Speyer. Sie sind gerne nach Speyer gekommen, die drei Kantorinnen Sveta Kundish, Aviv Weinberg und Shulamit Lubowska, begleitet am Akkordeon und am E-Piano von Patrick Farrell. Aber sie treten auch schweren Herzens ans Mikrofon in der Dreifaltigkeitskirche, nachdem am zurückliegenden Wochenende im Nahen Osten erneut Gewalt und Terror den Ton angeben und alle im Ensemble an Angehörige und Freunde in Israel denken, um die sie sich jetzt Sorgen machen. Wie kann man in diesen Zeiten fröhliche Lieder singen?
Sie tun es dennoch, singen aber auch traurige und feierliche Stücke und überzeugen mit jüdischer Musik aller Stilrichtungen und Zeiten: mit aramäischen und chassidischen Liedern, traditionellem Chasanut, moderner Synagogenmusik und mit hebräischen Melodien. Natürlich haben sie auch jiddische Lieder im Gepäck, jene Lieder aus dem Schtetl, kleinen Orten in Osteuropa, die überwiegend von Jüdinnen und Juden bewohnt waren, aber von den Nationalsozialisten und von Stalin völlig ausgelöscht wurden. Es war die goldene Zeit der Kantoren in Osteuropa. Hinzu kommen opulente Kompositionen von Liebe und Leid und unendlich viel Sehnsucht nach dem Leben. Das Konzert feiert die kantoralen Stimmen und damit auch die Fortführung der liturgischen Tradition.
Jüdische Musik in Speyer: Schneller Kontakt zum Publikum
Sveta Kundish kennt diese Tradition sehr genau, ihre Familie kommt aus der Ukraine. Der Urgroßvater war streng orthodox und amtierte als Kantor an der Synagoge in Owrutsch in der Ukraine. Kundish war bereits im letzten Sommer, bei einem Klezmer-Konzert, im Judenhof in Speyer zu sehen und zu hören. Sie ist Kantorin der liberalen jüdischen Gemeinde von Braunschweig und hat ein gutes Gefühl für das Publikum. Sie braucht zu Beginn des Konzertes nur wenige Minuten am Mikrofon, um die Gäste in der Dreifaltigkeitskirche für sich einzunehmen, auch wenn das Mikro nicht richtig funktioniert und schnell zu Seite geschoben wird.
Aviv Weinberg wurde in Israel geboren und lebt in Berlin. Sie ist Kantorin der Jüdischen Gemeinde Celle. Die dritte im Bunde ist Kantorenstudentin Shulamit Lubowska. Sie singen gemeinsam, im Duett und manchmal auch in der Solostimme. Was sie singen, lässt aufhorchen, denn sie beherrschen den ganzen Reichtum der jüdisch liturgischen Musiktradition.
Und sie verstehen es, vor jedem Lied den historischen Zusammenhang der Kompositionen zu erläutern. So war viel zu erfahren über die goldene Zeit der Kantoren, über jüdische Gebete und Feiertage, über verschiedene Sprachen, in denen diese Lieder gesungen werden, und das jüdische Fasten, bei dem 24 Stunden weder essen noch trinken erlaubt sei. An diesem Tag wird nur gebetet, sagt Aviv Weinberg, die einzige Freude für die Gläubigen sind die feierlichen Lieder des Kantors in der Synagoge. Das sei auch ein Grund dafür, dass es für die jüdischen Feiertage so schöne Kompositionen gebe.
Herausragend in diesem Konzert ist auch das Zusammenspiel der drei Singstimmen mit dem Akkordeon von Patrick Farrell. Seine einfühlsamen Arrangements sind großartig auf die Sängerinnen abgestimmt. Die Möglichkeit, mit dem Akkordeon verschiedene Tonalitäten auf ruhige, sanfte Art an- und ausklingen zu lassen, unterstützt das gesangliche Potenzial der drei Kantorinnen in hohem Maße. Patrick Farrell, der auch als Komponist und Arrangeur sehr rührig ist, ist in den USA geboren und lebt heute in Berlin.
In der Kirche wird es still, als die drei Kantorinnen gegen Ende des Konzertes ein Gebet für den Staat Israel anstimmen. Sie haben es spontan eingeübt und ins Programm aufgenommen mit Blick auf die aktuellen Ereignisse im Nahen Osten.
„Was dort passiert, bricht unsere Herzen und das Herz Israels“, sagt Weinberg sichtlich gerührt zum Ende des Konzertes. So empfinden es auch die Besucher.
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