Geschichte

Als Heidelberg-Handschuhsheim noch europäisches Zentrum der Füllerindustrie war

Rund 40 Fabriken und Werkstätten gab es in Heidelberg und Umgebung, die einen wesentlichen Anteil an der Geschichte des Füllfederhalters haben. Ein Museum lässt diese Zeit wieder aufleben

Von 
Heike Dürr
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Füllfederhalter in allen Farben und Designs gibt es im Füllhaltermuseum in Handschuhsheim zu entdecken. Einst fertigte die Firma Kaweco in dem Heidelberger Stadtteil ihre weltweit bekannten Produkte. © Philipp Rothe

Heidelberg. Was haben ein Mammut und weißer Käse mit Füllhaltern zu tun? Solche Fragen beantwortet Thomas Neureither seinen Besuchern im Füllhaltermuseum in Handschuhsheim. Kurzweilig und mit unzähligen Anekdoten erzählt er über die Geschichte der Füllhalter und der rund 40 Fabriken und Werkstätten in der Region, die einen wesentlichen Anteil an der Geschichte der Füllhalter haben: „Kaum jemand weiß über die Bedeutung unseres Stadtteils als europäisches Zentrum der Füllhalterindustrie.“ Dabei ist dem ehemaligen Chemiker die Begeisterung in jeder Sekunde anzumerken.

Im November 2016 eröffnete er mit Unterstützung des Stadtteilvereins Handschuhsheim sein ungewöhnliches Museum im Alten Rathaus und präsentiert dort seine private Sammlung. Die erste Ausstellung zur Füllertradition in Handschuhsheim stellte er allerdings bereits 1991 zusammen. Sie war der Beginn einer systematischen Sammlung sowie der Startschuss zu intensiver Recherche.

Museum mit Werkstatt in Heidelberg

Zugute kam ihm, dass sein Großvater für die 1883 gegründete Kaweco, die damals größte Federhalterfabrik des Kontinents mit Sitz in Handschuhsheim, arbeitete: „Vielen ist das Kaweco-Gebäude bis heute ein Begriff“, so der Museumsleiter. Später machte sich der Opa mit einer kleinen Werkstatt zur Reparatur von Federhaltern selbstständig - keine 100 Meter vom heutigen Museum entfernt.

Diese Werkstatt baute Neureither im Museum wieder auf, alle Maschinen funktionieren noch: „Hier könnte man komplette Füllhalter herstellen.“ Viele Ausstellungsstücke stammen aus Familienbesitz, so manches hat Neureither dazugekauft oder als Geschenk von Besuchern erhalten. Neben eleganten, einfach schönen Stücken besitzt er einen Sicherheitsfüllfederhalter, der beim Einstecken in die Brusttasche Tintenflecke auf dem Hemd verhindern sollte. Da Damenblusen keine solche Tasche aufwiesen, wurden für sie getrennte Modelle ohne Clip produziert - eine Idee, die sich nicht durchsetzte.

Füllhaltermuseum

  • Mehr Infos auf der Seite des Trägervereins Stadtteilverein Handschuhsheim e.V. unter www.tiefburg.de
  • Das Handschuhsheimer Füllhaltermuseum ist jeden zweiten und vierten Sonntag im Monat von 15 bis 17 Uhr geöffnet, der Eintritt ist frei.
  • Bei Interesse an Sonderführungen für Schüler oder Gruppen sind Absprachen mit Museumsleiter Thomas Neureither unter fuellhaltermuseum@tiefburg.de möglich.
  • Die Schülerveranstaltungen sind ebenfalls kostenfrei, es fällt nur ein Materialaufwand von einem Euro pro Kind an. Voraussetzung: Füllerführerschein
  • Die Museumsräume in der Dossenheimer Landstraße 5 in Handschuhsheim sind über die Mittlere Kirchgasse barrierefrei zugänglich.

Weitaus besser kamen Modelle mit ungewöhnlichen Designs wie ein mit Fell überzogener Winterfüller an. Neureither präsentiert neben dem letzten in Heidelberg hergestellten Kolbenfüller auch rare Einzelstücke, die zu ihrer Zeit sehr wertvoll waren und zum Teil den Gegenwert von drei Monatsgehältern kosteten. „Das war nur was für reiche Leute. Damals war eine Genehmigung vom Lehrer nötig, um einen Füllhalter im Unterricht benutzen zu dürfen.“ Er zeichnet den Weg von der Feder aus Schilfrohr über Stahlfedern und Füllfederhalter bis hin zum modernen Füller nach, man erfährt alles über Materialien wie der aus dem Milcheiweiß Casein hergestellte Kunststoff Galalith oder über Herstellungs- und Funktionsweisen der Federn. Zu sehen sind Original-Patente, aber auch ein Foto von Neureithers Großmutter als junge Frau bei der Arbeit: Sie hatte eigenhändig Federn geschliffen.

Inzwischen ist Neureither nicht nur Kennern ein Begriff und steht in engem Austausch mit den wenigen tausend Füllhaltersammlern weltweit. Gäste aus aller Welt besuchen sein Museum, über das sogar in einem chinesischen Blog berichtet wird. „Das Sammeln von Füllhaltern ist kein Spleen sondern echte Arbeit für die Stadt, den Stadtteil und auch Erinnerungskultur“, betont er. Unterstützt wird er von seiner Schwester Ulrike Falk, die sich ebenfalls ehrenamtlich für das kleine, feine Museum engagiert: „Sehr gerne bin ich vor allem bei den Schülerveranstaltungen dabei“.

Ulrike Falk und Thomas Neureither lassen in ihrem Füllhaltermuseum die Geschichte des kleinen Schreibwerkzeugs aufleben. © Philipp Rothe

Dafür haben Neureither und Falk ein besonderes Programm entwickelt. Es beginnt bei der Entstehung der Buchstaben und der entsprechenden Schreibgeräte. Gemeinsam geht es auf eine Zeitreise von der Stein- über die Römerzeit und das Mittelalter in die Neuzeit. Mit verschiedenen Requisiten, Kostümen und Spielszenen zieht Neureither seine jungen Besucher schnell in seinen Bann, er lässt sie Steine mörsern, mit Holzkohle arbeiten und entdecken, wie Farbe entstanden ist. Verkleidet als Höhlenmensch oder Römer erzählt er Geschichten von der Mammutjagd und von Höhlenzeichnungen. Am Ende dürfen die Kinder mit Originalfüllern mit hochwertigen Goldfedern einen Brief über ihre Erlebnisse nach Hause schreiben und ihn auch versiegeln.

Füller bei Firmenauflösungen gekauft

Bis heute haben Füllhalter für Neureither nichts von ihrer Faszination verloren. Davon zeugt auch eine kleine Spezialausstellung zu Anne Frank, die geschrieben hat: „Mein Füllhalter war immer ein kostbarer Besitz“. Welchen Füller sie benutzte, ist bis heute Gegenstand einer Diskussion unter Fachleuten, an der sich auch Neureither rege beteiligt. Gedanken macht er sich auch um das Thema Nachhaltigkeit, da durch die leeren Tintenpatronen viel Plastikmüll anfällt. „Dafür gibt es schon lange eine Lösung“, zeigt er, „sogenannte Konverter ersetzen Patronen in Füllern und lassen sich mit Tinte befüllen.“ Bei Firmenauflösungen kauft er immer alle Füller auf, um sie an die Kinder zu verschenken, die sich vielleicht keinen eigenen Füller leisten können.

Alles erfassen lässt sich bei einem einzelnen Besuch im Füllermuseum nicht. Daher lohnt es sich, wiederzukommen. Dafür haben Neureither und Falk einen schönen Rahmen geschaffen: Es gibt einen Tisch, an dem man sitzen und lesen oder seine Weihnachtspost erledigen kann, eine kleine Bibliothek und eine Teeküche. Und: Jeder ausgestellte Füller darf dort benutzt werden, denn: „Ein Füllermuseum, in dem man nicht schreiben kann, hat seinen Namen verwirkt.“

Freie Autorin Schwerpunkt: Portraits

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