Berlin/Speyer. Er hat jetzt Urlaub, aber Wolfgang Büchner hat sich trotzdem nochmal ein frisch gebügeltes Hemd und ein Sakko angezogen, als er pünktlich zum Gespräch in einer Speyerer Bar erscheint. Schließlich, so erklärt er seinen gepflegten Auftritt, sei er später am Tag noch mit seiner früheren Latein-Lehrerin verabredet.
Büchner ist an diesem Tag gewissermaßen zurück an den Speyerer Wurzeln. 1239 Tage lang war der 58-Jährige im Zentrum des Berliner Politikbetriebs zu Hause. An der Schnittstelle zwischen dem, was öffentlich werden darf und jenem, was nicht öffentlich werden soll. Als Co-Sprecher einer Regierung, die am Ende den Fliehkräften erliegen musste, die sie zum Teil selbst entfacht hatte.
Wolfgang Büchner
- Wolfgang Büchner machte sein Abitur 1986 am Speyerer Hans-Purrmann-Gymnasium.
- Nach Stationen bei der Neuen Presse (Halle), Bild (Magdeburg), Associated Press (Hamburg) und Reuters (Bonn) wird er 1999 Chef vom Dienst bei der Financial Times Deutschland.
- 2003 wird er Stellvertretender Chefredakteur bei Spiegel Online, 2010 übernimmt er die Chefredaktion bei der Deutschen Presse Agentur und formt ein modernes Medienhaus.
- 2013 geht er als Chefredakteur zum Spiegel, wo er bis Ende 2014 bleibt.
- Anschließend arbeitet er jeweils in Führungspositionen für Zeitungsverlage in der Schweiz und in Deutschland.
- 2021 bekennt er sich zur FDP als seiner politischen Heimat und wird auf Vorschlag Lindners stellvertretender Regierungssprecher der Ampel-Koalition.
Was genau an jenen Montagabenden im Herbst 2024 in der Trattoria Cinque im Stadtteil Friedrichshain besprochen wurde, wird uns der Mann an diesem Morgen nicht erzählen. Fakt ist aber: Der Speyerer war Teil der kleinen FDP-Runde um Christian Lindner, die die Lage dort immer wieder neu sondierte, bis die Koalition jäh platzte. Aber: Wie groß war die Distanz etwa zwischen Lindner und Parteifreund Volker Wissing bereits in den Wochen davor? Wann genau begann Lindner mit der bewussten Demontage der Ampel? Auch darüber schweigt Büchner aus Respekt vor den Beteiligten.
Diskussionen über Titelstory „Stoppt Putin jetzt!“
Einige Jahre zuvor – als er selbst noch auf der anderen Seite des Schreibtischs saß – hätte er alles getan, um von einem seiner Redakteure eine Story über Christian Lindner aus eben jenem kleinen italienischen Lokal zu bekommen. Der Sohn eines Bäckermeisters und einer Verwaltungsangestellten hat viele Stationen im Mediengeschäft hinter sich gebracht. Angefangen hat alles damit – so hat er es selbst gegenüber Medien schon einige Male geschildert – dass ihn Peter Schmidt, der Redaktionsleiter der im Jahr 2002 eingestellten „Speyerer Tagespost“, im Jahr 1982 zum Sommernachtsfest der Naturschutz- und Vogelfreunde im pfälzischen Hanhofen geschickt hatte.
„Das waren meine ersten 40 Zeilen“, erinnerte er sich später. Einer, der mit ihm ins Gymnasium ging, sagte vor einigen Jahren mal, dass Büchner zwar kein besonders guter Schüler gewesen sei, aber dafür sehr zielstrebig. Jahre nach dem Abitur war aus dem Speyerer Redaktionsneuling bereits einer der Top-Journalisten des vereinigten Deutschland geworden. Da, wo Chefredaktion stand, da war der Name Wolfgang Büchner seit Ende der 90er Jahre oft nicht weit. Seine erfolgreiche Zeit als Change-Manager bei der Deutschen Presse Agentur machte ihn zum „Herr der Nachrichten“. 2013 saß er dann schließlich da, wo nicht wenige deutsche Journalisten gerne säßen: am Schreibtisch des Chefredakteurs – beim „Spiegel“.
Dass diese Zeit Ende des Jahres 2014 schon wieder vorüber war, lag in Wahrheit an einem lange währenden internen Kulturkampf. Büchner sei kein geeigneter journalistischer Impulsgeber, sondern nur Veränderungsmanager auf dem Weg zu Spiegel 3.0, wurde ihm vorgeworfen. In den Fokus rückte im Juli 2014 aber eine Geschichte, die ausgerechnet Wladimir Putin betraf. Nach dem mutmaßlichen Abschuss der Passagiermaschine MH117 durch Russland über der Ukraine lautete der Titel eines Hefts „Stoppt Putin jetzt!“. Einigen Redakteuren sei das zu hart gewesen, erinnert sich Büchner. „Ich fand den Titel damals dringend notwendig“, sagt er in der Rückschau.
Spaziergang mit Christian Lindner am Schlachtensee
Büchner geht nach seinem Aus beim Spiegel zunächst in die Schweiz zum „Blick“, kehrt aber schon 2017 zurück und übernimmt Verantwortung bei der Madsack-Medien-Gruppe, wo seine Aufgabe erneut die digitale Transformation ist, bis er 2019 ausscheidet.
Entscheidend für seinen weiteren Weg ist ein Tag Anfang Mai 2020, als Christian Lindner und Wolfgang Büchner gemeinsam um den Berliner Schlachtensee laufen. Die erste Corona-Welle liegt hinter dem Land und der Chef der Liberalen plant schon den Wahlkampf für die Bundestagswahlen 2021. Büchner hatte Lindner zuvor ein Papier geschickt. Grob skizziert ging es darin um einen Vergleich der Social-Media-Auftritte der Liberalen im Vergleich zur AfD, die diesen Raum lange vorher Gewinn bringend besetzt hatte. Lindner und Büchner verstehen sich. Fortan sehen sie sich regelmäßig, denn Büchner ist jetzt der Mann, der die FDP im Wahlkampf strategisch berät. Das Ergebnis ist bekannt: Die Liberalen ziehen mit 11,5 Prozent der Stimmen in den Bundestag.
Mit dem darauffolgenden Angebot Lindners, auf dem Ticket der FDP ins Amt des stellvertretenden Regierungssprechers zu gehen, hatte Büchner nach seinen eigenen Worten nicht gerechnet. Was folgt, ist die wohl intensivste Zeit im bisherigen Berufsleben des Vaters von vier Kindern. Er begleitet Kanzler Olaf Scholz, Robert Habeck, Christian Lindner und Co. – immer mit dem Auftrag, das Handeln der Regierung nach Außen zu vertreten und zunehmender Desinformation entgegenzuwirken. „Es war eine Freude und eine Ehre, für Bundeskanzler Olaf Scholz zu arbeiten und meinem Land in diesem Amt zu dienen“, sagt er. Nach einer Phase des Durchatmens will er zurück in die Politik- und Kommunikationsberatung. Seine Latein-Lehrerin, die wir am Abend zufällig in den Gassen der Stadt treffen, ist jedenfalls begeistert vom Werdegang ihres einstigen Schülers. Das Sakko hat sich gelohnt …
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