Im wahrsten Sinne des Wortes stürmisch empfangen wurden "Livin Desert" und die Besucher im Schulhof der Pestalozzi-Schule in Edingen. Vom Winde verweht und ins Wasser gefallen war der pünktliche Start des MorgenJazz-Konzerts am Samstag. Schlag 11 Uhr ging's los. Doch nicht die Band hatte ihren ersten Einsatz, sondern starker Regen und ebensolcher Wind. Nach einer halben Stunde hieß es dann endlich: Die Wüste lebt - und wie!
Gitarrist Peter Grohmüller meinte: "Wir haben monatelang geübt, jetzt wollen wir's auch endlich loswerden!" So starteten die sechs Musiker vor den zu diesem Zeitpunkt noch recht wenigen Besuchern musikalisch durch.
Und "Livin Desert" (lebend(ig)e Wüste) bewies, dass die sechs Musiker musikalisch das halten, was der Name verspricht. Leben(digkeit)! Sie sind Oasen in der teils unbekannten Wüste dessen, was als Jazz oftmals undefiniert erscheint - in der Form des Free Jazz auch gerne mal abschreckend auf Musikfreunde wirkt. Dieser benötigt, wie Fan Georg Stegmann zugab, schon "ein geschultes Ohr". Jeder Sonnenstrahl, den die aufreißende Wolkendecke durchließ, schien einen weiteren Besucher in den Schulhof zu bringen. Nach dreißig Minuten waren die Bänke gut gefüllt, die gute Laune unter den Anwesenden stieg immer weiter an.
Jazz: Das englische Verb "to jazz something" steht für schneller werden, aufmöbeln oder eben aufpeppen. Im Schulhof hatte die Band wenig Mühe, die trotz der widrigen Umstände eh schon gute Stimmung weiter zu beleben. Da Jazz keine festgelegte Musikrichtung ist, sondern sich aus etwa zehn Hauptrichtungen mit zahlreichen Unterstufen zusammensetzt und dazu von Interpretationen lebt, hatten die Musiker einen riesigen Spielplatz. Mit großer Freude eroberten sie blitzartig die Ohren und Herzen der Besucher.
Gerne lehnten sie ihr Spiel auch einmal an Folk oder Rock an, oder auch an Samba. Nicht zu Unrecht stand im Programmheft: Vertrackte Rhythmen treffen auf Saxofon-Improvisationen, furiose Geigen-Attacken kontrastieren mit fantasievoll verstiegenen Gitarren-Exkursionen, dazu gibt es brodelnde Bass-Fundamente (die leider akustisch untergingen) und turbulente Percussion-Einlagen.
Wer nicht schon ein Freund des Jazz war, dem wurde die Tür durch "Livin Desert" gekonnt und sehr sympathisch aufgestoßen. Die Wüste ist, wenn auch vielleicht erst auf den zweiten Blick, unheimlich faszinierend! Und die Musiker spielten virtuos, harmonisch - oder im Zwiegespräch auch mal ganz gegensätzlich. Jazz lebt nun einmal von verschiedenen Genres und sich daraus gelegentlich ergebenden "schrägen" Klängen.
Immer wieder gaben die Musiker einen kurzen Einblick in das Entstehen ihrer Stücke. Warum zum Beispiel heißt ein Stück "Edingen-Alabama"? Weil Frank Sinatra mit "New York" seiner Heimatstadt, weil Herbert Grönemeier mit "Bochum" der seinen ein musikalisches Denkmal setzten.
Da wollte Grohmüller - auch anlässlich deren 1250-jährigem Bestehen - mit seiner Heimatgemeinde nicht nachstehen. Immer mehr erfuhren die Gäste über die "Selbsthilfegruppe älterer Musiker".
Manchem Instrumental-Akrobaten wurde erst während der Veranstaltung von seinen Mitspielern mitgeteilt, dass das eine oder andere Stück doch mit Jazz zu tun hatte. Diese Offenbarung ertrugen neben Grohmüller Stefan Emde (Violine), Roland Staar (Saxofon), Claus Fischer (Bass), Wüsten-Urgestein P. Icus (Drums) sowie Rainer Pfohl (Percussion) dann aber jeweils mannhaft. Und sie tat der Spielfreude der "Jungs" keinerlei Abbruch. Im Gegenteil schienen sie immer mehr zu inspirieren.
Nach gut drei Stunden endete das Konzert, die Zugaberufe dagegen nicht. Doch aufhören soll man bekanntlich, wenn's am schönsten ist.
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