Das Wichtigste in Kürze
- Ein Streit in Edingen-Neckarhausen endete 2024 mit einem tödlichen Messerstich.
- Serhii K. steht in Heidelberg wegen Totschlags vor Gericht.
- Alkoholabhängigkeit und psychische Probleme verschärften die Situation.
Edingen-Neckarhausen. Ein Film läuft im Landgericht Heidelberg. Ein Mann läuft durch die Küche, sein Oberkörper ist frei. Im Kühlschrank sucht er nach Nahrung. Er beugt sich behutsam zu Boden. Dann füttert er einen Hund. Liebevoll streicht er ihm über das Fell. Das Video wird am Mittwoch in Saal 1 gezeigt, die Zuschauer sind verwundert.
Was alles erst richtig skurril macht: Das Tier ist imaginär! Berichtet von der „Fütterung“ des nicht existenten Vierbeiners hatte zunächst Zeuge P., der bei der Polizei ausgesagt hatte: „Wir machen uns alle Sorgen!“ Dies sei die Stimmung in der Wohnanlage „Am Nussbaum“ gewesen. Geflüchtete aus Syrien, Afghanistan und vor allem aus der Ukraine leben in der kommunalen Unterkunft in Edingen-Neckarhausen.
Seit längerem sei Serhii K. dort aufgefallen, berichtet der Zeuge. Am 11. September 2024 kam es dann zum Drama. Im Streit soll der 47-Jährige seinen gleichaltrigen Zimmergenossen Oleg B. mit einem Küchenmesser getötet haben. So lautet die Anklage vor der 6. Großen Strafkammer auf Totschlag. „Oleg und Serhii kamen meistens zu zweit zu mir“, erklärt die zuständige Integrationshelferin im Zeugenstand. Vier Stunden am Donnerstagvormittag ist sie in Edingen eingesetzt. Den Flüchtlingen hilft sie beim Ausfüllen von Formularen und bei der Überwindung sprachlicher Hürden. Ihr Schwerpunkt liegt in der Betreuung ukrainischer Menschen.
„Sie haben es leider mit dem Alkohol übertrieben“
Die beiden hätten sich gut verstanden, sagt die Landratsamt-Mitarbeiterin. Weil K. sehr schlecht sehe, habe sie Blindenhilfe für ihn beantragen wollen. Nach Deutschland gekommen waren die Männer im Februar 2023. In der Mannheimer Straße teilten sie sich die Drei-Zimmer-Wohnung im ersten Stock. „Sie haben es leider mit dem Alkohol übertrieben“, beklagt die Integrationshelferin.
Alkohol, Lärm und Schmutz – die Probleme waren bekannt, was den Fall in ein tragisches Licht rückt. Ein Jahr vor dem tödlichen Streit habe es erste Beschwerden gegeben. „Er dreht bald durch“, hatte das spätere Opfer Alarm geschlagen. Ins Integrationsbüro kam der Ukrainer in Begleitung des „Hundefilm“-Urhebers. „Serhii muss in Entzug, er weiß nicht mehr, was er tut“, habe man zu verstehen gegeben. Der Alkoholkonsum des Mannes sei außer Kontrolle, man mache sich Sorgen um seinen psychischen Zustand.
Auch im Rathaus konnte niemand helfen
Mitbewohner seien zu dieser Zeit im Schlaf gestört worden, Streitigkeiten im Haus hätten in einer Morddrohung durch K. gegipfelt. Wegen der Zustände habe sich ein weiterer Bewohner sogar ans Rathaus gewandt. Doch waren die Möglichkeiten offensichtlich begrenzt. „Er ist nicht aggressiv, wir können ihn nicht gegen seinen Willen in eine Einrichtung bringen“, sei gesagt worden. Darum hätten Polizei und Johanniter nach der Zuspitzung im September 2023 keine Handhabe für ein Einschreiten gesehen, heißt es übereinstimmend. Auch eine Betreuung des K. sei kein Thema gewesen.
In welchem Zustand sich der Angeklagte schon damals befunden haben muss, lässt die Schilderung der Integrationskraft erahnen: „Serhii hat mich nicht mehr erkannt.“ Dann habe er sie am Bein berührt und geäußert: „Wie ein schönes Hündchen, mit weichem Fell!“ So war es schließlich wohl der Alkohol, der in der Nacht vom 11. auf den 12. September 2024 tödliche Folgen hatte. Vorausgegangen war der Messerattacke der Konsum von „mindestens einer Flasche Wodka“, heißt es in der Anklage. Eine nicht näher definierte Menge an Hochprozentigem sei im Verlauf hinzugekommen. „Torkelnd und schwankend“ sei der Angeklagte, der sich geständig zeigt, auch später bei der Blutentnahme gewesen.
Mit einem Küchenmesser in die linke Brust
Eskaliert sei die Auseinandersetzung zwischen den Männern gegen ein Uhr morgens. K. habe sich von seinem Zimmernachbarn schikaniert gefühlt. Das wolle er sich „nicht länger gefallen lassen“. Das einseitig glatt geschliffene Küchenmesser mit 15 Zentimetern Klingenlänge soll er ergriffen haben, während sein Opfer auf dem Bett saß. Der Stich traf die linke Brust. Der Tod trat binnen Minuten ein. Als Todesursache diagnostizierte die Rechtsmedizin der Uniklinik Heidelberg „mechanisches Herzpumpenversagen infolge einer scharfen Gewalteinwirkung“.
Der linke Herzbeutel sei durch den Stich eröffnet worden. „Wundmorphologie und Tatwerkzeug lassen sich miteinander in Einklang bringen“, stellt die Fachärztin bei der Präsentation der Bilder fest. Mit einem Ende des Prozesses unter dem Vorsitz von Richter Jochen Herkle ist am Montag, 7. Juli, zu rechnen. Der Angeklagte befindet sich weiter in Untersuchungshaft. Zuvor war er anderthalb Monate im Justizkrankenhaus in Hohenasperg behandelt worden. Doch auch dies ist Serhii K. am Mittwoch nicht mehr bekannt: „Kann sein. Ich erinnere mich nicht zu hundert Prozent, wo ich war!“
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