Speyer. Juli will von der Grünbrücke in den Tod springen. Hella ist mit ihrem Auto unterwegs in die Schweiz, wo sie ihrem Leben ein Ende setzen will. Dies ist das Setting des Romans „Ende in Sicht“, mit dem Ronja von Rönne die diesjährige Reihe Speyer.Lit beschlossen hat. Dass es dennoch ein eher heiteres Finale war, mochte angesichts der Thematik verwundern.
Die Schriftstellerin, Journalistin und Moderatorin hat ihre depressive Erkrankung vor Jahren öffentlich gemacht. Sie thematisiert sie in unterschiedlichen medialen Beiträgen. Auch ihr aktueller Roman handelt davon, wie es Menschen ergehen kann, die von einer scheinbar nicht zu überwindenden Lebensmüdigkeit erfasst werden und im Tod die „einzig logische Konsequenz aller Optionen“ sehen.
Auch ihr eigenes Schreiben setzt die Autorin in Beziehung zur Erkrankung. Dabei räumt sie gründlich mit Klischees und Vorurteilen auf. Sei die Depression doch keineswegs als „Inspirationsquelle“ anzusehen, wie Ronja von Rönne in einem Beitrag für eine Wochenzeitung geschrieben hatte, den sie ihrem Publikum in Speyer nicht vorenthält: „Weltschmerz ist noch keine Kunst.“ Als Bedingungen für künstlerische Höhenflüge taugten jene „absoluten Tiefpunkte des Menschseins“ nicht.
Somit sei Depression weniger eine musische Begabung als „eine Behinderung“, wie es die Autorin unverblümt formuliert. Zu künstlerischer Betätigung finde sie nicht etwa wegen, „sondern trotz dieser scheiß Krankheit“. Dabei sei Scheitern eher die Regel und die Realität, nicht etwa ein glorreicher Schaffensprozess. Die Depression als „das Diffuse“, als das große „Irgendwie“ des Überlebens sollte unter keinen Umständen romantisiert werden. Sie sei eher wie ein „Haustier, das ich nie wollte“.
Aber – und dieses Aber erscheint in den gelesenen Passagen und Selbstaussagen von Rönnes als unwiderstehlicher Trotz – es gebe Hilfen, Therapien und Medikamente, um der Krankheit nicht zu erliegen. Nicht zuletzt seien Menschen wichtig, die den Erkrankten nicht fallen ließen. So verspricht die Autorin: „Das nächste Buch wird wieder ein Gute-Laune-Buch“ – zum Thema Trotz.
Den hat sich Ronja von Rönne offenbar von Kindesbeinen angeeignet. Früh von Berlin ins oberbayerisch-katholische Dorf Grassau verfrachtet, musste das Kind das Überleben trainieren. Anekdotisch und pointenreich berichtet die Schriftstellerin über eine Schulzeit, auf die sie heute mit süffisantem und lakonischem Humor zurückblicken kann.
Lange Schlange am Signiertisch
So sehr sie aus ihrer Erkrankung keinen Hehl macht, so wenig scheint sich Ronja von Rönne von den drohenden Beeinträchtigungen unterkriegen lassen zu wollen. Sich selbst würde sie als einen durchaus glücklichen Menschen bezeichnen. Im Publikum lässt sie Zettel herumgehen, auf denen anonym Fragen formuliert werden können. Doch nach einer kurzen Fragerunde beendet sie ihren Auftritt in Speyer. Die Schlange vor dem Büchertisch, an dem die Autorin Exemplare signiert, ist lang.
Diese Lesung von Speyer.Lit wurde unterstützt von der Elisabeth Mack-Usselmann und Michael Mack Gedächtnisstiftung Speyer. Sie würdigt künstlerische und wissenschaftliche Beiträge, die sich der Erkrankung der Depression widmen. Vorstandsvorsitzender Winfried Sommer fand das Anliegen der Stiftung auch angesichts des großen Publikumsinteresses an der Lesung mit Ronja von Rönne bestätigt.
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