Depressionen

Auf Augenhöhe mit Ed Sheeran und Julia Roberts: Schüler setzen sich mit pychischen Krankheiten auseinander

Was haben Sänger Ed Sheeran, Schauspielerin Julia Roberts und Heidelberger Schüler gemeinsam? Das Projekt "Verrückt? Na und!" setzt sich mit psychischen Erkrankungen auseinander

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Michaela Roßner
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Ein Jugendlicher schaut auf sein Handy. (zu dpa: «Studie: Stimmungstief und Rechtsruck bei junger Generation») +++ dpa-Bildfunk +++ © Karl-Josef Hildenbrand

Heidelberg. „Du spinnst“ oder „Du bist verrückt“: Mit solchen Kommentaren sind nicht nur Jugendliche schnell bei der Hand. Doch was bedeutet es eigentlich, psychisch krank zu sein? Woran merkt man bei sich selbst oder seinen Mitschülern, dass etwas nicht stimmt? Und wie geht man mit Gleichaltrigen um, die nach einer längeren stationären Behandlung wegen einer psychischen Erkrankung wieder in die Klasse zurückkehren? Das Projekt „Verrückt? Na und!“ von Stadt und Selbsthilfebüro in Heidelberg wirbt für Offenheit im Umgang mit psychischen Erkrankungen. Experten-Tandems besuchen jeweils einen Tag lang eine Klasse und laden zum Erfahrungsaustausch ein.

„Die Angst vor Diskriminierung ist ein wichtiger Grund, warum Menschen mit psychischen Problemen und ihre Angehörigen zu spät oder gar nicht medizinische Hilfe in Anspruch nehmen“, weiß Stefanie Jansen, Bürgermeisterin für Soziales, Bildung, Familie und Chancengleichheit. Gemeinsam mit Andrea Meixner (Amt für Soziales und Senioren), Bärbel Handlos, Leiterin des Selbsthilfebüros, Projektleiterin Reinhild Beermann und Peter Brunner, der mit Beermann Schulklassen besucht, stellte sie „Verrückt? Na und!“ jetzt im Selbsthilfebüro in der Alten Eppelheimer Straße vor.

Rund 250 Schüler haben am Programm teilgenommen

Weitere Heidelberger Schulen können sich bewerben. Mit 26 000 Euro unterstützt die Stadt das Projekt, das kurz vor den Sommerferien 2023 startete und inzwischen in einem guten Jahr rund 250 Schülerinnen und Schüler aus der Stadt und dem Rhein-Neckar-Kreis erreicht hat. Das Programm richtet sich an Schülerinnen und Schüler ab der achten Klasse.

Rund 53 000 Psychotherapeutinnen und -therapeuten gibt es laut dem Statistischen Bundesamt in Deutschland. Das klingt viel. Aber Betroffene wissen: Einen Termin zu bekommen, ist schwierig. Auch in Heidelberg, wo die Dichte der Therapeutinnen vergleichsweise hoch ist, gibt es eine Unterversorgung, bestätigt Jansen. Fast 900 000 Jugendliche sind 2021 bundesweit wegen einer psychischen Erkrankung behandelt worden.

Über Essstörungen bis Psychosen, Traumen oder Ängsten reicht die Palette der Erkrankungen. „Entstigmatisierung für sich selbst und andere zu erreichen, ist ein wichtiges Anliegen der Aktiven aus der Selbsthilfe“, sagt die Geschäftsführerin des Selbsthilfebüros, Bärbel Handlos. Und noch etwas ist ihr wichtig: Psychische Erkrankungen sind behandel- und heilbar - und dann bleiben sie nicht selten eine Episode in einem Leben, die irgendwann vorbei geht. Auch Mobbing könne beispielsweise zu psychischen Störungen führen. Werden solche Situationen schnell erkannt und entspannt, entschärft sich auch ihr krankmachendes Potenzial.

Es geht vor allem darum, die Jugendlichen zu sensibilisieren und ins gespräch zu kommen mit ihnen. Wann ist es noch normal, jedes Wochenende auszugehen und zu trinken - und wann wird eine Krankheit daraus? Die Übergänge sind fließend. Je früher eine psychische Erkrankung erkannt wird, desto größer ist die Chance, sie gut behandeln zu können. Auch das ist der Hintergrund der Schulbesuche. Das Programm hat der Leipziger Verein „Irrsinnig Menschlich“ entwickelt. Die Tandems, die dann in den jeweiligen Städten in die Schulen gehen, werden von Experten darauf vorbereitet. Sie arbeiten ehrenamtlich.

„Meist zeigen wir zu Beginn Bilder von Prominenten wie Julia Roberts oder Ed Sheeran“, beschreibt Beermann den Ablauf eines solchen Tages in der Schule. „Die Schüler wissen ganz genau, welche Probleme diese Promis hatten. So litt die als „Pretty Woman“ bekanntgewordene Schauspielerin Roberts unter Depressionen und der berühmte Popsänger hatte Essstörungen. Beide sind mit ihren Erkrankungen an die Öffentlichkeit gegangen.

„Es kann jeden treffen“, ist die Botschaft. Schlechte Gefühle, Angst, Gewalt und Missbrauch oder Suchtberatung: Eine kleine Broschüre fasst Ansprechpartner und Telefonnummern aus Heidelberg zusammen. „Es gibt viele Angebote in der Stadt, das ist manchmal gar nicht so bekannt“, sagt Jansen.

Experten berichten von eigenen Erfahrungen

Brunner ist seit einiger Zeit dabei und hat schon drei Klassen kennengelernt. Wenn er den Jugendlichen erzählt, dass er selbst an Depressionen erkrankt war, werde es ganz leise im Klassenzimmer, berichtet Beermann. „Die Schülerinnen und Schüler stellen dann viele Fragen: Wie und warum ich krank wurde, wie mein Leben weitergegangen ist“, sagt er. Dass Betroffene aus erster Hand berichten, sei für die Schüler besonders eindringlich. Doch er nimmt sich auch das Recht heraus, nicht zu antworten, wenn eine Frage zu tief geht. „Das kommt immer auch auf den Kontext an“, erzählt der Senior, der inzwischen Rentner ist. Wer wie er als Experte Schulen besuchen möchte, darf sich - genauso wie Experten mit medizinischem oder psychologischen Hintergrund gerne beim Selbsthilfebüro bewerben: Es sollen weitere Teams gebildet werden.

Vom 10. bis 20. Oktober rückt die „Woche der Seelischen Gesundheit“ bundesweit verschiedene Aspekte psychischer Krankheiten in den Blick. Die Aktionswoche steht in diesem Jahr unter dem Motto „Hand in Hand für seelische Gesundheit am Arbeitsplatz”. Das Heidelberger Selbsthilfebüro ist das ganze Jahr über mit dem Themenkomplex beschäftgt: „Rund 40 Prozent aller Anfragen an uns betreffen den Bereich psychische Erkrankungen“, bestätigt Handlos.

www.selbsthilfe-heidelberg.de/seelisch_fit

Redaktion Redakteurin Metropolregion/Heidelberg

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