Speyer. Wenn sich im Sommer die Spielzeit ihrem Ende nähert, zieht es die Deutsche Staatsphilharmonie Rheinland-Pfalz nach Speyer. In der Domstadt mit ihrem südlich-urbanen Flair lockt das „Dolce Vita“ – das süße Leben. Und für die kulturinteressierten Speyerer ist das Musikfest der Ludwigshafener Orchestermusiker einer der Höhepunkte im Jahr. Schon mit ihrem Eröffnungskonzert zum diesjährigen Musikfest in der Gedächtniskirche enttäuschte die Staatsphilharmonie die hohen Erwartungen nicht.
Robert Schumanns vierte und Ludwig van Beethovens dritte Symphonie sind wahrlich keine Raritäten im Konzertprogramm. Ihre Aufeinanderfolge sorgt jedoch für eine enorme Reibungshitze, die sprühende Funken produziert. Im revolutionären Habitus liegt ihr gemeinsames Potenzial; in der unterschiedlichen Handschrift bezieht sie ihren Reiz. Bezüge gibt es reichlich, etwa mit der Auflösung des traditionellen Sonatensatzes zugunsten einer eher durchgängig angestrebten Form. Oder mit dem Einsatz kontrapunktischer Stilistiken, wie sie sich jeweils in den finalen Fugati zeigen.
Selbst Johannes Brahms schaut gelegentlich um die Ecke; Schumanns lyrisches a-Moll-Thema aus der Romanze seiner Vierten echot in Brahms’ drittem Satz seiner dritten Symphonie in c-Moll. Mag der Konzertbeginn mit Schumanns klagend-verzagten Harmonien zunächst eher Trauerstimmung verbreiten – auch Beethoven hält mit seinem Trauermarsch durchaus schwermütige Gefühlsimpulse bereit –, so gehen die Philharmoniker unter der Leitung ihres Chefdirigenten Michael Francis derart beherzt und unbekümmert zur Sache, dass von der neurasthenischen d-Moll-Grundtonart nicht viel mehr übrig bleibt als ein flüchtiger Eindruck.
„Stürmisch“ ist noch untertrieben
Tatsächlich legt das Orchester ein rasantes Tempo vor, für das die Bezeichnung „stürmisch“ eher noch untertrieben wirkte. Vom nervösen Pulsschlag, den die wie entfesselt aufspielenden Streicher vorgeben, lassen sich Trompeten, Hörner und Posaunen anstacheln, und selbst die elegischen Passagen wirken im Spiel der Ludwigshafener wie Tankstationen vor neuen Höhenflügen. Das Finale findet dank der schicksalhaften Entschlossenheit der Musiker den Weg ins Freie – vom Bestreben getrieben, Schumanns Poesie mit Beethovens titanischen Ambitionen zu vermählen. Am Ende dieser Spielzeit vermittelt das Orchester eine fulminante Aufbruchstimmung, die zartere Gemüter allerdings auch ein wenig zu übertölpeln droht.
Da muss schon eine „Eroica“ kommen, um keinen Stimmungsabfall zu riskieren. Das kraftvolle und zupackende Spiel der Staatsphilharmonie würdigt Beethovens Dritte in ihrer kompromisslosen Unbedingtheit und ihrem ausgreifenden Eroberungsdrang. Die Tiefe des Trauermarschs wird gleichwohl mit tragischem Ernst durchmessen. Zwischen Schmerz und Zuversicht, Betrübnis und Übermut liegt eine große Gefühlspalette, der diese Musik Ausdruck zu verleihen scheint, mögen wir das alles auch bloß in sie hineinlegen. Romantischerseits ist mit dem schmelzwarmen Klang des Hörnertrios alles wieder in Ordnung; und spätestens mit dem Schlusssatz, den das Orchester mit Leidenschaft und Esprit musiziert, fühlen wir uns zu heroischen Taten bereit.
Bis Sonntag gibt sich die Ludwigshafener Staatsphilharmonie dem süßen Leben in Speyer hin. Schumann und Beethoven bleiben auch im Abschlusskonzert die Fixsterne dieses Musikfestes: Schumanns Klavierkonzert mit Pianist Joseph Moog und Beethovens Oratorium „Christus am Ölberge“ mit Gesangssolisten und dem Domchor Speyer versprechen eindrückliche Hörerlebnisse vor der Sommerpause, an deren Horizont bereits wieder pandemische Gewitterwolken aufziehen.
URL dieses Artikels:
https://www.mannheimer-morgen.de/metropolregion_artikel,-speyer-la-dolce-vita-weckt-heroische-gefuehle-beim-musikfest-speyer-_arid,1968427.html