Heidelberg. Rund sechs Jahrzehnte ragte der Schornstein an der südlichen Gemarkungsgrenze Heidelbergs in den Himmel. Am Dienstagmittag um 14 Uhr besiegeln 6,5 Kilogramm Sprengstoff sein Schicksal: Das alte Wahrzeichen des ehemaligen Eternit-Werks ist ohne Probleme gesprengt worden. Es ist einer der letzten Schritte des IndustrieRückbaus, der Platz macht für das neue interkommunale Gewerbegebiet Leimen/Heidelberg.
„Sehr geehrte Kunden. Um 14 Uhr wird auf dem Nachbargrundstück ein Gebäudeteil gesprengt“, warnt eine Durchsage im Baumarkt gegenüber vor der bevorstehenden Detonation. An den Zäunen zum Werksgelände und auf einigen Dächern ringsum finden sich Zuschauer zusammen, die meisten halten die Handykamera hoch. Dann folgen mehrere Warnhupen, bevor ein lauter Knall den Boden erschüttert. Sekundenbruchteile später sackt der Schornstein mit dem alten Logo des Faserbeton-Herstellers erst kurz in sich zusammen und kippt dann Richtung Westen zur Seite – genau so, wie die Sprengexperten das geplant hatten.
6,5 Kilo Sprengstoff verwendet
Zwei Tage Vorbereitungen steckten in der spektakulären Aktion, berichtet Sprengingenieur Michael Neubert, der mit dem Unternehmen aus Thüringen den Auftrag bekommen hat. Per elektrischer Zündung löst er die sogenannte Fahrtrichtungssprengung aus. Im unteren Bereich des Schornsteins zündet das explosive Material, das in drei Bohrlochreihen und 35 Löcher gesteckt ist. Um diese Bohrlochsprengung vorzubereiten, ist am Vortag an einer Seite Material aus der Mauer des 60 Meter hohen Bauwerks geschlagen worden. „Im Prinzip funktioniert das so ähnlich, wie einen Baum zu fällen“, erklärt der Ingenieur. Zwar sei jede Sprengung an sich schon eine knifflige Angelegenheit. Hier habe es aber geholfen, dass rund um den Turm keine Gebäude gefährdet waren. Zur Seite des Baumarkts hin sind hohe Erd- und Schuttwälle aufgehäuft, auf denen Container zusätzlich abschirmen. Auch die Nachbarn waren informiert worden, Anwohner sollten Fenster geschlossen halten. Abbruchunternehmer Harald Wist notiert, dass kaum Ruß verteilt worden sei bei der Sprengung. Seit gut einem halben Jahr war der alte Schornstein, der nicht nur ein Stück Industriegeschichte symbolisiert, sondern auch die Gemarkungsgrenze zwischen Heidelberg und Leimen, nicht mehr in Betrieb. Die alte Holzpellets-Heizung war durch moderne Wärme-Kopplung und Blockheizkraftwerke ersetzt worden, ein Abzug wurde nicht mehr benötigt.
Der weithin sichtbare Turm, der später einen weißen „Kollegen“ auf dem Firmengelände des Heidelcement-Geländes hinzubekam, dokumentiert das Ende einer Produktionsära: Das alte Logo, das im 1960er-Jahre-Design in übereinandergestellten roten Buchstaben am oberen Ende des Turms „Eternit“ ergibt, hat sich überholt: Zwar gibt es die sieben Buchstaben noch als Produktmarke, aber die noch verbliebene Farbenproduktion gehört nun zum in Beckum ansässigen Unternehmen Etex Germany Exteriors mit Mutterkonzern in Belgien. Rund 60 Mitarbeiter gibt es noch hier im Heidelberger Süden, 450 am nordrhein-westfälischen Stammsitz. Das ursprüngliche Hauptgeschäft in Leimen und Heidelberg mit Faserzement-Platten ist schon vor Jahren eingestellt worden. In der Farbenfabrik werden unter anderem hitzebeständige Speziallacke hergestellt.
Faserzement und Farben
- Eternit produzierte in Leimen/Heidelberg Faserzementplatten und -rohre, erst mit, dann ohne Asbest.
- 1993 wurde Asbest, ein Mineral, das Krebs auslösen kann, bundesweit verboten.
- 2017 wurde die Zementfaser-Produktion ins Ausland verlegt. Das Unternehmen wurde von der Etex Germany Exteriors GmbH mit Sitz in Beckum übernommen.
- Auf dem Gelände der heutigen Farbproduktion stehen auch Industriehallen, die in den 1950er-Jahren vom Bauhaus-Schüler und Lehrer Ernst Neufert (1900-1986) entworfen wurden. Denkmalschützer wollen sie erhalten.
Nächster Auftrag Windanlage
Nach der Aktion blickt Neubert, der „rundum zufrieden ist“ mit dem Einsatz, fast andächtig auf den Trümmerhaufen, schaut sich die Steinbrocken genau an und sichert die Eindrücke mit einer Sportkamera. Derweil beginnt ein Bagger, feinsäuberlich Metallstützen aus den Trümmern herauszuklauben und anzuhäufen.
Für die Thüringer Sprenggesellschaft und Sprengingenieur Neubert geht es gleich zum nächsten Einsatz: In der Nähe von Paderborn stehen alte Windkraftanlagen, die in wenigen Tagen Geschichte sein werden.
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