Handel - Der selbsternannte Brot-Revolutionär gibt seine Bäckerei nach mehr als 100 Jahren Familientradition auf

Bei Bäcker Peter Kapp in Edingen bleibt bald der Ofen kalt

Von 
Hans-Jürgen Emmerich
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Überraschendes Ende nach mehr als 100 Jahren: Die Bäckerei Kapp in der Anna-Bender-Straße in Edingen schließt nach Pfingsten. © Marcus Schwetasch

Edingen. Das ist ein schwerer Schlag für die Nahversorgung in der Gemeinde und für alle Liebhaber von handwerklich gebackenen Broten und Brötchen: Bäcker Kapp aus Edingen schließt überraschend bereits Ende der Woche alle seine Filialen und gibt den Betrieb auf.

Seit Tagen gab es Spekulationen über eine Schließung. Zunächst hieß es aber, es seien nur die Filialen im Amselweg und im Ortsteil Neckarhausen betroffen. Sogar auf der Homepage ist auch am Montag noch zu lesen, dass Kapp sich nur eine Auszeit gönnt und ab 20. Juni wieder für seine Kunden backt. Spätestens seit dieser Woche aber ist klar: Der Ofen bleibt kalt. So steht es Rot auf Schwarz auch auf kleinen Flyern zu lesen, die in den Filialen verteilt werden. Mit Tränen in den Augen bestätigt das auch eine Verkäuferin, als sie von einem Kunden darauf angesprochen wird.

Peter Kapp, Anfang 60, ist mehr als nur ein Bäckermeister. Er ist ein regelrechter Künstler. Er gehört zu den Spitzenbäckern Deutschlands und ist Autor mehrerer Fachbücher. Für ihn gilt das Credo: Backen ohne Kompromisse. Mit seinen einzigartigen Brotkreationen beliefert er nach eigenen Angaben zahlreiche Gourmet-Köche. Seit 40 Jahren hat er sich dem traditionellen handwerklichen Backen verschrieben und nennt sich selbst „Artisan Boulanger“, was soviel heißt wie handwerklicher Bäcker. Dahinter steckt nicht weniger als ein rigoroser Verzicht auf Backzusätze, Backmischungen und tiefgekühlte Teiglinge.

Brot als Kulturgut

In besagten Flugblättern bemüht Kapp den französischen Schriftsteller Stendhal mit den Worten: „Jedes Jahrhundert hat seine Aufgabe.“ In den über 100 Jahren, in denen es die Bäckerei Kapp gab, sei ihre Aufgabe klar gewesen: „Die Menschen nicht nur mit Brot zu versorgen, sondern mit Freude, Genuss und Sicherheit.“ In den vergangenen Jahren sei außerdem die Aufgabe hinzugekommen, „das Handwerk des Brotbackens zu erhalten und zu revolutionieren“, schreibt Kapp. Für ihn ist Brot mehr als nur ein Lebensmittel: „Es ist ein Kulturgut, das bewahrt und von Zeit zu Zeit neu erfunden werden muss – hierin sah ich meine Mission.“

Andere zu inspirieren, auch das sieht Kapp als seine Aufgabe. 2008 hat er nach eigenen Angaben beschlossen, keine Geheimnisse mehr zu haben und alle Rezepte zu verraten. In der Meisterklasse gibt er Online-Kurse im Brotbacken. Gerade erst hatte er Praktikanten aus dem Saarland und aus Belgien in seiner Backstube zu Gast.

Die Deutsche Handwerks-Zeitung titelte im November 2015: Der Brot-Revolutionär. Damals absolvierte er 35 Drehtage in ganz Deutschland, um als Mitjuror von Sternekoch Johann Lafer für das ZDF „Deutschlands besten Bäcker“ zu finden. Im gleichen Jahr steckte er viel Energie in die Modernisierung seines Ladengeschäfts in der Anna-Bender-Straße – sein Beitrag zur 1250-Jahrfeier von Edingen.

Doch Brot backt sich nicht von allein. „Man braucht Hände, Ofen, Mehl, Zutaten und Leidenschaft“, schreibt Kapp und bedauert: „Alles Dinge, die immer schwerer zu finden waren.“ Wie intensiv er danach gesucht hat, zeigt die lange Liste derjenigen, die hier in Lohn und Brot hätten kommen können: Bäckermeister, Konditormeister, Bäcker, Konditor, Bäckerhelfer oder Konditorhelfer, jeweils auch weiblich oder divers. Doch offenbar stieß das Stellenangebot nicht auf die erhoffte Resonanz. Im Januar bekam er obendrein Ärger mit der Lebensmittelüberwachung, die Mäuse in der Backstube beanstandete. Drei Tage später waren die Hygienemängel beseitigt.

Kapps Leitspruch lautete stets: ohne Kompromisse. Und diesen bewahrt er sich auch jetzt: „Denn es bedarf Mut, mit dem Vertrauten zu brechen, auch wenn es droht, einen selbst zu brechen.“ Zugleich lässt er aber erkennen, dass er seine Backkunst nicht völlig an den Nagel hängt: „Mein Weg, mein Schaffen ist nicht zu Ende, auch wenn das Kapitel Bäckerei Kapp geschlossen ist.“ 2015 titelte der „MM“: „Mit Kapp bleibt die Bäckerei im Dorf.“

Kunden fassungslos

Jetzt sieht es ganz so aus, als würde nur der Bäcker im Dorf bleiben. „Ich danke allen meinen Kunden, Brotfreunden und Mitstreitern meiner Brotrevolution für die jahrelange Unterstützung“, tut er zum Abschied kund. Sich fotografieren oder interviewen lassen, will er nicht. Es ist offenkundig auch sein Gesundheitszustand, der ihn zu dem überraschenden Schritt bewegt hat. „Ich bin fassungslos“, schreibt eine Kundin auf Facebook. „Wir werden diese Qualität schmerzlich vermissen“, betont ein anderer.

Redaktion Aus Leidenschaft Lokalredakteur seit 1990, beim Mannheimer Morgen seit 2000.

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