Deidesheim. Errol I. ist ein echtes Prachtexemplar. Da hätte wohl selbst Franzosenkaiser Napoleon nichts auszusetzen gehabt. Gut gehörnt und gut gebeutelt („Biencornu et bien capable“) solle der Tributbock der Lambrechter sein, den sie für das Weiderecht im Wald an Deidesheim zu zahlen hätten, verfügte der Herrscher im Jahr 1808.
Die Attribute bringt der stramme Ziegenbock allemal mit. Napoleon persönlich hatte den Vergleich zwischen den beiden Kommunen ratifiziert.
Der Marsch des jüngsten Lambrechter Brautpaars am Dienstagmorgen ab 5.30 Uhr vom Friedrich-Ebert-Platz in Lambrecht durch den Wald bis nach Deidesheim und die Versteigerung vor dem Deidesheimer Rathaus zählen zu den ältesten und beliebtesten Brauchtümern in Südwestdeutschland. Entsprechend ist an diesem „dritten Pfingstfeiertag“ in der Pfalz der Marktplatz der Weinstadt bei sonnigem Prachtwetter proppenvoll, als die Versteigerung um 17.45 Uhr beginnt.
Pfälzer Brauchtum
- Die Geißbock-Versteigerung gilt als einer der ältesten und beliebtesten traditionellen Bräuche Südwestdeutschlands.
- Begründet wurde die Zahlung eines Tributbocks durch eine Urkunde von Kaiser Ruprecht im Jahr 1404.
- Früher musste der jüngste Bürger den Bock führen, heute übernimmt das jüngste Brautpaar diese Pflicht. Zum Dank gibt’s ein Käsebrot und eine Flasche Wein.
Den Zuschlag erhalten um 18 Uhr schließlich die beiden Paare Pascal und Didem Vergnaud und Steffi und Klaus Curschmann aus Ruppertsberg. Sie sorgen für einen spannenden Wettstreit - unter anderem mit einem Hotelier aus Achensee, der schon einmal einen Tributbock ersteigert hat.
Am Ende haben aber die beiden befreundeten Ehepaare den längeren Atem. Für 5500 Euro erhalten sie den Zuschlag. „Eigentlich wollten wir nur bis 5000 Euro mitgehen“, sagt Pascal Vergnaud schmunzelnd. Das Tier kommt nun auf eine Weide in Ruppertsberg, wo schon jetzt Ziegen, Schafe, Hühner und ein Pferd leben. Eine artgerechte Haltung, wie es die Auktionsregeln besagen, ist dem Bock also gewiss.
Vergnaud führt ein Harley-Davidson-Geschäft in Ludwigshafen Ruchheim, Klaus Curschmann hat eine Augenarzt-Praxis in Ludwigshafen. Beide Familien freuen sich über den Zuwachs auf der Weide. Nach alter Sitte muss der erfolgreiche Bieter im Anschluss den Betrag im Ratssaal in bar auf den Tisch legen. Dafür bekommt er auch eine Urkunde und die Glückwünsche der Deidesheimer Honoratioren.
Der Versteigerung vorausgegangen ist ein historisches Spektakel, in dem das Stadtgericht alte Wald- und Wegerechte für Gimmeldingen und Haardt erneuert. Nur die Niederkirchener gehen leer aus. Dann wird der Bock für stattlich erklärt und auch die Rechtmäßigkeit der Übergabe, bevor Auktionator Markus Wahl das Wort ergreift.
Errol ist zurest Emil und ist vier Jahre alt
Dass der Tributbock kein dürres Vieh ist, davon hat sich der Deidesheimer Bürgermeister Manfred Dörr schon am Vortag persönlich überzeugt. Nach dem Geißbock-Festspiel auf dem Tuchmacherplatz übergibt der Lambrechter Bürgermeister Karl-Günter Müller und sein „Büttel“ Karl-Philipp Sauer das Tier an das jüngstvermählte Brautpaar Lambrechts, das traditionsgemäß den Tributbock durch den Wald führen darf.
Dabei zeigt sich Errol I. zunächst von seiner widerspenstigen Seite, „knoddelt“ beim Gang zur Festspielbühne auf die Treppe und lässt sich vom Büttel lange ziehen und bitten, bis er sich schließlich von seiner besten Seite zeigt. Zur Versteigerung am Dienstag ist das Tier dagegen die Ruhe selbst. Errol, der zuvor von seinem Züchter Oliver Wittmer Emil getauft worden ist und am Pfingstmontag umbenannt wird, ist vier Jahre alt, seine stattlichen Hörner messen 73 Zentimeter.
Errol Buchmann und seine Frau Miriam sind das frischvermählte Brautpaar, die gerne die Pflicht überahmen. Sie hatten am 1. April geheiratet und führen am Dienstag den 620. Lambrechter Tributbock durch den Wald. Die 15,6 Kilometer lange Wanderung schreckte sie nicht, sie sind als Wanderer ständig im Pfälzerwald unterwegs. Und waren das am Dienstag auch nicht alleine. Erneut wurden sich von rund 300 Freunden des Brauchtums begleitet.
Lambrecht und Deidesheim: Streit über Jahrhunderte
Es war in diesem Jahr wieder ein besonderes Geißbock-Spektakel. Schließlich hatte es an den Pfingstfeiertagen in Lambrecht - wie alle fünf Jahre - ein Festspiel gegeben, das mit Hilfe von 120 Mitwirkenden die Geschichte von Lambrecht lebendig werden ließ. Neben der Gründung eines Klosters zu Ehren des heiligen Lambertus und anderer historischen Szenen spielt natürlich der Tribut die Hauptrolle in dem Stück, das der Lambrechter Ernst Schäfer 1931 geschrieben hat. Der Autor war seinerzeit Dramaturg am Landestheater Kaiserslautern.
Den Geschichten zufolge haben sich die Lambrechter und Deidesheimer eigentlich über die Jahrhunderte immer wieder wegen der Weide-und Holzernte-Rechte in den Haaren gelegen. Immerhin haben sich zwei Kaiser - Rudolf und Napoleon, zu dessen Reich seinerzeit auch das Departement Donnersberg gehörte - den Streit schlichten müssen.
Im Festspiel-Stück knurrt Napoleon, als das Publikum den Kernsatz „bien cornu et bien capable“ nicht nachsprechen kann: „Mein Gott, diese Pfälzer“, um dann umzuschwenken: „Das ist das Beste, was ein Mensch werden kann!“
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