Konzert

Himmelfahrt zum Finale

Charles Harrison spielt beim Internationalen Orgelzyklus im Dom zu Speyer

Von 
Uwe Rauschelbach
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Charles Harrison ist an der Kathedrale von Chichester Director of Music und erzählt in Speyer vor der Chororgel im „Präludium“ genannten 30-minütigen offenem Gespräch über sich und sein Wirken. © Venus

Speyer. Mit acht Jahren hat er beschlossen, Organist zu werden. Seit 2014 ist Charles Harrison Musikdirektor an der Kathedrale im südenglischen Küstenort Chichester. Aus Speyers neuer Partnerstadt ist Harrison in die Domstadt gereist, um dort beim Internationalen Orgelzyklus seine Visitenkarte abzugeben. Der Kirchenmusiker tat dies zunächst mit britischem Understatement, das den enormen Raum des Speyerer Doms behutsam auslotete.

Tatsächlich muss sich Charles Harrison umstellen. In Chichester hat er es als Organist und Chorleiter mit einer vergleichsweise kleinen Kirche zu tun. Mit der Fantasia in a-Moll des britischen Renaissancekomponisten William Byrd findet Harrison an der kleineren Chororgel gewissermaßen einen Verbündeten. Bei diesem ältesten Stück des Abends mit seinen zahlreichen ornamentalen Ausschmückungen und tänzerischen Figuren ist der Organist gewissermaßen zu Hause. Er nutzt die zahlreichen Klangfarben der Chororgel, um Byrds Fantasia mit feinen Ziselierungen zu kolorieren.

Johann Sebastian Bachs Präludium und Fuge in h-Moll (BWV 544) hat ihn als Junge an die Orgel gezogen, wie Charles Harrison im Vorgespräch bekennt. An der großen Hauptorgel im Dom vollzieht er die gravitätische Klangsprache mit der Bassposaune und mit ruhigem, besonnenem Spiel nach. Auch strukturiert er die einzelnen Teile dank differenzierter Registrierungen und vermeidet in der halligen Akustik des Speyerer Doms ein überladenes Klangbild.

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Von
Marcus Oehler
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Das tut der polyphonen Faktur dieses Werkes gut, wie Harrison auch für die Fuge zunächst zurückhaltendere Registrierungen wählt und das Stück nicht einfach im Plenum durchspielt. Erst gegen Ende nutzt er die reichen Klangeigenschaften der Orgel, um die tragische Grundtonart in einen strahlenden H-Dur-Akkord münden zu lassen.

Die drei kurzen Werke aus Max Regers Zwölf Stücken (opus 59) sind einerseits für den liturgischen Gebrauch bestimmt, taugen andererseits natürlich selbst als relativ kurze Stücke für den Konzertbetrieb. Charles Harrison findet hier eine ausgewogene Interpretation; die Melodie der „Pastorale“ verlegt er in die lyrische Oboe, während die gedämpfte Begleitung eine andächtige Grundhaltung verrät. Das „Benedictus“ erklingt im ersten Teil in fast unwirklich irisierenden Farben, strahlt im zweiten Teil unter der straffen Diktion des Organisten aber hymnisch auf, um dem Ohr des Hörers allmählich wieder zu entschweben. Regers „Te Deum“ formuliert der Interpret als sakrales Glaubensbekenntnis.

Heftiger Kontrast

Louis Viernes „Naïades“ bilden in ihrer impressionistisch-flirrenden Gangart selbst zum modernen Reger einen heftigen Kontrast. Das Treiben der Wassernixen veranschaulicht Charles Harrison mit einer sinnlich anmutenden Spielweise. Die feierlichen Glockenschläge in Viernes improvisationsartigen „Les Cloches de Hinckley“ lässt der Organist in machtvoll anschwellenden Akkorden ertönen. Britisches Understatement wäre hier in der Tat fehl am Platz.

John Irelands Romanze bietet unterdessen feine Schattierungen und funkelnde Töne – Leuchtpunkte, die fahle Schleier durchdringen. Diesmal ist es die Klarinette, die der Organist für die Melodie bestimmt. In weit schwingenden dynamischen und klanglichen Steigerungen führt er das Stück einem Ende zu – und lässt doch zugleich Fragen offen. Ein unruhiges, suchendes Werk; der Komponist soll sich dabei an Johannes Brahms orientiert haben. Die Geistesverwandtschaft ist jedenfalls spürbar.

Mit Bachscher Gravität setzt Charles Harrison die Fantasia und Toccata von Charles Villiers Stanford in Szene. Der Klang beschwört eine monumentale Architektur, in der allerdings auch Platz für filigrane Details ist. Auch in der Toccata greift der Komponist auf barocke und klassische Muster zurück und verwebt sie zu komplexen Akkordgebilden, die Harrison an der Orgel in mächtigen Kathedralklängen übereinander türmt. Mit einer finalen Kadenz lässt er das Werk enden – wie um ein letztes Wort zu sprechen.

Doch erst mit dem zugegeben dritten Satz aus Olivier Messiaens „L’Ascension“ (Himmelfahrt) schließt Harrison sein Konzert ab und unterstreicht seinen Auftritt im Speyerer Dom am Ende dann doch mit einem Spiel, das irgendwie entgrenzend wirkt. Ob das noch „very british“ ist, interessiert uns zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr.

Freier Autor

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