„Ein Traum ging in Erfüllung: Hip-Hop auf dem Schloss!“ Es ist nicht der einzige, der für den Deutsch-Rap-Wegbereiter Frederik Hahn alias Torch in der Festwoche zu seinem 50. Geburtstag in seiner Heimatstadt Heidelberg wahr wurde. Nach langen Jahren des Haderns mit dem Gefühl, von offizieller Seite nicht richtig gesehen, anerkannt und respektiert zu werden. Ein wechselseitiges Fremdeln, das sich nun weitgehend aufgelöst haben dürfte.
Viel mehr Beachtung, Anerkennung und Respekt als dem Deutsch-Haitianer seit seinem Geburtstag am 29. September zuteil wird, ist schwer vorstellbar - womöglich nicht mal bei Wolfgang Niedecken in Köln oder Campino in Düsseldorf. Der Reigen der Ehrungen beginnt am Freitag mit der Verleihung der Richard-Benz-Medaille, die Torch für seine Verdienste um Heidelberger Kultur und Wissenschaft in eine Reihe mit Lyrikerin Hilde Domin (1909-2006), den Wirtschaftsgrößen Klaus Erwin Tschira (SAP, 1940-2015) und Manfred Lautenschläger (MLP) oder dem Politgrafiker und langjährigen Präsidenten der Berliner Akademie, Klaus Staeck, stellt.
In der Tradition Gadamers
Oberbürgermeister Eckart Würzner würdigt ihn bei der Verleihung als Pionier und politischen „Wachrüttler“. Baden-Württembergs Finanzminister Danyal Bayaz charakterisiert den Rapper in einer flammenden Laudatio als „Grenzgänger zwischen Kunst, Lyrik, Politik, Geschichte und Philosophie“ in der Tradition von Hilde Domin und des Philosophen Hans-Georg Gadamer.
Dass man Hip-Hoppern, also Menschen, die wie Torch nicht nur rappen, sondern auch breakdancen und Grafitti sprühen, den Schlüssel zum Schloss anvertraut, ist ein weiterer Ritterschlag. Der dem in der Altstadt groß gewordenen Hauptdarsteller viel bedeutet: „Heute gehört das Schloss uns“, ruft er den 800 Fans, Wegbegleitern und Freundinnen am Samstagabend im ausverkauften Schlosshof zu: „Heute gehört es nicht den Touristen, nicht der ganzen Welt. Das ist special.“
Die Show ist es auch. Wo beim Geburtstagskonzert „40 Jahre Torch“ reihenweise zu Stars gewordene Jünger wie Marteria, die Beginner um Jan Delay oder Max Herre dem Heidelberger Hip-Hop-Philosophen huldigten, setzt der weiter gereifte Torch ausschließlich auf den innersten Zirkel seiner Vertrauten. Die Stieber Twins, zwei altgediente Schüler seiner 1987 gegründeten Band Advanced Chemistry (AC), eröffnen den Abend rasant. Teilweise verstärkt durch die langjährige Heidelbergerin Cora E, eine der ersten Rapperinnen überhaupt. Den zweiten Teil des Vorprogramms bestreitet natürlich AC-Mitgründer Toni L, der gekonnt funky zum „D’Artagnan des Wortgefechts“ und „meinem Bruder Torch“ überleitet, als er den Hauptdarsteller auf die Bühne holt.
Der tritt standesgemäß glamourös im weißen Anzug auf und startet das Set, selbstbewusst, weil anspruchsvoll mit dem kontemplativen „Kapitel 1“ von seinem einzigen Soloalbum (2000), das zu den wichtigsten Platten des Deutschrap zählt. Sein Auftritt ist dreigeteilt, wie so vieles in dieser Karriere: Torch startet mit puristischem Rap, nur begleitet von DJ Stylewarz. Auf den Mittelteil mit fünfköpfiger Band und Höhepunkten wie „Wer bin ich“ und einer opulenteren Version des ersten öffentlichkeitswirksamen Deutschrap-Songs „Fremd im eigenen Land“ als Höhepunkten, folgt ... Kammermusik. Ein Streichquartett nimmt neben der Band Platz, und veredelt die Solo-Klassiker „Blauer Samt“, „Gewalt oder Sex“ und „Wir waren mal Stars“ vor wunderbar illuminierter Schlosskulisse - konzertfilmreif. Nachdem die Turmuhr elf geschlagen hat, endet der Abend passenderweise mit „Wunderschön“, einer Sprechgesangsballade in der Tradition von Hölderlins „Heidelberg“-Gedicht, nur von Streicherinnen begleitet. Das passt perfekt zu einem der Zentren der Romantik.
Akademische Diskussion
Das wird auch am Montag deutlich, als auch noch die akademischen Schranken in Heidelberg vor Torch fallen und er in der ehrwürdigen Alten und der Neuen Aula der Universität aus der frischgedruckten Monografie zu „Blauer Samt“ liest. Dazu gibt es eine Podiumsdiskussion, bei der am Abend in der Neuen Aula Musikhistorikerin Christiane Wiesenfeldt, Direktorin des Musikwissenschaftlichen Seminars, Kunsthistoriker Henry Keazor und Ex-Popakademie-Sprecher Andreas Margara vom Heidelberger Hip-Hop-Archiv mit dessen Kollegen Bryan Vit als Moderator Torchs Kunst diskutierten.
Eine Monogafie über ein eigenes Album zu schreiben, mag vermessen klingen - etwas im Stil der Reclam-Erläuterungsbändchen, ist Torchs Idee dahinter gewesen. Derlei Zweifel löst die Lektüre schnell auf. Denn mit großer Ernsthaftigkeit und ungewöhnlicher Offenheit gibt der Rapper Einblick in seine Arbeitsweise - inklusive von Goethe inspirierter Farbenlehre, eigener Rap-Poetik und Codierungen. Wiesenfeldt und Keazor erkennen darin u.a. romantische Denkweisen und Schlegelsche Ironie. Damit ist Torch wohl offiziell Heidelbergs jüngster Romantiker.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg_artikel,-heidelberg-50-jahre-torch-heidelberg-feiert-seinen-rappenden-romantiker-_arid,1861348.html
Links in diesem Artikel:
[1] https://www.mannheimer-morgen.de/orte/heidelberg.html
[2] https://www.mannheimer-morgen.dehttps://www.mannheimer-morgen.de/firmen_firma,-_firmaid,13.html