Ereignisse wie Brände oder Unfälle können Menschen traumatisieren. Vor allem, wenn Todesopfer zu beklagen sind. Um in einer solchen Situation Angehörigen, Freunden und Einsatzkräften möglichst rasch zu helfen, stehen in der Region besondere Ehrenamtliche bereit: Das Feuerwehr-Seelsorge-Team (FST) des Rhein-Neckar-Kreises wird von katholischer und evangelischer Kirche unterstützt. Alle FST-Mitglieder sind als Seelsorge-Fachberater jeweils ihrer örtlichen Wehr zugeordnet. Ihr Einsatzbereich ist das gesamte Kreisgebiet und die Stadt Heidelberg.
Wie wichtig die Aufgabe der aktuell 35 Ehrenamtlichen ist, zeigen Statistiken: 2016 waren es 180 Einsätze. Für 2022 sind 128 verzeichnet - mit 732 betreuten Personen. Bei plötzlichen Todesfällen, die den größten Anteil bilden, aber unter anderem ebenso bei Gesprächen nach Einsätzen - auch in Schulen, bei Unfällen und nach Suizidversuchen ist psychosoziale Notfallversorgung gefragt. So lautet der Fachbegriff für das, wofür der 71-jährige Tomas Knapp (Weinheim) und der 45-jährige Markus Wolf (Ladenburg) geschult sind. Sie haben sich auf „MM“-Anfrage bereit erklärt, Einblick in ihr Ehrenamt zu gewähren.
Erstversorgung für die Psyche
„Wir sind ein Team aus 35 Kräften, die sich sehr gut kennen und fast blind verstehen“, betont Wolf. Der Schreinermeister ist erst seit gut einem Jahr beim FST. Dagegen ist der in Ladenburg und Heddesheim auch als katholischer Diakon bekannte Knapp Gründungsmitglied. Das hiesige FST ist 2000 ursprünglich zur mentalen Unterstützung von Einsatzkräften entstanden. Und zwar unter dem Eindruck des schlimmen Eisenbahnunfalls von Eschede 1998 in Niedersachsen. Damals hatte man die Notwendigkeit einer psychosozialen Notfallversorgung endgültig erkannt. Längst ist das FST auch für Betroffene sowie hinterbliebene Angehörige und Freunde da.
„Wir sind der Rettungsdienst für die Seele“, bringt es Knapp auf den Punkt. Das FST leistet Erstversorgung für die Psyche. Bis zu zwölf Stunden lang. Dann übernehmen Spezialisten. Oft vermittelt vom FST. Wolf gebraucht ein Bild, um die Aufgaben zu verdeutlichen: „Wir sind für Betroffene wie ein Geländer, das aus der belastenden Situation hinausführt“, erklärt Wolf.
Man muss mit dem Leid, auf das man trifft, umgehen lernen
Wichtig sei bei den Einsätzen auch, den Leuten medizinische und polizeiliche Fachbegriffe sowie Abläufe zu vermitteln. Knapp fügt hinzu, worauf es besonders ankommt: „Man muss mit dem Leid, auf das man trifft, umgehen lernen, und dazu bedarf es einer starken Verankerung - egal, wo die herkommt.“ Die Quelle, aus der er selbst dabei schöpfe, sei sein christlicher Glaube. Das sei jedoch nicht die einzig mögliche Ressource.
„Wir alle wollen Mitmenschen helfen“, sagt Wolf. „Ganz wichtig ist es, die Situation zunächst zu beobachten, um Bedarfe vor Ort zu erkennen“, sagt Knapp. Er nennt es „Aufbauen von Sozialstruktur, wenn keine Angehörigen da sind, sondern nur schreiende, heulende oder tobende Leute“, so Knapp. Er fasst es so zusammen: „Wir müssen schnell erkennen, was zu tun ist, und das ohne in Hektik zu verfallen, sondern für Beruhigung zu sorgen.“ Was sich leicht anhört, ist in Wahrheit vielschichtig. Knapp behilft sich so: „Ich sage immer, wir müssen die nächste halbe Stunde rumbringen und nicht fragen, was in acht Tagen ist, sondern gucken, dass wir jetzt überleben.“
Warum Notfallseelsorge so wichtig ist, weiß Knapp ebenso zu verdeutlichen: „Wenn Angehörige und Freunde nicht da sind oder nicht weiter wissen, sind wir da, und wir bleiben, wenn es sein muss, stundenlang bei den Betroffenen.“ Wolf nennt ein Beispiel für diese beruhigende Zuverlässigkeit: Beim Überbringen einer Todesnachricht zusammen mit der Polizei sei er innerhalb einer Stunde fünfmal gefragt worden, ob er, Wolf, sich wirklich ganz sicher sei. „Da habe ich den Traumatisierten fünfmal erklärt, was passiert ist.“
Vertrauen in die Notfallseelsorge ist groß
Eine wichtige Vorgabe ist es, sich klar und unmissverständlich auszudrücken. Denn das Vertrauen der meisten Menschen in die Notfallseelsorge ist groß. Das spürt Wolf oft. Nur etwa 20 Prozent lehnen das Angebot ab. „Wir fragen immer, ob wir gewünscht sind - auch wenn wir von Feuerwehr, Polizei und Rettungsdienst angefordert wurden“, nennt Knapp einen weiteren Grundsatz. Allein die genannten Organisationen dürfen FST-Einsätze veranlassen.
Aktiv im Feuerwehr-Seelsorge-Team
- Ingenieur Tomas Knapp (Weinheim) ist Gründungsmitglied des Feuerwehr-Seelsorge-Teams (FST) Rhein-Neckar, Heilpraktiker der Psychotherapie und nebenberuflicher Diakon, seit 2002 in der katholischen Kirchengemeinde Ladenburg-Heddesheim.
- Knapp hält mit Monika Wolf am Dienstag, 30. Januar, um 18.30 Uhr in der St.-Gallus-Kirche den Gedenkgottesdienst für die 47-Jährige und ihren Sohn, die beim Gebäudebrand in Ladenburg am 3. Januar umkamen.
- Schreinermeister Markus Wolf (Ladenburg) gehört seit gut einem Jahr zum FST .
- Das FST finanziert sich mit Mitteln des Kreisfeuerwehrverbands (KFV) und der Kirchen sowie über Spenden auf das Vereinskonto des KFV Rhein-Neckar (IBAN: DE76 6729 1700 0002 3530 40) bei der Volksbank Neckartal. pj
Wie es gelingt, einerseits Empathie zu zeigen und anderseits das Leid, das man sieht, nicht zu seinem eigenen zu machen und lebenswichtige Distanz zu wahren, ist für Wolf ganz klar. Eine Kollege habe ihm dazu folgendes Bild vermittelt: Vor jedem Einsatz schlüpfe man in ein imaginäres Kettenhemd, erklärt Wolf. Notwendige Empfindungen gingen hindurch, „aber die großen Spitzen, die Verletzungen verursachen, prallen ab.“
Regelmäßige Supervision soll Seelsorger selbst schützen
Wolf will sich weiterhin sinnvoll einbringen, seine Erfahrung und Können mit der Gesellschaft teilen. Doch ist nicht jeder, der solche Motive in sich verspürt, fürs FST geeignet. Wer mitmachen will, muss zunächst die Grundausbildung der Feuerwehr absolvieren. Ein Gremium entscheidet über die Aufnahme ins FST. Da wird genau hingeschaut, um zu verhindern, dass sich Leute engagieren, die bald selbst psychische Probleme bekommen würden. Danach folgt ein Jahr Ausbildung durch Fachärzte, Psychologen und erfahrene Kräfte sowie eine Art Anerkennungsjahr. Mentorenprogramm und regelmäßige Beratung (Supervision) mit einem Psychologen zeichnen das FST-Programm ebenso aus.
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