Interview mit dem rheinland-pfälzischen Verkehrsminister

"Wir kommen bei den Baustellen an die Grenze des Vertretbaren"

Die maroden Hochstraßen bilden den Kern eines Sanierungsstaus auf Straßen in der Metropolregion. Am Mittwoch stellte sich der rheinland-pfälzische Verkehrsminister Volker Wissing exklusiv den Fragen dieser Zeitung.

Von 
Stephan Alfter
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Ludwigshafen/Mainz. Herr Wissing, wissen Sie, wie oft die Golden Gate Bridge in San Francisco seit 1937 gesperrt war?

Volker Wissing: Nein, das weiß ich nicht, ehrlich gesagt. Aber Brücken sind eine große Herausforderung für Verkehrsminister.

Glaubt man einem Bericht der Neuen Zürcher Zeitung , dann war sie in 80 Jahren dreimal für einige Stunden komplett gesperrt. Recht wenig im Vergleich zu den Hochstraßen in Ludwigshafen, oder?

Wissing: Jedenfalls hat man die Gefahren einer Sanierung und der damit verbundenen Verkehrsprobleme bei den Hochstraßen unterschätzt. Man war in Ludwigshafen sogar so kühn, die Hochstraßen in eigenen Besitz zu nehmen und die Baulastträgerschaft anzustreben.

Mit der Baulastträgerschaft, die bei der Stadt liegt, argumentieren Sie und das Bundesverkehrsministerium ja immer wieder. Aber es muss Sie als Wirtschaftsminister, der Sie auch sind, doch beschäftigen und interessieren, dass die Wirtschaft in der Region zu leiden beginnt. Warum lassen Sie die überforderte Stadt Ludwigshafen so alleine? Sie erfüllt doch eine Aufgabe, von der alle profitieren?

Wissing: Die Stadt Ludwigshafen wird nicht alleine gelassen vom Land. Im Gegenteil: Sie hat eine außergewöhnlich hohe Unterstützung. Was wir im Rahmen der Verfassung tun dürfen, das tun wir. Wir können aus rechtlichen Gründen nicht die Baulastträgerschaft an uns ziehen. Ich gewähre der Stadt aber Unterstützung, indem ich Fachleute abstelle. Ich habe eine Taskforce gegründet. Die Gespräche mit dem Bundesverkehrsminister über die Fragen der Finanzierung werden ebenfalls von mir geführt.

Sie selbst haben kürzlich kritisiert, dass die Planungsprozesse in Deutschland zu lange dauern und zu bürokratisch sind. Die Bürger verstehen nicht, dass Sie sich in einer solch akuten Situation nicht über Hürden hinwegsetzen. Sie sind doch gewählt, um Gefahr von der Bevölkerung abzuwenden - auch in wirtschaftlicher Hinsicht.

Wissing: Ich kann mich über nichts hinwegsetzen, ich muss mich an Recht und Gesetz halten. Ich kann nur unterstützen. Das liegt, wie gesagt, an der Baulastträgerschaft. Eine Veränderung bei der Baulastträgerschaft kann es nur in saniertem Zustand geben. Trotzdem sind sich alle der Verantwortung bewusst, um diese schwierige Sitation so gut wie möglich zu bewältigen.

Alle sind sich bewusst? Vor neun Jahren war Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer an den Hochstraßen. Passiert ist nicht viel. Daher haben Bürger, die täglich im Stau stehen, doch eher das Gefühl, dass sich die Politik eben nicht bewusst ist, was hier los ist.

Wissing: Ich regiere in Rheinland-Pfalz seit 2016 und es ist nicht meine Aufgabe, zu kritisieren, was in der Vergangenheit schiefgelaufen ist. Entscheidend ist: Was können wir jetzt tun, damit eine Sanierung so effizient und so schnell wie möglich ablaufen kann. Ich habe auch mit dem Bundeswirtschaftsminister über die Sache gesprochen, weil es mir wichtig ist, dass diese wirtschaftliche Dimension des Problems allen bewusst ist. Alle haben sehr viel Verständnis geäußert.

Aber ist es nicht normal, dass Menschen an der Handlungsfähigkeit von Politik zu zweifeln beginnen, wenn sie lesen, dass es seit 1963 Diskussionen über eine dritte Rheinquerung bei Altrip gibt? Das sind bald 60 Jahre.

Wissing: Die Brückenquerung bei Altrip wurde doch von der Bevölkerung abgelehnt. Man wollte dann eine Tunnellösung haben. Die ist nicht finanzierbar, weil sie ein schlechtes Kosten-Nutzen-Verhältnis hat. Das Machbare - also eine Brücke - wird nicht gewünscht. Das nicht Machbare - ein Tunnel - wird angestrebt. In einer Demokratie müssen wir schon anerkennen, dass der Wille der Leute vor Ort das Maß der Dinge ist. Ich halte eine dritte Brücke für wünschenswert.

Ist der Ausdruck ,wünschenswert’ nicht ein Feigenblatt?

Wissing: Nein, er ist ehrlich.

Wünschenswert ist das Eine, der Zeitraum einer Umsetzbarkeit das Andere. Das akute Problem würde ja nicht gelöst.

Wissing: Deswegen war ich erstaunt, dass man jetzt, wo die Stadt durch das Hochstraßenproblem sehr gefordert ist, einfach von dem Problem ablenkt und sagt: Hey, lasst uns eine Rheinbrücke bauen. Ich gebe Ihnen recht, wenn sie sagen, dass die Region in der Vergangenheit nicht optimal auf die jetzige Situation vorbereitet wurde. Ich bin der Meinung, man hätte damals diese Rheinbrücke bei Altrip bauen sollen. Außerdem hätte man die Sanierung mindestens einer Hochstraße viel früher angehen müssen. Aber: Ich tue alles, was ich jetzt tun kann.

Oberbürgermeisterin Jutta Steinruck hat im August die Menschen dazu aufgefordert, die Hochstraßen und damit die Stadt weiträumig zu umfahren. Was sagen Sie dazu als Wirtschaftsminister?

Wissing: Es handelt sich hier um ein industrie- und wirtschaftspolitisches Problem, das die Dimensionen der Stadt Ludwigshafen weit überschreitet. Deshalb habe ich auch mit der Bundesregierung Gespräche geführt, dass wir so schnell wie möglich eine Klärung der Kostenfrage brauchen. Es ist eine prosperierende Metropolregion, die eine gute Verkehrsanbindung braucht. Aber alles ändert nichts daran, dass wir jetzt nur das Beste aus der Situation machen können. Dabei ist man in Ludwigshafen gut beraten, nicht auf die schönste Variante einer Sanierung zu achten.

Was würden Sie also machen? Hochstraße Süd abreißen oder ertüchtigen?

Wissing: Ich würde das machen, wovon mir die Ingenieure sagen, dass es den schnellsten Erfolg bringt.

Sie sprechen den Bund an. Das beschlossene Klimapaket wird neue Geldmittel in die Regionen bringen. Kann Ludwigshafen davon verstärkt profitieren?

Wissing: Ja, Ludwigshafen ist ein Schwerpunkt. Es wird auch hier im Haus alles getan, um durch Verbesserung des ÖPNV eine Entlastung in Ludwigshafen zu schaffen.

Aber es ächzt doch die ganze Region, wenn man etwa Richtung Salierbrücke Speyer oder Rheinbrücke bei Karlsruhe schaut...

Wissing: Aber hier sitzt ein Verkehrsminister vor Ihnen, der die Infrastrukturausgaben in Rheinland-Pfalz auf Rekordniveau geschraubt hat. Die Zahl der Baustellen ist so hoch geworden, dass wir an die Grenzen des Vertretbaren kommen. Die Leute müssen an ihren Arbeitsplatz kommen. Es wurde in der Vergangenheit zu wenig getan. Gleichzeitig gibt es heute viele Umweltverbände, die gegen Straßen- und Brückenbau kämpfen. Die werden auch von vielen Menschen unterstützt, mit dem Ziel, den Infrastrukturausbau in Deutschland zu verhindern.

Mal weg von der Vergangenheit. Wo sind wir in zehn Jahren? Was ist Ihre Vision?

Wissing: Wir werden einen großen Teil des Investitionsstaus im Straßennetz abgebaut haben. Ich arbeite im Moment an einem neuen Nahverkehrsgesetz, um den ÖPNV schneller ausbauen zu können. Da gibt es bisher rechtliche Probleme, weil die Kommunen ÖPNV-Maßnahmen erst ausschreiben dürfen, wenn der Haushalt von der Aufsichtsbehörde genehmigt ist. Daher plane ich in einem neuen Gesetz, den Ausbau des ÖPNV zur Pflichtaufgabe zu machen. Dadurch ergeben sich die Verzögerungen nicht mehr. Das wäre ein Meilenstein und soll demnächst als Gesetzentwurf vorliegen. Parallel dazu bauen wir kräftig Radwege und Pendlerradrouten aus.

Zur Person

  • Dr. Volker Wissing (49) ist rheinland-pfälzischer Landesminister für Wirtschaft, Verkehr, Landwirtschaft und Weinbau sowie stellvertretender Ministerpräsident.
  • Als studierter Jurist war er von 2000 bis 2004 persönlicher Referent des früheren Justizministers Herbert Mertin (FDP).
  • Wissing stammt aus Landau, ist verheiratet und hat eine Tochter. (sal)

 

Redaktion Reporter in der Metropolregion Rhein-Neckar

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