Speyer / Frankenthal. Ein Kompliment gab’s gleich zu Beginn vom Vorstandsvorsitzenden Rudolf Müller: „Wir sind hier in Frankenthal, weil wir im kommenden Jahr hier eine neue Filialdirektion errichten wollen und das Congress-Zentrum doch eine Spur eleganter ist als die Speyerer Stadthalle“, sagt er zur Freude des Bürgermeisters und OB-Kandidaten Bernd Knöppel und zum Verdruss der Speyerer Kollegin Monika Kabs. Mehr als 400 Gäste waren zum Wirtschaftsforum gekommen.
Im Gespräch mit Moderatorin Bernadette Schoog lieferte Müller die Vorlage fürs abendfüllende Thema. „Die Europäische Zentralbank hinkt den Entwicklungen hinterher, habe Fehler gemacht und hätte uns nie in die Minuszinsen treiben dürfen“, so Müller. Er sehe einen Zinssatz zwischen 2,5 und 3 Prozent und in der nächsten Dekade eine Inflation zwischen 3 und 5 Prozent, die von der Deglobalisierung, der Dekarbonisierung und vom demografischen Wandel befeuert werde. All das bringe die Lohn-Preis-Spirale in Gang. Müller berichtete auch von einem „anspruchsvollen Geschäftsjahr seiner Bank mit einem Wachstum bei den Einlagen und den Krediten. Die Nachfrage bei Baukrediten sei allerdings um die Hälfte eingebrochen, das belaste die Ertragslage.
„Die Zeitenwende ist eine Zäsur, die Friedensdividende ist aufgebraucht, aber Umbrüche bergen auch Chancen. Es gilt die Freiheit zu bewahren, Bürokratie abzubauen und gute Rahmenbedingungen für Unternehmen zu schaffen, dann können wir mutig nach vorne schauen und die Dinge anpacken“, forderte Müller von den zahlreichen Unternehmern, Freiberuflern und Geschäftsführern im Publikum.
Mit einem Scherz begann Ingo Zamperoni dann sein Impulsreferat. Offensichtlich profitiere man vom WM-Boykott, deshalb seien so viele Gäste in den Saal gekommen. Dass die schöne Welt oder die Blase, wie er sie nannte, schon vor Corona und Ukraine-Krieg Risse bekommen habe, schilderte Zamperoni zu Beginn. Mit den Anschlägen 2001 in den USA seien weitreichende Auswirkungen verbunden gewesen. Die Bundeswehr sei 20 Jahre lang am Hindukusch gewesen, der britische Brexit habe einen Keil in unseren gelebten Liberalismus getrieben. Meinungsfreiheit und eine offene Gesellschaft sei keine Selbstverständlichkeit mehr, man müsse bereit sein, für sie zu kämpfen. Und jetzt noch der russische Überfall auf die Ukraine: „Das wird für alle so einschränkend sein, dass wir viele Folgen erst mit Verzögerung erkennen und spüren werden“, prognostiziert der Journalist und Tagesthemen-Moderator.
Für ihn sei das Glas dennoch immer halb voll statt halb leer. Und er halte den Dialog weiterhin für wichtig. Heute sehe man, dass die „eklatante Abhängigkeit von einer nicht einheimischen Energieart (russisches Gas) und die gleichzeitige Abkehr von zwei einheimischen Energiearten (Kernkraft und Kohle) zu großen Problemen geführt“ habe. Beim Dialog dürfe man nicht mehr naiv sein und müsse die römische Weisheit „Wenn du den Frieden willst, bereite dich auf den Krieg vor“ beherzigen.
Selbstkritisch spricht Zamperoni über die Rolle des Journalismus: „Wir sollten den Menschen helfen, Entwicklungen zu begreifen und zu verstehen, ihnen Orientierung in der Flut der Nachrichten bieten. Es sei nicht nur wichtig, was passiert sei, sondern auch, warum es geschieht und welche Folgen das haben kann. Guter Journalismus sei deshalb unabdingbar. Es gebe bei der Nachrichtenauswahl natürlich mal persönliche Präferenzen und man mache auch Fehler und werde nicht immer dem Anspruch auf Ausgewogenheit gerecht, aber Journalismus dürfe nie schwarz oder weiß sein, sondern müsse das viele Grau dazwischen erhellen und erklären, so Zamperoni.
Wirtschaftsforum der VR Bank Kur- und Rheinpfalz: Die Gegenposition einnehmen
Im Gespräch mit Bernadette Schoog wurde dies vertieft. In der Tat müsse man als Fernsehmacher aufpassen, nicht Worthülsen aufzusitzen, aber das Fernsehen müsse auch reduzieren, Bilder und Texte zusammenfügen. Damit er dabei nicht abstumpfe, nutze er die moderationsfreien Wochen zur Erholung mit der Familie und mit Sport. Journalisten folgten Entwicklungen, die sie nicht selbst machen, es gebe keinerlei Vorgaben und wenn er in einem Interview eine Gegenposition einnehme, dann sehe er sich als Stellvertreter der anderen Meinung und damit sorge er dafür, dass das Gespräch interessant bleibe. Als Beispiel nannte er ein Gespräch mit Gesundheitsminister Karl Lauterbach zur Legalisierung von Cannabis. Er habe da die Meinung der Gegner vertreten, obwohl er selbst eigentlich Befürworter der Legalisierung sei.
Dann war natürlich noch der Amerikablick von Ingo Zamperoni gefragt. Schließlich hat er dort studiert, als Korrespondent von CNN und für die ARD in Washington gearbeitet, hat viele Dokumentationen übers Land gemacht und zwei Bücher geschrieben. Nicht zuletzt ist er mit einer Amerikanerin verheiratet und hat in Zeiten der Trump-Präsidentschaft eine sehenswerte Doku über die Widersprüche in seiner Schwiegerfamilie gedreht. „Meine Frau ist Demokratin, mein Schwiegervater Republikaner, aber nicht Trumpist“, erzählt er. Immerhin spreche man noch miteinander, denn das sei eigentlich das Schlimmste in den USA, dass man Risse durch Familien und Freundeskreise habe, die nichts mehr miteinander zu tun haben wollen. „Wenn Kompromiss zum Schimpfwort wird, dann haben wir etwas falsch gemacht“, sagt Zamperoni.
Wirtschaftsforum der VR Bank Kur- und Rheinpfalz: Biden kandidiert nicht mehr
Er fordert aber auch uns Deutsche dazu auf, von unserem hohen Ross zu steigen. Trump-Wähler seien keine Idioten oder „Babys fressende Monster“. Die Midterms, die ja eben nicht zu einem Triumph der Trump-Kandidaten geworden seien, hätten seiner Frau den Glauben an eine funktionierende Demokratie zurückgegeben“, schildert Ingo Zamperoni. Es sei eben nicht so, dass die Republikaner jede Gießkanne aufstellen können, um Wahlen zu gewinnen – „das ist Kokolores“. Sein Schwiegervater würde sich freuen, wenn statt Donald Trump der viel jüngere Ron de Santis kandidieren würde. Man müsse aber wissen, dass dieser „ein Trump mit Manieren“ sei und dessen Ansichten sich kaum unterscheiden. Und Trump habe sich schon einmal gegen ein veritables parteiinternes Bewerberfeld durchgesetzt, gerade mit den gemeinen Spitznamen, die er seinen Gegnern verpasse und von denen doch immer etwas hängen bleibe. Klar sei für ihn, dass Joe Biden nicht mehr antreten werde. Zamparoni vermutet, dass er das im Jahr 2023 verkünden werde und so den Weg frei mache für einen jüngeren Demokraten. Wobei er auch betont, dass die Bilanz Bidens bisher gar nicht schlecht ausfalle. Er habe doch einige Dinge erreicht – etwa für den Klimaschutz und die Nato.
In Sachen EU sieht Zamperoni durchaus ein Zusammenrücken während der Pandemiebewältigung. Themen wie das Flüchtlingsproblem müssten endlich gemeinsam bewältigt werden. Er nannte das Mittelmeer ein „nasses offenes Grab“ – man könne Griechenland und Italien mit der Aufgabe nicht alleine lassen: „Wir brauchen hier in Deutschland, aber auch in Italien, Spanien, Frankreich oder Polen, Menschen, die hier arbeiten wollen, sonst gehen unsere sozialen Systeme in die Knie“, sagt er und dann gibt’s natürlich noch seinen Abschiedssatz: „Schön, dass Sie hier waren. Bleiben Sie zuversichtlich.“
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Mannheimer Morgen Plus-Artikel Speyer Ingo Zamperoni: Auch nur ein Mensch