Es ist der allererste Stolperstein in Edingen und nahezu der 100 000. für den Kölner Künstler und Urheber Gunter Demnig. Im kommenden Jahr wird er – voraussichtlich im Sommer – diese schier unglaubliche Zahl erreicht haben. Inzwischen hat der 75-Jährige eine Stiftung gegründet, damit sein Werk der Erinnerung auf Dauer fortgesetzt werden kann. Was der Gemeinderat bereits 2019 beschlossen hatte, wurde durch die Corona-Pandemie immer wieder verzögert. Auch der Vollzug im Jahr 2022 war von einer Panne begleitet. Denn die Messingplatte mit dem eingeprägten Namen von Julius Helmstädter liegt noch im Kölner Atelier des Künstlers, der deshalb am Montag nur einen Platzhalter ins Pflaster vor dem Haus Hauptstraße 139 legen konnte.
„Es ist sehr berührend für mich“, sagte Jutta Überrein-Breusch, Urenkelin von Helmstädter, dem „MM“. „Meine Großmutter hat mir viel erzählt von der Zeit damals, von Hausdurchsuchungen und Einschränkungen, von Ängsten und vom Widerstand.“ Sie habe auch die Briefe aus dem KZ in Dachau, die ihr Urgroßvater geschrieben habe, in denen er erzählt und sich beklagt, dass ihm die Familie nichts zu essen schicke. In Wirklichkeit aber seien Pakete geschickt worden und nie bei ihm angekommen. Dass man ihm auf diese Weise ein Denkmal setze, finde sie einfach schön.
Gunter Demnig und seine Stolpersteine
- Grundidee: Die Nationalsozialisten haben millionenfach Menschen ermordet. Die Steine sollen ihre Namen zurückbringen und an jedes einzelne Schicksal erinnern.
- Verfahren: Jeder Stein soll per Hand gefertigt und per Hand verlegt werden: „Die Verlegungen sind keine Routine; jedes Schicksal bewegt uns und soll bewegen.“
- Philosophie: Demnig und sein Team möchten bewusst keine Massenverlegungen, „um der damaligen Massenvernichtung etwas entgegenzusetzen“.
- Steine: Sie sind aus Beton, zehn mal zehn Zentimeter groß und werden niveaugleich ins Gehweg-Pflaster platziert.
„Ich bin stolz auf ihn“
„Ich finde das eine tolle Sache“, erklärte auch Urenkel Gregor Helmstädter. Es sei gut, so etwas nicht zu vergessen, sagte der in Neckarhausen lebende Urenkel. Deshalb sei er gerne hierher gekommen. Er habe ihn zwar nie persönlich kennengelernt, aber der gemeinsame Name verbinde: „Ich bin stolz auf ihn.“
In einer kurzen Ansprache erinnerte Bürgermeister-Stellvertreter Dietrich Herold – wie später auch am Rathaus – an das Schicksal von Julius Helmstädter. Die Stolpersteine tragen das Geburtsdatum, das Jahr der Deportation und das mutmaßliche Schicksal der Menschen und sollen die Passanten zum Innehalten und zum Nachdenken anhalten, aber auch zur Wachsamkeit aufrütteln, wie Herold formulierte, „damit nie wieder passiert, was so viele Menschen das Leben gekostet hat“. Dazu bestehe heute aller Anlass. Es sei wichtig, dass junge Menschen von der NS-Zeit erfahren, damit sie wissen, wofür sie eintreten müssen, nämlich für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte, „überall, jeder an seinem Platz“.
„Das ist für mich nie Routine geworden“, betonte Demnig im Gespräch mit dem „MM“ kurz nach der Verlegung des Betonsteins, der noch im Laufe der Woche durch den eigentlichen Stolperstein ersetzt werden soll. „Das Einsetzen kann ich im Dunkeln“, gesteht er, aber das Schicksal der Menschen bewege ihn immer wieder: „Ich kenne die Hintergründe. Ich weiß, wie die Familien verzweifelt versucht haben, ihre Angehörigen zu retten.“ Ob er vor 30 Jahren dran gedacht habe, dass er einmal so viele Steine verlegen würde? – „Überhaupt nicht“, gibt er unumwunden zu: „Im Grunde war es ein konzeptionelles Kunstwerk. Ich habe gar nicht daran gedacht, das wirklich zu machen.“ Für seine Stiftung habe er im vergangenen Jahr drei neue Mitarbeiter einstellen müssen, um alles zu schaffen.
Von dem Menschenauflauf vor ihrem Haus überrascht war eine heutige Bewohnerin. „Es wäre schön gewesen, wenn man mich vorher darüber informiert hätte“, sagte sie bei ihrer Heimkehr. Das habe in der Zeitung gestanden, entschuldigte sich Bürgermeister-Stellvertreter Herold: „Sie können stolz darauf sein, in welchem Haus Sie wohnen.“ Wenig später wurde am Rathaus noch einmal das Schild enthüllt, das den Weg am Neckar seit rund einem Jahr dem Namen von Julius Helmstädter widmet. Eine Tafel erinnert seit Montag an ihn und weitere NS-Opfer aus Edingen.
Der SPD-Vorsitzende Wolfgang Jakel sagte, das Schicksal von Helmstädter sei eine Mahnung, gegen die Feinde der Demokratie wachsam zu sein. „Er ist in düsterer Zeit umgebracht worden“, erinnerte Jakel: „Diese Zeit kam aber nicht aus dem Nichts.“ Das Unheil habe sich angekündigt, und Helmstädter sei einer derjenigen gewesen, die es früh hätten kommen sehen: „Dennoch war er am Ende machtlos, weil viele die anstrengende Regierungsform Demokratie aufgegeben hatten.“
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