Entscheidung. Am Ende bleibt Dankbarkeit für all das, was wir durch die Band erfahren haben. Für unzählige Erlebnisse an so vielen verschiedenen Orten, in so vielen Ländern, auf verschiedenen Kontinenten. Diese Erfahrungen werden für immer ein Lächeln in unsere Gesichter zeichnen!

Das Abschiedskonzert geht mit über 10 000 Zuschauern in der Maimarkthalle über die Bühne. Mussten Sie für Ihre wohl größte, eigene Show technisch aufrüsten?

Carlito: Bei so einer riesigen Show gibt es ganz andere Dinge zu beachten, mit denen wir uns vorher nie beschäftigt haben. Wie zum Beispiel der Einlass für so viele Menschen. Die Größe der Bühne kennen wir von diversen Festivals. Da wissen wir also, was auf uns zukommt, und haben auf der technischen Seite auch schon alles gehabt. So ein großes Publikum, das nur für Irie Révoltés kommt: Darauf können wir nicht vorbereitet sein. Das wird alles übertreffen, was wir je erlebt haben.

Die Irie Révoltés sind ja nicht der Typ Band für Best-of-Platten, aber ein Live-Mitschnitt der letzten – und größten – Show würde sich extrem anbieten, oder?

Carlito: Es wird kein Best-of-Album geben. Das Konzert wird auf jeden Fall gefilmt. Was damit passiert, verraten wir aber noch nicht…

Gibt es musikalische Pläne einzelner Mitglieder für die Zukunft? Es ist ja schwer vorstellbar, dass etwa die Charlemoine-Brüder keine Musik mehr machen, oder?

Carlito: Das ist echt nicht vorstellbar. Ich habe Anfang des Jahres angefangen an einem Album zu arbeiten und habe auch schon einen Song auf der Tour gespielt, den ich ebenfalls in Mannheim performen werde. Nächstes Jahr wird was kommen.

Und Ihr soziales und politisches Engagement?

Carlito: Das ist ein Teil von uns.

Mal élevé: Das geht definitiv weiter!

Was wäre Ihre Idee, wie man die Spaltung unserer Gesellschaft kitten könnte?

Carlito: Dieses Thema lässt sich nicht mit ein paar Sätzen abhaken. Wenn es ein Stichwort sein soll: Dialog!.

Mal élevé: Ich denke, ein Weg ist auf jeden Fall, mehr miteinander zu reden und zu kommunizieren. Dann ist es wichtig, viel Aufklärung zu betreiben. Unter anderem an Schulen, um rassistischen Vorurteilen und dem Rechtsruck den Boden zu entziehen.

Fröhliche Revolutionäre aus Heidelberg

  • Die Heidelberger Carlito und Mal élevé (zu Deutsch: schlecht erzogen) heißen mit bürgerlichem Namen Carlos und Pablo Charlemoine. Zusammen mit Freunden gründete das politisch aktive Brüderpaar im Jahr 2000 die neunköpfige Band Irie Révoltés (fröhliche Revolutionäre).
  • Mit ihrer partytauglichen Mixtur aus Reggae, Ska, Rap und Pop mit sozialkritischen, deutsch-französischen Texten waren sie lange eine Live-Attraktion und Festival-Lieblinge.
  • Mit ihren jüngsten Platten „Allez“ (2013) und Irie Révoltés rückten sie zuletzt immer näher an die Album-Top-20 und zählen zu den erfolgreichsten Bands der Region.
  • Politisch engagiert sich die Band in Heidelberg in der Flüchtlingsarbeit und unterstützt Projekte wie „Respekt!“, „Viva con Agua de St. Pauli“, „Kein Platz für Rassismus“ oder „Rollis für Afrika“.
  • Im Oktober 2016 verkündete die Band, dass sie sich nach einem Abschiedskonzert am 26. Dezember in der ausverkauften Mannheimer Maimarkthalle auflöst. jpk

Ressortleitung Stv. Kulturchef

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