Edingen-Neckarhausen. Ein Blick auf die Schuhe von Inga Kretschmer lassen es erahnen: Dieser Ortstermin wird eine kleine Schlammschlacht. An der Ausgrabungsstelle im künftigen Gewerbegebiet „In den Milben“ in Edingen-Neckarhausen hat das Fachunternehmen Archaeo BW seit Anfang August einen tiefen Blick in die Geschichte geworfen. Und das war vor allem in den vergangenen Wochen eine feuchte und recht schlammige Angelegenheit. „Frost ist besser als ein paar Grad plus und Regen“, weiß der örtliche Grabungsleiter Petru Ciocani.
Doch er und seine Mitarbeiter lassen sich von schlechtem Wetter nicht entmutigen. Geduldig legen sie Zentimeter für Zentimeter frei, was der Boden hergibt. Und das ist hier einiges, wie Kretschmer, die promovierte Archäologin vom Landesamt für Denkmalpflege im Regierungspräsidium Stuttgart erklärt. In den an das neue Gewerbegebiet angrenzenden Flächen eines Hebewerks und einer Kiesgrube wurden in den 1970er und 1980er Jahren bereits archäologische Funde entdeckt, darunter auch Keramikscherben der späten Eisenzeit.
Ein keltisches Gewerbegebiet
Als in diesem Jahr Bagger rollten, um Straßen für das neue Gewerbegebiet zu planieren, traten in den Straßentrassen mehrere Grubenbefunde zutage, die im Rahmen einer Notbergung dokumentiert wurden (der „MM“ berichtete). Seit Ende August laufen laut Kretschmer die Rettungsgrabungen in den angrenzenden Bebauungsflächen. „Nach derzeitigem Kenntnisstand lag hier einst eine keltische Siedlung, die in die in die Epoche der Frühlatènezeit um ca. 450 v. Chr. datiert werden kann“, stellt sie fest.

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Nach ihren Angaben konnten noch zwölf so genannte Grubenhäuser untersucht werden. Dabei handelt es sich um in den Boden eingetiefte Gebäude in Holz-Erde-Bauweise, die zumeist als Werkstätten oder Webhäuser genutzt wurden. Woran erkennen die Forscher das? Es sind oftmals nur Verfärbungen in der Erde oder kleine Funde, die auf das große Ganze schließen lassen. Dass hier einst gewebt wurde, zeigen die Gewichte der Webstühle, also Steine mit einem Loch, durch die die Fäden gezogen waren. Daneben haben die Archäologen auch Stakenlöcher gefunden, jene Stellen, an denen sich die hölzernen Stützen der Webstühle befunden haben. Spinnwirtel lassen erkennen, dass Garn gesponnen wurde. Nadeln aus Knochen sind ein Hinweis auf Textilverarbeitung.
Schlacke als Spuren einer Schmiede
Doch das ist längst nicht alles. Zuweilen sind die Hinweise noch spärlicher. Kretschmer ist sicher, dass es hier auch eine Schmiede gab, und das, obwohl es keine Spuren eines Ofens gibt. Es ist die Schlacke, die in einer Grube lag und auf die Verhüttung von Eisen hindeutet. Auch zwei Messer wurden gefunden. Ob es sich um eine Waffe oder ein Werkzeug handelt, ist laut Kretschmer unklar. „Es kann auch beides gewesen sein“, ergänzt der Grabungsleiter.
So oder so: Bevor es an die Restaurierung der Klinge geht, kommt das Fundstück erst einmal unter die Röntgenkamera. So lassen sich laut Kretschmer weitere Details erkennen. Weit weniger Rätselraten gibt es um zwei große Steine, die ziemlich sicher zum Mahlen von Getreide genutzt wurden. Was auf den ersten Blick aussieht wie ein Buntsandstein, könnte auch gut ein Quarzporphyr sein. Letzteres hält die Expertin für wahrscheinlicher, weil Sandstein zum Mahlen nicht fest genug ist. Sicher sagen lässt sich das aber erst nach einer genauen Analyse.
Ob Keramikscherben, Webgewichte, Spindeln oder bronzene Fibeln und Gewandnadeln als Bestandteile einer Tracht: Jeder Fund wird in den nächsten Wochen und Monaten genauer unter die Lupe genommen, wissenschaftlich analysiert und am Ende im Fundarchiv in Rastatt eingelagert. Auch eine Ausstellung der Funde sei durchaus denkbar, erklärt Kretschmer auf Nachfrage. „Schade, dass wir die Perlen von Neckarhausen gerade erst gezeigt haben“, bedauert Bürgermeister Florian König mit Blick auf die Ausstellung zum 1250. Ortsjubiläum.
Woe Mäuse als Getreidediebe unterwegs waren
„Ebenfalls gut erhalten waren mehr als hundert tief in den Boden eingelassene Siedlungsgruben, zumeist trichterförmige Vorratsgruben, die mit dem Material der früheren Siedlung verfüllt worden sind“, erläutert die Archäologin weiter. Der Grabungsleiter verrät dazu spannende Details. Die Gruben werden nach unten breiter und hatten oben eine schmale Öffnung. Es sollte möglichst wenig Luft an das Getreide kommen, damit es nicht verdirbt, erklärt Petru Ciocani. In einer weiteren Grube zeigt er eine schwarze Verfärbung, die sich sehr scharf vom übrigen Boden abzeichnet. „Das war der Bau von Tieren“, erklärt er. Also etwa Mäuse, die den Vorratsbehälter angezapft haben.
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Apropos Tiere: Knochen von Schweinen und Rindern zeigen, dass sich die Menschen von damals auch von Fleisch ernährt haben. Und wo haben sie gelebt? Vieles spricht dafür, dass sich hier schon vor fast 2500 Jahren ein kleines Gewerbegebiet befand, während die eigentliche Siedlung in der Nähe war. Denn Pfostenstellungen von größeren Wohngebäuden fehlen weitgehend. „Das umfangreiche Fundmaterial zeugt von den Tätigkeiten der keltischen Besiedlung“, erklärt Kretschmer. So wird man es bald auch in der Fachliteratur lesen.
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