Kurfürst und Kaiser gedient

Das einflussreiche Geschlecht derer von Oberndorff hat fast zwei Jahrhunderte lang seinen Sitz im Schloss der kleinen Gemeinde Neckarhausen. Der Familie entstammt ein Diplomat, der 1918 für Deutschland den Waffenstillstand zum Ende des Ersten Weltkrieges

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Konstantin Groß
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Das Schloss von Neckarhausen, wie es sich dem Betrachter aktuell präsentiert. Dahinter liegt der drei Hektar große Schlosspark. An den einstigen "Grafengarten" zum Neckarufer hin erinnert heute nur noch das verbliebene historische Tor.

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Eines hat sich bei Sandro Graf von Einsiedel tief eingeprägt. "Anfangs durften wir nicht mit den Erwachsenen essen, sondern mit der Kinderschwester im Nebenraum", berichtet der älteste Enkel des letzten Grafen von Oberndorff: "Erst später saßen wir mit am großen Tisch."

Der Graf, 1951 geboren und heute als Architekt in Stuttgart tätig, erlebt in seiner Jugend, wovon Mädchen und Jungen gleichen Alters träumen: in einem Schloss zu wohnen. So geschehen nicht in einer Metropole wie München, Berlin oder Wien, sondern in der kleinen, damals keine 4000 Einwohner zählenden Gemeinde Neckarhausen, die noch heute vom früheren Besitz der Vorfahren Graf Sandros geprägt wird: dem Oberndorff'schen Schloss.

Poststation als Keimzelle

Alles beginnt vor 400 Jahren, als auf diesem Gelände eine Thurn und Taxis'sche Poststation steht. Ein idealer Standort, denn quasi auf halber Strecke zwischen Speyer und Frankfurt geht hier mit der Fähre über den Neckar die Post ab. Doch 1699 wird die Poststation nach Mannheim verlegt, der gestiegenen Bedeutung der neuen Residenzstadt entsprechend.

Der Erbe der Besitzerfamilie, Georg von Susmann, Vizekanzler am kurpfälzischen Hof, lässt das alte Gebäude seiner Vorfahren 1746 abbrechen und ein standesgemäßes Herrenhaus im Stile des Barock errichten. Damals besteht es lediglich aus dem erst zweigeschossigen Mittelbau und einem Eckpavillon.

Beamter von Carl Theodor

Die Blütezeit des Bauwerks beginnt, als es 1777 von Franz Albert Freiherr von Oberndorff erworben wird, Spross eines Geschlechtes, das aus dem gleichnamigen Dorf in der Oberpfalz stammt und bis ins Jahr 1244 belegt ist. Der Graf ist ein hoher Beamter von Carl Theodor, dessen eindrucksvolles, 1,50 mal 2,50 Meter großes Staatsporträt noch heute das Treppenhaus des Schlosses prägt. Und als dieser Kurfürst 1778 seinen Hof von Mannheim nach München verlegt, da setzt er Oberndorff als Statthalter der Kurpfalz ein und ernennt ihn zum Reichsgrafen.

Historische Verdienste erwirbt sich Oberndorff um Mannheim, als er die Stadt 1795 kampflos an die Franzosen übergibt und ihr dadurch die Beschießung erspart. Verdienste erwirbt sich der Graf jedoch auch und vor allem um Neckarhausen und sein Schloss. Nach den Plänen des berühmten Friedrich Ludwig von Sckell, der sich im Englischen Garten von München verewigt hat, lässt er die Außenanlage gestalten. Diese reicht bis ans Neckarufer, womit das Ensemble bewusst eine Miniatur des am Rheinufer gelegenen Mannheimer Schlossparks wird.

Die Nachfahren des Schlossbauherren lassen 1824 das dritte Stockwerk aufsetzen und die Fassade im Stile des Klassizismus umgestalten. Sie erwerben umliegendes Gelände, unter anderem 1839 das Leon'sche Schloss, das zuletzt Graf Leon von Luxburg (sic!) gehört, einem illegitimen Sohn Napoleons.

Nun steht genug Platz zur Verfügung, einen barocken Garten anzulegen. "Die Platane hier stammt aus dieser Zeit", berichtet Horst Göhrig, Chef des Bauamtes der Gemeinde Edingen-Neckarhausen, dem heute die Pflege des Schlossgartens obliegt, und zeigt auf den riesigen Baum gegenüber dem Hofportal.

Doch auch außerhalb Neckarhausens gehört dem Graf viel: 1824 erwirbt er die Strahlenburg hoch über Schriesheim, 1832 die dortige Weinlage Madonnenberg. Das bleibt in seinem Besitz, bis die durch die Wirtschaftskrise in Mitleidenschaft gezogene Familie beides Anfang der 1930er Jahre verkauft.

Bis dahin ist der Stammsitz Symbol der alten Ordnung und wird als solches im Zuge der Badischen Revolution im Juni 1849 bei Gefechten zwischen Freischärlern und Regierungstruppen beschädigt; noch heute zeugen davon die in der Fassade eingefassten Kanonenkugeln. Die Instandsetzung wird genutzt, um die Seitengebäude durch Terrassen ans Haupthaus anzuschließen.

Adeliges Leben

Sein heutiges Aussehen erhält das Bauwerk jedoch erst 1911 durch Friedrich Graf von Oberndorff, der es aus Anlass seiner Goldenen Hochzeit mit Irene, Gräfin von Arco-Zinneberg, umbauen lässt. Dabei wird weiter aufgestockt, zusätzliche Verbindungsbauten werden errichtet.

Im Innern pulsiert adeliges Leben, wie man es sich vorstellt. Im Obergeschoss des Mittelbaus befindet sich zum Park hin das Arbeitszimmer des Grafen, im Dachgeschoss das Gesinde. Die Kinder kurven mit einer Spielzeugkutsche von der Größe eines Autos umher. Für das Volk ist der Schlossgarten tabu.

Weltgeschichtliche Bedeutung erhält ein Mitglied der Besitzerfamilie 1918: Es ist Albert Graf von Oberndorff, Diplomat des Deutschen Reiches, der den Kaiser auch schon mal auf dessen großer Norwegen-Reise begleitet; darüber hinaus ist eine Hofdame Wilhelms II., Gräfin von Erdödy, eine Oberndorff.

Große historische Bedeutung

Ungeachtet seiner monarchistischen Gesinnung ist Albert einer von vier Mitgliedern der deutschen Delegation, die am 11. November 1918 im Wald von Compiègne in Nordfrankreich den Waffenstillstand zum Abschluss des Ersten Weltkriegs unterzeichnen muss - ein Akt der Vernunft, für den die Verantwortlichen danach von Hitler und Konsorten unentwegt als "Novemberverbrecher" gebrandmarkt werden. Anders als Mitunterzeichner Matthias Erzberger wird der Graf zwar nicht von Rechten ermordet, bleibt jedoch völlig zu Unrecht mit dem Makel des "Dolchstoßes" behaftet.

Denn die "Dolchstoßlegende" ist eine von der Obersten Heeresleitung in die Welt gesetzte Verschwörungstheorie, die die Schuld an der von ihr verantworteten militärischen Niederlage des Deutschen Reiches im Ersten Weltkrieg vor allem auf die Sozialdemokratie und andere demokratische Politiker abwälzen soll. Sie besagt, das deutsche Heer sei im Weltkrieg "im Felde unbesiegt" geblieben und habe erst durch oppositionelle "vaterlandslose" Zivilisten aus der Heimat einen "Dolchstoß von hinten" erhalten.

Als erster Botschafter der Weimarer Republik in Warschau setzt sich Graf Albert nach 1918 für eine Verständigung mit Polen und später auch mit Frankreich ein; im Nachhinein irgendwie kein Zufall daher, dass eine Gräfin von Oberndorff auch die Großmutter von Claus Graf Schenk von Stauffenberg ist, des Hitler-Attentäters vom 20. Juli 1944. Alfred selbst überlebt Diktatur und Krieg, stirbt 1963 mit 92 Jahren und ist in Neckarhausen begraben.

Der letzte Schlossherr ist Friedrich Graf von Oberndorff. Zunehmend empfindet er das Bauwerk als Bürde, auch ökonomisch. Als der Plan, den Schlossgarten mit zehn vierstöckigen Wohnhäusern zu bebauen, in der Bevölkerung einen Sturm der Entrüstung entfacht, verkauft er 1960 das Schloss für die damals stolze Summe von über einer Million D-Mark an die noch selbstständige Gemeinde Neckarhausen. Über die Namenspatenschaft für die Schule hinaus 1962 noch mit der Würde des Ehrenbürgers ausgezeichnet, erlischt mit seinem Tode 1970 diese Linie der Oberndorffs.

Seine 1932 geborene Tochter Walburga, "Burgel" genannt, heiratet jedoch in ein anderes namhaftes Geschlecht ein, in das derer von Einsiedel; sie verstirbt 2015. Ihr Sohn, der eingangs erwähnte Sandro Graf von Einsiedel, lebt als Kind mit seinen Geschwistern einige Jahre lang noch im Schloss in Neckarhausen. Auch getraut werden er und seine Frau hier - von Horst Göhrig, heute Bauamts-Chef der Gemeinde.

Zehn Jahre nach dem Erwerb des Schlosses und ein Jahr nach dem Tode des Grafen gestaltet die Gemeinde das Gelände um: Gegenüber vom Schloss entstehen 1971/73 eine Halle und ein Hallenbad. Die Verbindung des Areals zum Neckar ist damit gekappt, der neckarseitige Teil des Parks, "Grafengarten" genannt, verschwindet; lediglich das schmiedeeiserne einstige Eingangstor, ursprünglich aus dem Edinger Schlösschen, das den Oberndorffs ebenfalls gehört hat, erinnert daran.

Verlust des Grafengartens

Doch als wolle die Gemeinde diese Bausünde draußen lindern, tut sie im Inneren des Gebäudes alles, um es zu erhalten: Nach der Fusion mit Edingen 1975 wird das Gebäude fünf Jahre lang umfassend renoviert. Kosten: drei Millionen D-Mark. 2013 erfolgt eine neuerliche Sanierung, für 2,2 Millionen, diesmal in Euro.

Gerne hätte die Gemeinde die am Schloss vorbeiführende Hauptstraße wieder bepflastert, doch das scheitert am Landratsamt. Nach historischem Vorbild barock bepflanzt wird dagegen der angrenzende Verkehrskreisel. An ihm vorbei führt der Weg zur Fähre, mit der Jahrhunderte zuvor alles beginnt.

Informationen und Tipps zum Schloss Neckarhausen

  • Lage: Das Schloss liegt im Herzen des Ortsteils Neckarhausen der Gemeinde Edingen-Neckarhausen gegenüber der Eduard-Schläfer-Halle und dem Freizeitbad.
  • Umfang: Klassizistisches Schlossgebäude mit drei Hektar Parkgelände.
  • Aktuelle Nutzung: Hauptgebäude: Bürgerservice, Standesamt, Grundbucheinsichtsstelle, Gemeindearchiv, Festsaal, Trausaal, Museum;
  • Seitengebäude: Gemeindebücherei, Vortragsräume der Volkshochschule, Schulungsräume der Feuerwehr,
  • Domizil des Schützenvereins.
  • Zugänglichkeit: Der Schlosspark ist rund um die Uhr zugänglich, das historische Treppenhaus mit Gemälden prägender Persönlichkeiten der Schlossgeschichte zu den Öffnungszeiten des Bürgerdienstes kostenfrei zu besichtigen (Barrierefreiheit durch Fahrstuhl gewährleistet).
  • Vermietung: Der frühere Speisesaal dient als Festsaal für außergewöhnliche Veranstaltungen der Gemeinde (besondere Sitzungen des Gemeinderates, Empfänge etc.) sowie von Parteien und Organisationen. Die Vermietung an Privatpersonen erfolgt vor dem Hintergrund, dass es sich um ein Kulturdenkmal handelt, ausgesprochen zurückhaltend und nur dann, wenn ein öffentliches Interesse vorliegt. Ansprechpartner für Vermietungen ist das Hauptamt der Gemeinde Edingen-Neckarhausen.
  • Schlossmuseum: betrieben von der IG Gemeindemuseum, Vorsitzender: Dietrich Herold, Tel.: 06203/85207.
  • Literatur: Standardwerk "Die Grafen von Oberndorff. Adelige Lebenswelten zwischen Oberpfalz und Oberrhein" von Ralf Fetzer (2005), 304 Seiten, 230 Abbildungen, 20 #20ac. -tin

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