Tag der Deutschen Einheit

„Mut erfolgreicher als Wut“

Gedenkveranstaltung mit Bernhard Vogel im Historischen Ratssaal

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Uwe Rauschelbach
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Speyer. Der Fall der Mauer und ein Jahr später das Ereignis der deutschen Wiedervereinigung: für Bernhard Vogel der „glücklichste Tag in der deutschen Geschichte“. Vogel war sich mit dem früheren Bundesinnenminister Rudolf Seiters darüber einig, wie schnell diese historische Sekunde hätte verstreichen können, ohne dass die Teilung Deutschlands in Ost und West überwunden worden wäre. Beide Politiker sprachen bei der Gedenkveranstaltung zum Tag der Deutschen Einheit unter dem Titel „Zukunft braucht Erinnerung“ im Historischen Ratssaal der Stadt Speyer.

Der Speyerer CDU-Landtagsabgeordnete Michael Wagner hatte zu Beginn die dramatischen Geschehnisse, ausgehend vom Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989, skizziert. Daraus leitete er die Verpflichtung ab, Werte wie Freiheit, Rechtsstaatlichkeit und Demokratie auch künftig zu verteidigen. Wagner ist Vorsitzender des Vereins Palatina-Klassik Speyer. Das Palatina-Klassik-Ensemble sorgte unter der Leitung Leo Kraemers für die musikalische Gestaltung dieser Gedenkveranstaltung.

Die Don Quichotte-Suite von Georg Philipp Telemann möge den politischen Dialog zwischen beiden ehemaligen Staatsmännern inspirieren, hoffte Kraemer in einer kurzen Ansprache. Die in Telemanns Musik dargestellten Szenen aus dem Epos von Cervantes mochten unter den Zuhörern durchaus Dankbarkeit auslösen, dass die Bemühungen um die deutsche Wiedervereinigung seinerzeit nicht zum Sturm auf Windmühlen ausgeartet sind.

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Wie prekär und zerbrechlich jene Vorgänge waren, die zum historischen Moment der Überwindung von Mauer und Staatsgrenzen geführt haben, machten Seiters wie Vogel allerdings ebenso deutlich. Dabei würdigte der Ministerpräsident außer Dienst die Leistungen des ehemaligen Innenministers, der unter anderem maßgeblich an den erfolgreichen Verhandlungen über die Ausreise der Flüchtlinge in der Prager Botschaft beteiligt war. Der Rückblick auf diese Ereignisse könne Mut machen, den aktuellen politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen gerecht zu werden. Die Deutschen hätten auch den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg gestemmt. Sie sollten in der Lage sein, Lösungen für gegenwärtige Krisen zu finden, meinte der frühere rheinland-pfälzische Ministerpräsident, der nach der Wiedervereinigung die Regierungsgeschäfte in Thüringen leitete. „Mut“, so Vogels Appell, „ist erfolgreicher als Wut“.

Vetorecht als „Grundfehler“

Dass die deutsche Einheit „alles in allem gelungen“ sei, ist Vogel zufolge vor allem drei Staatsführern zu verdanken: Helmut Kohl, George Bush senior und Michail Gorbatschow. Sie gebe durchaus Anlass, „ein wenig stolz zu sein“. Allerdings fühlten sich viele Menschen in den neuen Bundesländern „als Bürger zweiter Klasse“. Umso wichtiger sei es, den Dialog zwischen Ost und West immer wieder neu anzufachen.

Rudolf Seiters, der nach einem polizeilichen Einsatz gegen einen RAF-Terroristen, bei dem ein GSG-9-Beamter ums Leben kam, von seinem Amt als Bundesinnenminister zurückgetreten war, verlieh seiner Einschätzung der aktuellen politischen Lage unterdessen eher pessimistische Züge. So zeigte er sich besorgt vom Erstarken des Extremismus, den die Zuwanderung nach 2015 vor allem im Osten des Landes ausgelöst habe. Darüber hinaus äußerte er sich betroffen, wie stark die Bindungskräfte wichtiger Institutionen abgenommen hätten. Parteien, Kirchen wie Gewerkschaften litten unter enormer Auszehrung.

Für dringend erforderlich hält es der frühere Bundespolitiker, dass Ampelregierung und Opposition in wichtigen Fragen zusammenfinden. Doch auch sein Blick auf Europa war nicht von Optimismus geprägt. Als einen „Grundfehler der europäischen Einigung“ bezeichnete Seiters das Vetorecht, wonach die Vertretung eines unter insgesamt 27 Staaten Entscheidungen blockieren könne.

Auch über den Rechtsruck nach den italienischen Parlamentswahlen verlor er kritische Worte. Angesichts der unterschiedlichen nationalen Entwicklungen wäre ein „Europa der zwei Geschwindigkeiten“ auf der Grundlage der flexiblen Integration besser gewesen, so Seiters.

Das Barockensemble von Palatina-Klassik dokumentierte mit einem Divertimento von Mozart sowie Joseph Haydns Kaiserquartett – aus ihm ging das „Lied der Deutschen“ von August Heinrich Hoffmann von Fallersleben hervor, das später zu Nationalhymne wurde, dass politische Gestaltungsmacht einen kulturellen Nährboden benötigt.

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