Speyer. Gäbe es solch intime Musikbegegnungsstätten nicht – die wahren Bewährungsproben für die Künstlerseele blieben dem Publikum wohl auf ewig verborgen. Doch beim Dialog in „Ulis Wohnzimmer“ offenbaren die Liederschmiede ihr Innerstes und so erfahren die geneigten Zuhörer Wahrheiten wie diese: „Es ist keine Katastrophe, Texte abzulesen, die man nicht auswendig kann. Es ist nur eine Katastrophe, wenn man den ganzen Abend auf der Bühne sitzen muss und hat die falschen Strümpfe an. Strümpfe, die aufhören, direkt nach der Hacke. Ab einem bestimmten Alter sollte ein Mann auf der Bühne kein Bein zeigen.“
Sebastian Krämer, von dem dieses Bekenntnis stammt, ist 47. Seit wann er sich das Beinzeigen versagt, ist nicht überliefert, doch angesichts seiner Eloquenz und seines versatilen Klavierspiels dürfte das Risiko, dass ihm wer auf die Socken schaut, überschaubar bleiben. Im „Philipp eins“ begrüßt ihn Gastgeber und Songwriter Ulrich Zehfuß zum zweiten Mal – auf den Tag genau sechs Jahre nach seinem ersten Gastspiel im Mai 2017, und auch in die „Wohnzimmer“-Dependance in der Schwetzinger Wollfabrik hat er den Berliner Multipreisträger schon eingeladen – aus gutem Grund.
Krämer ist laut Selbstbeschreibung „Ein Freund großer Worte“ (Albumtitel 2004), die er meisterlich, oft mit Überraschungsmoment, (Selbst-)Ironie und viel schwarzem Humor wählt. Aus seinem großen Katalog hat er Älteres wie das tödlich endende Autogrammjägerstück „Siebzehn Kugelschreiber“, aber auch „Freund mit Liebeskummer“ vom aktuellen Werk „Liebeslieder an deine Tante“ dabei.
Mit grandioser Chuzpe erläutert der Sprachartist zunächst, warum man ein Lied wie „Raucher stinken“ heutzutage nicht mehr singen könne – um es dann doch genüsslich vollumfänglich aufzuführen. Ein poetischer, zauberhafter Gegenpol ist das heftig bejubelte „Taumilidau“, ein Lewis-Carroll-haftes Kinderabenteuer „zwischen Bett und Zeug“, bei dem Charlotte Pelgen wie auch auf dem Album glasklar mitsingt.
Herz über Kopf
Neben einer solchen Wortmacht behauptet man sich am besten mit Emotionen. Die in Köln lebende Barbara Greshake und Gitta de Ridder aus Amsterdam verkörpern ein ganz anderes Songwritergenre, das dem Herz mehr Raum gibt als dem Kopf, und sie spielen Gitarre statt Klavier. „Mit nem Bleistift zieht man keinen Schlussstrich“, singt Greshake aus ihrem im November erschienenen Debütalbum „Gemischte Gefühle“.
Eine Liebeserklärung an die Magie der Kindheit ist „Hans“, inspiriert von Erlebnissen mit ihrem Neffen. Den großzügigen Umgang mit Vorsätzen hat Greshake in „Kopfkino“ verarbeitet: „Mein Kopfkino hätte schon so oft einen Oscar verdient.“ „Mein Geheimnis“ und „Schon wieder Sonntag“ sind melancholische Stücke über die Ungewissheit der Liebe.
Songs in Mundart waren schon mehrfach in „Ulis Wohnzimmer“ zu hören, ein komplett englischsprachiges Repertoire stellt ein Novum dar. Gitta de Ridder hat als eine der wenigen Gäste von Uli Zehfuß auch nicht die Friedberger Akademie für Poesie und Musik Sago besucht. Die Niederländerin bringt also neue Töne auf die Bühne des „Philipp eins“ – und neue Mode: Sie absolviert ihren Auftritt in Holzschuhen.
Die Themen ihrer Lieder sind universal: „We all need a little smile sometimes“, stellt sie in „Come find me“ fest, bei dem das Publikum „Hello“ mitsingen darf. „High Hopes“ sei ein Song übers zuversichtlich Bleiben. „Let Love grow“ begleitet sie mit Gitarre und Metronom, das a cappella vorgetragene Wiegenlied „Baby Darling Blue“ leitet sie mit einer Spieluhr ein. Ihre sieben Monate alte Tochter macht im Publikum trotzdem einen munteren Eindruck.
Der Gastgeber hat erst wenige Tage zuvor das opulente Releasekonzert seines dritten Soloalbums „Liebe“ gegeben. Wer es verpasst hat, kann Stücke wie die Vorabsingle „Soldat“ oder „Du brauchst mich nicht mehr“ nun in der Soloversion hören. Als Quartalsklassiker haben sich die Akteure aufs fröhliche „Ob-la-di, Ob-la-da“ geeinigt – auch wenn es Sebastian Krämer für „das blödeste Lied der Beatles“ hält.
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