Speyer. Wer ist der Junge, der uns vom Buchdeckel so zuversichtlich anlächelt? Sein Teint ist dunkel und gekleidet ist er in eine Zirkus-Livree, reichlich versehen mit Litzen und Borden. Man erfährt es erst nach der Lektüre des Buches „Der schwarze Kaiser“, kürzlich im Verlag Regionalkultur erschienen. Auf 168 Seiten erzählt der Speyerer Autor Michael Lauter die erstaunliche Lebensgeschichte von Josef Kaiser, der als Kind einer deutschen Mutter und eines französischen Offiziers aus Madagaskar im Jahr 1921 in Speyer zur Welt kam.
Als „Besatzerkind“ hatten es er und seine Schwester Susanne von Anfang an nicht leicht. Obgleich in der Familie geliebt, spürte er von klein an die Ausgrenzung seiner Umgebung. „Es ist offener Rassismus, der Teile der Bevölkerung im gesamten Reich erfasst hat“, schreibt Lauter, „ein Rassismus, der politisch gesteuert ist.“ Vor allem die Besatzung durch französische Kolonialtruppen empfand die Speyerer Bevölkerung damals als Demütigung.
Für sie stellte Josef die „Bedrohung der eigenen Rasse“ dar, solche Kinder mussten als Projektionsfläche für rassische, moralische und ideologische Vorurteile herhalten. Und Lauter erzählt, wie der kleine Josef trotz allem ein fröhliches, zuversichtliches Kind ist, das gerne zur Schule geht, früh schon seine sportliche Begabung demonstriert, sich in der Familie, die bitter arm ist, nützlich macht und später vom Zirkus Stey engagiert wird.
Hier war er glücklich, denn hier durfte er anders sein. Die Katastrophe setzt mit dem Jahr 1933, der Machtergreifung Hitlers, ein. Auch der Zirkus bekam die politischen Veränderungen zu spüren, denn „das heterogene und freiheitliche Zirkusmilieu passt nicht in das Weltbild der Nationalsozialisten“. Da die Besatzerkinder 1937 allmählich ins geschlechtsreife Alter kommen, wollen die Nazis durch Zwangssterilisierung die Fortpflanzung der „Rheinland-Bastarde“ – so nennen sie diese – verhindern. Für Josef beginnt eine Tragödie. Er tut alles, um sich dieser demütigenden Behandlung zu entziehen. Doch sein Versuch, als 16-Jähriger von der Südpfalz nach Frankreich zu fliehen, scheitert und er landet auf der Pritsche, wo ein Arzt die Operation gegen seinen Willen vornimmt. „Ich bin jetzt kein richtiger Mann mehr“, sagt Josef zu seiner Mutter, „dann beginnen beide leise zu weinen.“
Der Schock sitzt tief
Nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs ist Josef als „Nichtarier“ von der Wehrpflicht ausgeschlossen. Er macht den Lkw-Führerschein und findet Arbeit als Speditionsfahrer. 1942 lernt er Herta Grimm kennen, die er, als der Nazi-Spuk vorbei ist, heiratet. Die Folgen der unmenschlichen Behandlung durch die Nationalsozialisten sitzen jedoch tief. Josef Kaisers Gesundheitszustand verschlechtert sich, er leidet immer stärker an Depressionen, die die Ärzte auf die traumatischen Erlebnisse seiner Jugendzeit zurückführen. 1991 stirbt er im Alter von 70 Jahren an einem Nierenversagen.
Mit seiner eigenen Biografie habe dieses Thema nichts zu tun, hält der Autor Michael Lauter auf Nachfrage fest. „Die zufälligen Einblicke in die Lebensgeschichte des Josef Kaiser haben mich allerdings so in ihren Bann gezogen, dass ich mich fast zwei Jahre sehr intensiv mit diesem ergreifenden Menschenschicksal beschäftigt habe“, sagte er. „Immer wieder bin ich im Gespräch mit der heute 95-jährigen Witwe Kaisers, Herta Kaiser-Grimm, allen Spuren nachgegangen.“
Lauters Absicht war, durch akribische Recherchen, dem Leben von Josef Kaiser so nah wie möglich zu kommen. Der Inhalt des Buches beruht auf belegbaren Tatsachen, die er erzählerisch bearbeitet hat, gesteht er. „Durch eigene Nachforschungen und die Befragung von Zeitzeugen kamen zudem auch für Frau Kaiser-Grimm neue, erschütternde Vorgänge zutage“, schildert Lauter. „Die von mir im Landesarchiv Speyer entdeckten Gestapo-Akten belegen minutiös das Vorgehen der Sonderkommission II der Geheimen Staatspolizei und die Verwicklung des Gesundheitsamtes Speyer, des Städtischen Krankenhauses Ludwigshafen oder des Hygienischen Instituts der Universität Heidelberg in die Zwangssterilisation.“
Erinnerungen an Gräueltaten
Vor dem Hintergrund eines in Deutschland wieder aufkeimenden Rassismus ist es Michael Lauter, der Kunstpädagogik studiert und im Historischen Museum der Pfalz als Pädagoge gearbeitet hat, insbesondere wichtig, durch die Biografie des sogenannten „Besatzerkindes“ die Erinnerungen an die Gräueltaten der Nazis wachzuhalten. Wenn die Witwe Herta Kaiser-Grimm im Buch blättert, spricht sie von „meinem Buch“, erzählt Lauter, „das empfinde ich als großes Kompliment, zeigt es doch, wie sehr sie sich mit dem Inhalt identifiziert“. Sie befürchtete, wenn sie nicht mehr da ist, dann werde das Schicksal ihres Mannes vergessen. Das ist nun nicht mehr der Fall, Lauter hat es für nachfolgende Generationen festgehalten.
„Der schwarze Kaiser“ ist vor allem auch deshalb so bemerkenswert, weil Michael Lauter durch seine Erzählweise und den zahlreichen Illustrationen den Leser auch emotional anspricht und in die Geschichte hineinversetzt.
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