Umweltschutz

Wie die Bahn den Wald bei Mannheim umbauen will

Noch steht nicht fest, wie die neue ICE-Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim genau verläuft. Doch die Bahn schafft schon einen Ausgleich für die Natur. Auch wenn's ein mühsames Unterfangen ist

Von 
Bernhard Zinke
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Stephan Reff von der Landschaftsagentur Plus (links) und Matthias Mähliß, Umweltplaner der DB Netze freuen sich über einen kleinen Eichen-Setzling. © Bernhard Zinke

Metropolregion. Sattes Grün, dichtes Buschwerk zehn Meter und höher. Dieses Stückchen Wald im Norden von Mannheim sieht kerngesund aus. Nur im Hintergrund stören braune, verdorrte Kiefern-Kronen das Panorama. Doch Matthias Mähliß winkt ab. Was dem Laien-Auge so prächtig und grün erscheint, „ist für das Ökosystem eine Katastrophe“ sagt er. Die kräftigen Bäume und Büsche sind Spätblühende Traubenkirschen. Das Gewächs, das ursprünglich aus Nordamerika stammt, verdrängt immer mehr die heimischen Gehölze.

Gleichgewicht im Kollekturwald wiederherstellen

Nicht mal Schädlinge gehen an sie ’ran. Und das wirbelt das Gleichgewicht des besonders geschützten Flora-Fauna-Habitats (FFH) im Kollekturwald kräftig durcheinander. Dieses Gleichgewicht hier wieder herzustellen, ist Aufgabe von Matthias Mähliß und Stephan Reff. Die Aufforstung des Kollekturwaldes ist ein Teil der Maßnahmen, die den Eingriff in die Natur durch die neue ICE-Strecke zwischen Frankfurt und Mannheim ausgleichen soll.

Sieht eigentlich toll aus. Die Spätblühende Traubenkirsche ist aber laut Umweltexperten eine Katastrophe fürs ökologische Gleichgewicht. © Bernhard Zinke

Das Projekt ist eine Mammutaufgabe. Kann der aufmerksame Beobachter doch dem Wald beim Sterben regelrecht zusehen. Die Trockenheit der vergangenen Jahre hat der Natur kräftig zugesetzt. Reff ist davon überzeugt: In zehn Jahren werden die letzten Kiefern hier abgestorben sein“, befürchtet der Landschaftsarchitekt und Projektingenieur. Mit seiner Landschaftsagentur Plus wird er den Kollekturwald im Auftrag der Bahn umbauen und bis ins Jahr 2050 pflegen.

Niederschlag einigermaßen konstant

Es gebe - im Jahresdurchschnitt betrachtet - immer noch einigermaßen konstante Niederschlagsmengen. Aber leider zu den falschen Zeiten, konstatiert Reff. Im Winter mehr, dafür im Sommer deutlich weniger. Sechs Wochen hat es nun am Stück nicht nennenswert geregnet. Die geringen Niederschläge der vergangenen Tage waren der berühmte Tropfen auf den heißen Stein. Früher hätten sich die Kiefern gegen Schädlingsbefall gewehrt und die Borkenkäfer mit ihrem Harz regelrecht ersäuft.

Das ist geplant

  • Der Eingriff in die Natur durch die geplante Neubaustrecke der Bahn zwischen Frankfurt und Mannheim umfasst bereits heute Ausgleichsmaßnahmen auf einer Fläche von rund 700 Hektar.
  • Die Flächen liegen fast alle in unmittelbarer Nähe der zukünftigen Trasse und werden fast alle schon umgesetzt.
  • Im Bereich zwischen Lorsch/Einhausen und Lampertheim soll die Strecke nach Angaben der Bahn weitestgehend im Tunnel verlaufen. Das übergeordnete Ziel ist hier, einen unzerschnittenen Landschaftsraum zu erhalten und ökologische Austauschbeziehungen zu sichern.
  • Nördlich von Lorsch/Einhausen sind drei Grünbrücken über Autobahn und Bahnlinie geplant
  • Weiter nördlich entsteht bei Pfungstadt ähnlich wie im Bereich von Mannheim ebenfalls ein klimastabiler Wald. Allerdings auf einer deutlich größeren Fläche: rund 500 Hektar. 

 

Dazu haben sie heute keine Kraft mehr. Hinzu kommen die Misteln in den Baumkronen, die in der Sommerhitze munter weiter Wasser verdunsten, wenn die Wirtsbäume längst auf Wassersparen umgeschaltet haben. Somit entziehen die Misteln den Kiefern das lebensnotwendige Nass. Maikäfer und der Diplodia-Pilz gibt den Nadelbäumen endgültig den Rest. „Der Zustand der Kiefern hat sich in den vergangenen fünf Jahren dramatisch verschlechtert.“

Wenn wir ehrlich sind, weiß keiner, was für die nächsten 200 Jahre richtig wäre
Stephan Reff

Deshalb wollen Bahn und Landschaftsagentur den Kollekturwald - und nicht nur ihn - zum gesunden und klimastabilen Laubmischwald umbauen. Ein Projekt, das Jahrzehnte in Anspruch nehmen wird, dessen Erfolg aber keineswegs garantiert ist. „Wenn wir ehrlich sind, weiß keiner, was für die nächsten 200 Jahre richtig wäre“, gibt Stephan Reff zu. „Wir müssen experimentieren, welche Pflanzen es schaffen und welche nicht.“

Eichen und Hainbuchen sprießen aus dem Boden

Auf einem Teilstück des Waldes direkt neben dem Glücksburger Weg in der Mannheimer Gartenstadt lässt sich beobachten, was die Experten vorhaben. Die Spätblühenden Traubenkirschen wurden entfernt. Deswegen sieht das Stück Wald im Gegensatz zu dem Bereich auf der anderen Seite des Waldweges relativ kahl aus. Allerdings sprießen an vielen Stellen kleine Eichentriebe und Hainbuchen, vielfach kreisförmig angepflanzt. Beim Kontrollgang sind Reff und Mähliß hellauf begeistert, dass trotz der Trockenheit kleine totgeglaubte Pflanzen wieder kräftig austreiben.

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Durch die kreisförmige Anpflanzung seien die Triebe bei großer Trockenheit auch mal bewässerbar. „Was wir hier machen, ist eigentlich Gartenbau, keine Forstwirtschaft“, sagt Reff. Und das sei wahnsinnig aufwändig. Die Fachleute haben in diesem Experimentierfeld bereits festgestellt, dass sich eine Anpflanzung unter dem Blätterdach der großen Eichen nicht wirklich auszahlt. Die Eiche biete zwar einen ausreichenden Sonnenschutz, lasse den kleinen Pflanzen allerdings kein Wasser zum Wachsen übrig. 20 Meter außerhalb des Wurzelbereichs sehe das schon ganz anders aus.

16 Baumarten auf rund 90 Hektar

Insgesamt 16 Baumarten werden in dem rund 90 Hektar großen Gebiet des Kollekturwaldes gepflanzt, im wesentlichen Eichen, Hainbuchen, Winter- und Sommerlinden, in geringerem Umfang Wildobst oder Spitzahorn. „Wir sind in diesem besonders geschützen FFH-Gebiet bei der Auswahl limitiert. Es dürfen nur heimische Gewächse angepflanzt werden“, betont Matthias Mähliß. Außerhalb eines solchen Schutzgebietes dürfe man mehr experimentieren.

Acht Jahre dauert der Umbau, pro Jahr nehmen sich die Experten vier bis sechs Flächen von bis zu drei Hektar vor. 2021 hat das Projekt hier begonnen. Der Ausfall bei den Pflanzen betrage zwischen fünf und 30 Prozent, je nach Art - „gar nicht so schlecht“, findet Matthias Mähliß. Bis 2050 werden die Flächen professionell gepflegt, das ist vertraglich abgesichert.

Exakter Verlauf der Neubaustrecke steht noch nicht fest

Das große Plus dieser Maßnahme: Der Waldumbau beginnt bereits lange, bevor der erste Bagger ein Loch gräbt. „Die Natur profitiert von dieser Zeit“, sagt Mähliß. Der exakte Verlauf der Bahn-Neubaustrecke Frankfurt-Mannheim steht zwar erst wohl gegen Ende des Sommers fest. Dann werde auch geklärt sein, ob es einen bergmännischen Tunnl nördlich des Bahnhofs Waldhof gibt oder nicht. Aber: „In der Nähe des Lampertheimer Bruchs“ wird es eine Baugrube geben“, sagt Mähliß. Für einen Tunnel oder ein so genanntes Verknüpfungsbauwerk.

Den Umzug schaffen die alleine. Wir müssen ihnen die Habitate allerdings anbieten.
Matthias Mähliß

In jedem Fall bedeutet das einen Eingriff in die Natur. Tier- und Pflanzenarten werden ihren Lebensraum verlieren. Und der muss nach europäischem Recht an anderer Stelle adäquat ersetzt werden. Deshalb haben die Fachleute schon frühzeitig beobachtet, welche Tierarten im künftigen Baubereich heimisch sind. Und dann wird gerechnet, wieviel Lebensraum Buntspechte, Fledermäuse und Hohltauben benötigen. „Den Umzug schaffen die alleine. Wir müssen ihnen die Habitate allerdings anbieten“, sagt Mähliß.

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Insgesamt steckt die Bahn alleine in den Umbau des Kollekturwaldes als Ausgleichsmaßnahme für die Neubaustrecke rund 7,5 Millionen Euro. Insgesamt umfasst die Maßnahme entlang der Bahnstrecke indessen eine Fläche von 700 Hektar. Die gute Nachricht: Bis auf eine einzige Ausnahme wurden alle Ausgleichsmaßnahmen schon begonnen. Sie laufen zum Teil schon seit zehn Jahren - Zeit, die die Natur gewonnen hat.

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