Bundestagswahl

Wie Brantner Berlin und Heidelberg unter einen Hut bringt

Kandidatin der Grünen im Wahlkreis Heidelberg ist zum vierten Mal Franziska Brantner, seit kurzem Bundes-Chefin ihrer Partei. Wie schafft sie das alles?

Von 
Konstantin Groß
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Franziska Brantner, Kandidatin der Grünen im Wahlkreis Heidelberg, Bundesvorsitzende ihrer Partei, Staatssekretärin im Bundeswirtschaftsministerium. © Marcus Schwetasch

Rhein-Neckar. Das Cafe Mildners in der Bergheimer Straße. Ein Sonntag, 10 Uhr morgens. Noch ist der Andrang nicht groß. „Ich bin hier sehr gerne“, begründet Franziska Brantner, warum sie diesen Ort für das Gespräch mit dem „MM“ ausgewählt hat, zumal er nicht weit von ihrer Heidelberger Wohnung entfernt liegt. „Im Sommer kann man hier auch draußen sehr nett sitzen.“ An diesem Tag eher nicht. „Vier Grad“, wirft unser Fotograf Marcus Schwetasch ein. Die Runde muss schmunzeln.

Unprätentiös präsentiert sich die 45-Jährige, die für die Grünen zum vierten Mal im Wahlkreis Heidelberg antritt. Inzwischen auch als Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium bei Robert Habeck und seit Herbst als Ko-Vorsitzende der Grünen. Damit an der Spitze einer der beiden Regierungsparteien der drittgrößten Wirtschaftsnation der Welt. Das ist schon was.

Franziska Brantner (Grüne)

Geburtstag: 24.08.1979

Geburtsort: Lörrach

Wohnort: Heidelberg

Familie: Eine Tochter

Erlernter Beruf: Sozialwissenschaftlerin

Beruflicher Werdegang: Studium in Prais, New York und Mannheim, Promotion, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in Mannheim und Oxford

Politisches Engagement: 2009-13 Mitglied im Europäischen Parlament, seit 2013 Mitglied des Bundestages, seit 2021 Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, seit 2024 Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen

Muss sie sich manchmal noch zwicken, ob das wirklich wahr ist? „Ja, natürlich“, schmunzelt sie, während sie ihren Obstsalat löffelt. „Doch Zeit zum Ankommen hatte ich keine.“ Denn unmittelbar nach ihrem Karrieresprung muss sie für ihre Partei die Kampagne zur vorgezogenen Neuwahl des Bundestages verantworten. Die übliche 100-Tage-Schonfrist gibt es nicht: „Nach diesen 100 Tagen ist die Wahl ja schon vorbei“, lacht sie.

Aus Lörrach über Paris und New York nach Berlin

Es ist ein erstaunlicher Weg, den Brantner hinter sich hat. Geboren in Lörrach, aufgewachsen in Neuenburg an der Grenze zu Frankreich, 12.000 Einwohner klein. Diese Herkunft (nur sehr selten in Idioms wie „bisserl“ oder „gscheit“ erkennbar) wird prägend für ihren Werdegang. In jeder Hinsicht bürgerlich und jedem Radikalen abhold (die „taz“ verspottet sie denn auch als „Super-Reala“) und zugleich weltgewandt mit der Passion Europa: Deutsch-französisches Abi in Freiburg, Studium an der renommierten Science Po in Paris und in New York mit Promotion in Mannheim. 2009 wird sie für die Metropolregion ins Europäische Parlament gewählt.

27. Januar: Mit den anderen Mitgliedern der Bundesregierung gedenkt Franziska Brantner (vorn 2. v. l.) der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz. © dpa

Danach, am 8. Juli 2009, erscheint im „MM“ ein Zeitungsartikel unter der Schlagzeile „Zwischen Politik und Hörsaal“. Vorgestellt werden zwei hoffnungsvolle Jungstars der Politik aus der Region: Nikolas Löbel, 23, damals CDU-Stadtrat in Mannheim, und eben Franziska Brantner. „Das ist ja lustig“, entfährt es ihr beim Blick auf das Foto. Und über Löbel nur: „Da hab` ich ja den rühmlicheren Weg genommen.“

In der Tat: 2013 und 2017 kommt sie über die Landesliste in den Bundestag, 2021, als der CDU-Platzhirsch Karl Lamers nicht mehr antritt, holt sie den Wahlkreis direkt. Mit Gründung der Ampel wird sie Parlamentarische Staatssekretärin von Habeck, der ja auch Vizekanzler ist und daher auf der Regierungsbank neben Olaf Scholz sitzt. Ist Habeck verhindert, dann nimmt Brantner bei Bundestagsdebatten diesen Platz neben dem Kanzler ein.

Im Freundeskreis bleibt das natürlich nicht unbemerkt. „Da kriegt man die Screenshots auf Whatsapp geschickt.“ Und da heißt es dann: „Heute siehst Du schick aus.“ Denn nicht selten hat sie, wie die frühere Queen, bunte Sachen an. „Träger grauer Anzüge gibt es ja genug, da muss ich mich nicht auch grau anziehen.“ Und was redet sie auf der Regierungsbank mit Scholz, mit dem sie übrigens per Du ist: „Gar nichts. Das ist nicht der Ort, wo man groß politisch redet.“ Der Respekt gebiete zudem, den Rednern zuzuhören.

Gegen Markus Lanz und Robin Alexander behauptet

Inzwischen hat Brantner auch die größte mediale Herausforderung bestanden, die man als Politiker in Deutschland bewältigen muss: Gast zu sein bei Markus Lanz. Zumal er an jenem Abend nicht der einzige ist, der sie unter Feuer nimmt: Denn rechts von ihr sitzt Robin Alexander von der konservativen „Welt“. Doch anders als ihre Vorgängerin Ricarda Lang, die auf die Frage von Lanz nach der durchschnittlichen Rente weit daneben, weil viel zu hoch lag, hat Brantner nichts gesagt, das negative Schlagzeilen produziert hätte. So ist sie zufrieden, wie sie sich geschlagen hat, „im Rahmen des Möglichen“, wie sie hinzufügt.

Hat sich in den 15 Jahren, in denen sie politische Ämter bekleidet, etwas verändert: „Ja, viel“ sagt sie spontan: „Der große Unterschied sind die Angriffe aus den Sozialen Medien. Und die teilweise Faktenfreiheit.“ Und so bekommt auch sie die berüchtigten Hassmails, und dies, bereits bevor sie Parteivorsitzende wurde. „Man muss schauen, dass man das nicht zu sehr an sich ranlässt.“ Wie viele andere Politiker lässt sie sich das jedoch nicht mehr gefallen, erstattet, wenn es zu extrem wird, etwa von „mit Blut getränkten Straßen“ schwadroniert wird, Strafanzeige. Auch wenn dabei leider nicht immer etwas heraus kommt.

Trotzdem ist sie nie von X weggegangen und auch auf allen anderen Kanälen präsent. „Es macht wenig Sinn, wenn einer sagt, ich gehe runter und alle anderen bleiben“, argumentiert sie. Die Reaktion müsse politisch erfolgen: „Es ist Aufgabe der Politik, wie man mit diesen Kanälen umgeht. Eine Aufgabe, die die Demokraten gemeinsam zu entscheiden haben.“

Ihr eigener Medienkonsum ist inzwischen nahezu komplett digital. Die regionalen Tageszeitungen liest sie online. „Am Wochenende gönne ich mir manchmal die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung gedruckt.“ Zu bestimmten Anlässen, wie etwa an Weihnachten, schafft sie es aber, sich komplett zu entdigitalisieren: „Das ist auch mal nötig.“

Ihr Lebensmittelpunkt? „Im Zug“

Der Arbeitsplatz in Berlin, der Wahlkreis in Heidelberg - wo ist ihr Lebensmittelpunkt? „Im Zug“, lacht sie. Und dann im Ernst: „Ich habe alles doppelt, in Heidelberg und in Berlin.“ Und zwischen beiden Orten pendelt sie, wann immer es geht, mit der Bahn. Und erlebt, ja erleidet, dabei wie jeder Fahrgast deren Tücken. „Es ist schon so, dass ich einen Puffer einbaue. Früher etwa eine halbe Stunde, jetzt oft anderthalb Stunden.“

Trotzdem lässt sie das an dem ökologisch verträglichen Transportweg Bahn nicht zweifeln: „Das kann einem ja auch bei einem Flieger passieren, dass er Verspätung hat oder ganz ausfällt.“ Außerdem, diese politische Botschaft bringt sie unter: „Inzwischen wird bei der Bahn mehr saniert als kaputt geht“, betont sie: „Die Trendwende ist geschafft.“ Unbestritten ein Erfolg der Verkehrspolitik der Ampel.

Trotzdem gibt es, gerade im gegenwärtigen Wahlkampf von Seiten der CDU, süffisante Kritik, Brantner sei zu wenig im Wahlkreis. „Die Kritik nehme ich nicht an“, kontert sie. Und verweist beispielhaft auf ihre Termine, die noch am selben Tag unserem Gespräch folgen, allen voran die Neujahrsempfänge in Hemsbach und Ladenburg. „Da bin ich immer, nicht nur im Wahlkampf.“ Nicht ohne Stolz erzählt sie dann auch, dass sie beim Neujahrsempfang in Handschuhsheim als „treue Seele“ begrüßt wurde, eben weil sie „immer da“ sei.

Spitzenamt in Berlin fordert seinen Tribut

Aber dennoch: „Es ist natürlich klar, dass ich mit dem Bundesvorsitz auch neue Aufgaben habe, die noch einmal mehr Präsenz über Heidelberg hinaus erfordern.“ Doch ein solches Amt könne dem Wahlkreis auch nutzen. Im Übrigen bestehe diese Problematik ja bei allen führenden Politikern; auch Merz und Scholz seien sicher nicht so oft in ihren Wahlkreisen, wie das von manchen erwartet wird.

Als Bundesvorsitzende einer Partei ist Brantner eine wichtige Persönlichkeit des öffentlichen Lebens in Deutschland. Für sie eine völlig neue Erfahrung, dass das BKA über Termine informiert wird.

Ansonsten bewegt sie sich im Wahlkreis völlig normal. Anders als sich mancher vorstellen mag, ist sie hier nicht im Dienstwagen mit Chauffeur unterwegs. Sie bewegt sich in einem gemieteten Wagen von „Stadtmobil“, natürlich ein E-Auto, ihr Fahrer ist am Tage unseres Gesprächs ein Volunteer namens Valentin.

Ihr Privatleben ist für die Öffentlichkeit tabu. Fragen zu ihrer Tochter beantwortet sie nicht, was ja auch völlig in Ordnung ist. Aber auch nicht zu deren Vater, dem Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer, mit dem die Beziehung seit langem beendet ist. Selbst die Frage, ob sie als Bundesvorsitzende es begrüßen würde, wenn das frühere Enfant terrible der Grünen in die Partei zurückkehren würde, bleibt unbeantwortet: „Dazu äußere ich mich nicht.“

Ausgleich für die Anspannung: der Freundeskreis

Hat sie sich in den zurückliegenden 15 Jahren politischen Engagements verändert? „Ich bin 15 Jahre älter geworden“, lacht sie. Und dann im Ernst: „Man hat mehr Verantwortung, und die bringt einen verantwortungsvolleren Umfang mit den Aufgaben“, sagt sie: „Es wird halt jedes Wort, das man sagt, anders gewogen.“ Das alles sei durchaus „ein hoher Druck“, bekennt sie.

Den Ausgleich bildet ein Freundeskreis, der nicht in der Politik ist, an dem man aber aktiv arbeiten müsse. „Das habe ich mir erhalten, auch in Heidelberg.“ Und da redet man selbst als Homo politicus nicht über Politik: „Sondern über die Stadthalle, das Wetter, die Liebschaften im Freundeskreis.“ Und mit sichtlicher Begeisterung fügt sie an: „Ja, Solche Gespräche gibt`s noch. Wäre auch schlimm, wenn nicht.“

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